Buchcover: Back to Blood
Eine Art „Fegefeuer der Eitelkeiten“ 2.0
leider auch so oberflächlich wie alles 2.0
Titel Back to Blood
(Back to Blood)
Autor Tom Wolfe, USA 2010
aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller
Verlag Blessing
Ausgabe Gebunden, 768 Seiten
Genre Drama
Website tomwolfe.com
Inhalt

Die Freiheit ist nur 20 Meter entfernt für den kubanischen Flüchtling, der sich auf den Mast einer Luxusjacht vor Miami geflüchtet hat. Aber dann wird er vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern in einer spektakulären Aktion live verhaftet. Und das ausgerechnet vom netten Nestor, einem Polizisten mit kubanischen Wurzeln, der unter den chauvinistischen Sprüchen seiner weißen Vorgesetzten leidet.

Die ganze Stadt ist in zwei Lager gespalten: Für seine Familie und Landsleute ist Nestor ein Verräter, für die Weißen ein Held und Musteramerikaner. Soll der kubanische Bürgermeister ihn suspendieren oder mit Orden schmücken? Versaut ihm dieser Idiot die Wiederwahl ..?

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Back to Blood

Tom Wolfe hat ein Vorleben als Reporter. Das merkt man hier. Sein „Back to Blood“ liest sich, wie eine überlange Reportage über Miami im „New Yorker“. Weniger Story, mehr Mosaikbeschreibung – ein Mosaik aus Menschen und Kulturen. Die einzelnen Steinchen lesen sich süffig, allerdings bietet der Klappentext (s.o.) während der Lektüre der ersten 350 Seiten mehr Handlungsfaden, als die 350 Seiten selbst. Wolfe tut sich schwer, seinen journalistischen Beobachterposten zu verlassen und endlich durch aktiven Eingriff eine Geschichte zu erzählen. Statt dessen reiht er Situationsbeschreibungen aneinander, mit denen er Figuren auf seinem Schachbrett verteilt. Sein Eingriff in die Story beschränkt sich auf ätzende Bemerkungen wider diese political correctness – „selbstverständlich sprach er von der afroamerikanischen Gemeinde, alles andere hätte ihn in Teufels Küche gebracht“ – oder jene ethnische Besonderheit. Und hier kann er aus dem Vollen schöpfen.

Der distanzierte Journalist haut auf alle drauf

War Wolfe in seinem gefeierten Romandebut „Fegefeuer der Eitelkeiten“ noch auf „Weiß“ und „Schwarz“ festgelegt im Schmelztigel New York, präsentiert er Miami als Stadt, in der Kubaner, Afroamerikaner, Anglosaxons (also: Weiße), Haitianer und andere Ethnien aufeinanderprallen – allesamt hops genommen von ein paar neureichen Russen. „In dieser Stadt hasst jeder Jeden“ lässt Wolfe den Bürgermeister der Stadt sagen und es steht zu befürchten, dass der echte Bürgermeister Miamis, der in Wolfes Danksagungen an erster Stelle steht, das genauso auch gesagt hat. Wolfe jedenfalls gibt das die Gelegenheit, auf alle gleichermaßen draufzuhauen – ganz der distanzierte Journalist, der sich mit seiner Story nicht gemein machen will. Wie soll er auch: Wolfe, der weiße Angelsachse, kann eben nicht aus dem Innenleben eines Kubaners/Afroamerikaners/Mexikaners/Russen schreiben, er kann es nur beschreiben. Und in seiner Distanz neigt er zum leisen Spott – Ironie durchtrieft jede Seite dieses Buches; lustig, witzig, fröhlich zu lesen.

Aber wozu? Auf 768 Seiten „Back to Blood“ wird keiner dieser vielen Miniaturen zum Sympathieträger, taugt keiner zur Identifikationsfigur; damit gibt es auch niemanden, der mich, den Leser, an die Hand nimmt und durch die Geschichte führt.

Ein Simplicissimus und andere Stereotypen aus dem abendlichen Fernsehprogramm

Der brave Polizist Nestor Camacho, der noch am ehesten im Zentrum der Geschichte steht, ist ein Fitnessstudio–Junkie und Naivling, dem die Bildung gerade weit genug reicht, zu wissen, wie man dem vorgesetzten Polizisten gegenüber tritt und, dass man nicht Neger sagt. Aber natürlich fällt sein Sergeant über einen Afroamerikaner her, beschimpft diesen aufs Übelste, wird dabei gefilmt und anschließend auf YouTube ausgestellt und schon läuft die Maschinerie an, die wir aus „Fegefeuer der Eitelkeiten“ noch kennen. In „Back to Blood“ nimmt sie nicht so viel Raum ein und taugt auch nur als Seitenfüller (oder als gesellschaftskritische Farbe, wäre es besagte Reportage im „New Yorker“), bei dem man sich bang zu fragen beginnt, ob Wolfe vielleicht gar keine Geschichte zu erzählen weiß, sein Stadt-Mosaik quasi tot recherchiert hat.

