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Kinoplakat: An einem Tag wie jeder andere (1955)

Brillant gespieltes, großartig erzähltes
Spannungs-Kino aus unserem Alltag

Titel An einem Tag wie jeder andere
(The Desperate Hours)
Drehbuch Joseph Hayes
nach seinem gleichnamigen Theaterstück
Regie William Wyler, USA 1955
Darsteller

Humphrey Bogart, Fredric March, Arthur Kennedy, Martha Scott, Dewey Martin, Gig Young, Mary Murphy, Richard Eyer, Robert Middleton, Alan Reed, Bert Freed, Ray Collins, Whit Bissell, Ray Teal u.a.

Genre Drama, Crime
Filmlänge 112 Minuten
Deutschlandstart
2. März 1956
Inhalt

Drei ausgebrochene Sträflinge dringen in das Haus der Familie Hilliard ein und nehmen Familienmitglieder als Geiseln. Die Geiselnehmer mit ihrem Anführer Glenn Griffin warten auf dessen Freundin, die ihnen für die Flucht notwendiges Geld bringen soll.

Unter ständiger Bedrohung ihres Lebens wird die Familie von Griffin insgesamt über zwei Tage und Nächte gezwungen, nach außen den familiären Normalbetrieb aufrechtzuerhalten. Als der Müllsammler Mr. Patterson zufällig das Auto der Verbrecher entdeckt, wird er kurzerhand erschossen, damit er nicht zur Polizei geht. Damit kommt die Polizei unter Vizesheriff Jesse Webb auf die Spur der Geiselnehmer.

Hal Griffin, der jüngste Geiselnehmer und Glenns Bruder, verliert die Nerven und flieht. Außerhalb der Stadt entdeckt ihn die Polizei eher zufällig auf einer Raststätte. Nach einer kurzen Schießerei, bei der Hal eine auf Dan Hilliard registrierte Waffe benutzt, flieht er über einen Highway und wird von einem LKW überrollt und stirbt. Anhand der Waffe ermittelt Webb den Aufenthaltsort des verbleibenden Gangsterduos.

Kinoplakat: An einem Tag wie jeder andere (1955)Damit steht plötzlich genau das zu befürchten, was Dan Hilliard und seine Frau Eleanor die ganze Zeit zu verhindern versucht haben: Eine nervöse Polizei mit entsicherten Maschinengewehren postiert sich rund um Hilliards Haus in dem beschaulichen Vorort …

Was zu sagen wäre

Was bedeutet Sicherheit? Wer definiert Sicherheit? Und wer definiert damit auch, wer die Sicherheit stört, also: wer der Feind ist? Gesellschaft und Staat – der Mensch und seine übergeordneten Regierungsbehörden – haben sich darauf verständigt, dass der Staat den Bürger schützt; dass der Bürger in einem Gefühl der Sicherheit leben (und arbeiten, also Gewinn erwirtschaften) kann.

Was aber, wenn der Staat ausfällt? Oder gar selbst zur Bedrohung wird? Aus dieser Frage ziehen Krimiautoren immer wieder ihren Nektar, den sie in unterschiedlicher Qualität dann irgendeiner Form auf den Markt bringen. In Joseph Hayes‘ Theaterstück wird die Polizei als Bedrohung für die Familie empfunden, die bereits in Lebensgefahr steckt. Hayes hat sein Buch für die Leinwand umgeschrieben, großartige Szenen für den (im Vergleich zur Theaterbühne) größeren Spielplatz Film entwickelt und William Wyler (Ein Herz und eine Krone – 1953) hat daraus intensive Kinomomente destilliert – weil er sich auf Schauspieler verlassen darf, die hier Höhepunkte in ihrer jeweiligen Filmografie abliefern.

Intelligente Miniaturen erzählen Welten

Geschickt steigt der Film in sein Drama ein. Wir erleben die Familie Hilliard – Vater, Mutter, Tochter, Marke Backfisch, und vorpubertärer Sohn, der sich beim Frühstück ausbittet, gefälligst „Ralph“ gerufen zu werden, und nicht weiterhin „Ralphie“! Hayes und Wyler zeigen hier die Miniatur einer glücklichen Familie, in der vieles von dem, was im Verlauf des Films noch wichtig wird, spielerisch angelegt wird. Es folgt eine zweite Miniatur, und hier greift Wyler auf das ein oder andere Klischee zurück, was vertretbar ist, weil das Personal dieser zweiten Miniatur uns auch nicht zu sehr ans Herz wachsen sollte. Es ist die Polizei in ihren chronisch zu kleinen Büros mit den zu vielen Akten auf dem Schreibtisch.

Wir erfahren, dass einer der Cops und einer der entflohenen Sträflinge eine gemeinsame Vergangenheit haben und dass sich die Polizeibehörden gerne mit Kompetenzstreitigkeiten aufhalten. Auch hier legt Wyler schon früh in seinem Film den Unruhefaktor an, der uns später im Film bei der Frage, ob die Polizei helfen kann, schütteln soll. Mitten in der befriedetsten Nachbarschaft, mitten unter Hausfrauen in Blümchenkleidern kann lebensbedrohlicher Terror wüten, ohne dass die Nachbarschaft das wahrnimmt. Das ist der größte Horror: Wenn der Firnis der Zivilisation reißt und das Tier zum Vorschein kommt.

Als Drittes schließlich schneidet Wyler zu den Ausbrechern, die in einem Auto sitzen und Unterschlupf suchen. Und damit hat Wyler uns mittendrin. Ehe wir das dritte Popcorn im Mund haben, sind wir umfassend informiert und wollen fürs Weitere bitte nicht gestört werden.

March gegen Bogart – Ein Duell der Wertvorstellungen

Die Faszination speist sich aus eher Unsichtbarem, aus Nuancen. Die Ausstattung (J. McMillan Johnson, Hal Pereira, Sam Comer, Grace Gregory), die Kulisse, das Haus, der Vorgarten, die Siedlung, die Inneneinrichtung … das ist alles so perfekt mittelständisch, so perfekt normal, dass die drei Gangster in ihrer grob geschnittenen Hosen und Hemden darin gleich doppelt bedrohlich wirken. Dann sind da Humphrey Bogart und Fredric March. March ist ganz ungewohnt besetzt. Er spielt den Familienvater mit leitender Funktion im Büro, der streng aussieht, aber eigentlich nur spielen will. Im schmucken Heim führt die Mutter und behende Gattin mit unsichtbarer Hand und den mütterlichen Sorgenfältchen das Regiment. Dennoch darf „Vati“ – später auch „Pops“ genannt – die Fahne des autoritären Haushaltsvorstandes hochhalten, dem sich die flügge werdenden Kinder traulich fügen – jedenfalls, solange „Vati“ hinschaut. Erst, als die Steinzeit über das Familienglück hereinbricht, darf Vater wieder werden, was er war, bevor die Zivilisation das Ruder übernahm und sukzessive dafür sorgte, dass alles Aggressive ausgesperrt wird. Die Szenen, in denen er ohne Luft zu holen bewaffnete Gangster in die Schranken weist, sind großes Schauspielerkino.

Und einen dieser bewaffneten Gangster spielt Humphrey Bogart, ein Schauspieler gestählt mit der Erfahrung aus 25 Jahren Filmgeschäft, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere ab Anfang der Vierziger Jahre begeisterte, weil er seine Feinde mit Glutunterlaufenen Augen in die schwärzeste Hölle blitzen konnte. Heute kann er die endgültigsten Entscheidungen postulieren, ohne dabei eine Wimper zu bewegen – nur der Mund bewegt sich … ein bisschen; ohne aber auch, dass die Augen dabei auch nur den Hauch von menschlicher Wärme versprühten. Humphrey Bogart, der den Oscar für seinen Charlie Allnut in African Queen (1951) nicht etwa im Rahmen einer Verlosung bekommen hat, zeigt unter Wylers Regie, dass er ihn verdient, ja, dass er eher vielleicht ein oder drei zu wenig im Regal stehen hat. Sein Glenn Griffin ist natürlich der Oberste Schurke im Stück, aber eben genau so wenig durch und durch „böse“ wie etwa Bogarts Rick in Casablanca durch und durch „gut“ war. Beide bewegen sich in feindlichen System, von Interessen geprägt.