Nestor Camacho, der Simplicissimus, der erst sein persöniches Fegefeuer (sic!) durchlebt und dann durch seine liebevolle, aufrichtige Naivität sein Glück findet, ist umgeben von Stereotypen, die ich beim Lesen ohne Probleme mit Gesichtern aus TV-Serien und Kinofilmen besetzen könnte – neu, einzigartig oder gar special Miami sind die alle nicht. Nestors Ex-Freundin Magdalena, über die sich Wolfe seitenweise auslässt, dass sie schöner aussieht, als die schönste Venus, die sich den Promis an den Hals wirft, um gesellschaftlich aufzusteigen, aber keinen einzigen der angesagten In-Plätze kennt („In den letzten beiden Tagen hatte ihr Norman sicher zehn Mal erzählt, dass sein Boot in der Fisher Island Marina lag und dass sie nach Fisher Island Fisher Island Fisher Island fahren und mit dem Boot eine kleine Spritztour nach Elliott Key zur Columbus Day Regatta machen würden. Offenkundig ging er davon aus, dass ihr die Bedeutung klar war … so offenkundig, dass sie nicht wagte zuzugeben, noch nie von Fisher Island gehört zu haben.“), die noch einfachste Begriffe googeln muss, um zu wissen, worüber gesprochen wird („Magdalena wurde immer gereizter. Er machte sich lustig über sie – und gleichzeitig bombardierte er sie mit Worten, die sie nicht kannt. Was zum Teufel war eine Vignette? Was zum Teufel war der Unterschied zwischen Grundbesitzer und Grundeigentümer? Was zum Teufel war Kapital? Und wenn sie das nicht wusste, wie sollte sie dann wissen, was ein Kapitaleigner war?“). Die so kubanisch-konservativ erzogen ist, dass sie errötet wie ein Schulmädchen, aber dann beim ersten Date schmudelige Sexspielchen mitmacht?

Der Chronist verheddert sich im eigenen Ruhm

Ein Polizeichef – afroamerikanische Gemeinde – der breitbrustig durch die Gegend stolziert und dieselben knurrigen hart-aber-gütig-Manierismen präsentiert, die noch jeder Police-Captain einer Krimiserie herzeigt. Ein Bürgermeister kubanischer Herkunft mit seinem Hofstaat aus geiernasigen, geifernden Hämisch-Lächlern, der dieselben Macho-Attitüden an den Tag legt, die jeder Roman-Bürgermeister („Ich muss mich um die Belange aller in der Stadt kümmern.räusper räusper spreitz) an den Tag legt. Dazu gibt es unkultivierte Russen, die Kunst nur kennen, wenn sie sie selbst fälschen, spindeldürre Kunstberaterinnen im kleinen Schwarzen („in letzter Zeit war es für wagemutige Frauen chic geworden, in Unterhaltungen mit Männern das Wort ficken zu benutzen“) und einen kleinen Promi-Psychodoktor, der seine betuchte Kundschaft als Eintrittskarte in die höheren Kreise missbraucht. Am Rande taucht ein Französische-Professor auf, der dazugehören möchte und seinen Status mit einem zu teuren Art-Déco-Haus unterstreicht, von dem nach etwa 20 Seiten aber nur übrig bleibt, dass er eine Tochter hat, die später eine Rolle spielen wird. Einzigartig, Miami, ist das nicht. Und wäre es nicht Tom Wolfe, wäre aus auch nicht so wichtig.

Aber Wolfe hat einen Ruf, eine Qualität als genauer Beobachter, Chronist seiner Zeit. Da ist es enttäuschend, wenn es wenig mehr als Klischees zu lesen gibt. Wolfe schwebt über seinem Mosaik als olympischer Erzähler, der sich selbst in der Figur des blassnasigen, in hellen Zwirn gekleideten, sich wie ein Wiesel in eine Story verbeißenden Reporter John Smith in die Handlung geschrieben hat – die einzige Person, die Wolfe von innen kennen könnte, die aber so blass bleibt, wie ihr Teint.

Ein Fegefeuer reinigt nicht die Lebenden

Am Ende löst sich die Geschichte in Wohlgefallen auf und das ist vielleicht der größte realistische Nährungspunkt, den „Back to Blood“ bietet: Der Schurke wird eben nicht immer zufriedenstellend bestraft. Idioten bleiben über das Buchende hinaus Idioten. Ein Fegefeuer reinigt nicht die Lebenden und die Toten sind eh tot.

„Back to Blood“ präsentiert auf 768 Seiten viele schöne Miniaturen, klug beobachtet, ironisch-bissig – manchmal etwas gestelzt-locker – formuliert, aber die Notwendigkeit, dies als einen Roman zu verpacken, bleibt er schuldig.

Ich habe „Back to Blood“ zwischen dem 27. Oktober 2013 und dem 5. März 2014 gelesen.