Das Drama im Drama im Drama

Das Duell Bogart/March steht im Zentrum des Films. Allein darauf fokussiert würde er aber nicht funktionieren. Joseph Hayes hat nicht einfach ein Geiselnahme-Drama geschrieben. Er hat die moderne amerikanischen Mittelstands-Gesellschaft portraitiert. Das bedeutet, nichts wird pauschal dem Klischee geopfert  – es sei denn (s.o.) zur rascheren Einordnung der Schauplätze – jede Figur bekommt ihr eigenes Leben in diesem Stück. Streng genommen erleben wir sieben Geschichten (wobei wir vielleicht Robishs Geschichte vernachlässigen können, der halt wirklich nur ein tumber Tor ist). Zum Beispiel ist da Glenn Griffin, der ältere der beiden Ausbrecher-Brüder, clever und misstrauisch, und sein jüngerer Bruder Hal, der alles von seinem Bruder gelernt hat – „nur nicht in einem solchen Haus zu wohnen“. Eine der bewegensten Szenen zeigt Hal im Schlafzimmer der herangewachsenen Mittelstands-Tochter, wie er aus dem Fenster schaut. Gegenüber hält ein Cabrio mit lärmenden Jungs, die fröhliche Mädchen zum abendlichen Cruising abholen – Jungs und Mädchen in Hals Alter. Er wird das nie erleben. Immer wieder montiert Wyler Szenen des alltäglichen Normal in die Entführungsgeschichte, das Leben im eigenen Haus, mit Rasen davor und der Doppelgarage daneben.

Auch das Innenleben der Familie Hilliard ist nicht so kratzfrei, wie es das Hasus erscheinen lässt. Vater und Schulkind Ralph tragen eine Vater-Sohn-Geschichte aus, in der es um die Rolle des Mannes und um Männlichkeit geht („Das ist nicht, wie im Kino, Ralph, die Kanonen sind echt.“). Es gibt dann, nachdem die familiäre Neuausrichtung durch Sohn Ralphs Verhalten langsam einer Lösung zugeführt werden muss, eine großartige Gänsehaut-Szene. Ralph mag keine Milch. Als Bogart aber sagt, er solle lieber seine Milch trinken, sonst werde er nicht so groß und stark wie sein Dad,greift skixch Ralph das volle Milchglas, trinkt es in einem Schluck leer und stellt es krachend zurück auf den Tisch. Danach wird der Vater-Sohn-Konflikt nicht weiter thematisiert.

Wie stellt sich die zivilisierte Welt dem wilden Monster? Zivilisiert!

Außerdem muss Vater Hilliard lernen, dass seine Tochter flügge wird und offenbar einen Liebhaber hat – der sich allerdings dann im Verlauf des Dramas als Goldstück erweist und damit nicht mehr in Frage steht. In der Auseinandersetzung zwischen Hilliard und dem die Polizeiaktion leitenden Sheriff kommt der Interessensgegensatz zwischen dem auf seine Wiederwahl bedachten Sheriff und den von der Geiselnahme Betroffenen zur Sprache. Selbst das Ehepaar Hilliard, als Zentrum aller familiären Bastionen im US-Kino im Kern natürlich nicht gefährdet, wird in eine kleine Auseinandersetzumng getrieben, wenn der Film die Frage behandelt, wie man dem Aggressor gegenübertreten soll – aggressiv oder passiv duldend.

In dieser Auseinandersetzung liegt dann auch des Pudels innerster Kern. Die Hilliards entscheiden sich für passiven Widerstand, offenbar eine Taktik, die das Paar und seine Kinder weit getragen hat im Leben. Auf der anderen Seite die Gangster – impulsiv, hasserfüllt, allein gegen alle – deren Way Of Life offenbar nicht mehr funktioniert: „Ihr seid die Richtigen“, faucht Bogart einmal seine Geiseln an. „Spießer und Geschäftemacher! Scheißkerle. Wir haben die Sorte kennengelernt: vollgefressen auf der Geschworenenbank. Sperrt das Pack ein!“ Bei der Szene fällt uns dann auf, dass wir gar nicht genau wissen, was eigentlich die Ausbrecher hinter Gitter gebracht hat; was haben sie verbrochen? Die Frage bleibt ungeklärt, weil die Erzählung sie nicht wichtig findet. Dabei ist es in den Zeiten harter Kriminalfilme durchaus interessant, was Bogarts jüngerer Bruder Hal sagt, als er das Trio verlässt. Er wolle nicht mit einem Mord in Verbindung gebracht werden. Wegen Mordes also, dem ultimativen Kapitalverbrechen, sitzen die Brüder nicht.

„Klickediklickediklick, ich höre schon, wie es arbeitet”. William Wylers Portrait einer Gesellschaft, deren gehegte Gewissheiten verfallen, ist großes Schauspielerkino, das Kameramann Lee Garmes mit beeindruckenden Weitwinkelaufnahmen des Inneren eines Vorstadthauses in eine vertraute Umgebung packt. Gänsehautkino.

Wertung: 7 von 7 D-Mark
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