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Plakatmotiv: Freaks (1932)
Ein berührendes Drama
mit Horror-Elementen
Titel Freaks
(Freaks)
Drehbuch Clarence Aaron 'Tod' Robbins + Willis Goldbeck + Leon Gordon
nach der Kurzgeschichte „Spurs“ von Clarence Robbins
Regie Tod Browning, USA 1932
Darsteller

Wallace Ford, Leila Hyams, Olga Baclanova, Roscoe Ates, Henry Victor, Harry Earles, Daisy Earles, Rose Dione, Daisy Hilton, Violet Hilton, Schlitze, Josephine Joseph, Johnny Eck, Frances O'Connor, Peter Robinson u.a.

Genre Drama, Horror
Filmlänge 64 Minuten
Deutschlandstart
5. Oktober 1969 (TV-Premiere)
Inhalt

Liliputaner Hans tritt in einem kleinen Zirkus auf und ist mit einer ebenfalls Kleinwüchsigen verlobt, aber eigentlich in die Trapezkünstlerin Cleopatra verliebt. Die wiederum, Geliebte des Athleten Hercules, treibt eine Weile ihre Spielchen mit Hans – bis sie entdeckt, dass dieser ein reicher Mann ist.

Plakatmotiv (UK): Freaks (1932)Mit Hercules fasst sie einen fiesen Plan, nicht ahnend, dass die Rache der Freaks bitter sein wird …

Was zu sagen wäre

Wer ist der Mensch? Wer das Monster? Wer ist gut? Wer ist böse? Universelle Fragen, die vor allem die Horror- und Monsterfilme besonders plakativ beantworten. In Tod Brownings als Horrorstück vermarktetem Film sind die schönen, hochgewachsenen Blonden die Monster, die Freaks die braven Bürger. Es gibt eine Szene, in der das Wochenbett der bärtigen Frau von den Freaks umringt ist und sich alle über die Geburt ihrer Tochter freuen. Die Freaks, als Monstrositäten nur begafft, sind Menschen mit Gefühlen und Liebe im Herzen. Das wirklich Monströse verbirgt sich hinter der Fassade der Schönheit.

Olga Baclanova ist die Prototyp des bösen Menschen, eines der großen Scheusale der knapp 40 Jahre alten Filmgeschichte – und das als Durchschnittstype. Außer schön ist sie nur hinterhältig, niederträchtig und ordinär. Hier ist es eine Frau und wenn auch Hollywood gerne die blonde Frau als Synonym für alles Verderbte dieser Welt instrumentalisiert, präsentiert Baclanovas Cleopatra Eigenschaften, die sie mit den meisten normalen Menschen des Films teilt – und ihre Schönheit ist das einzige Kapital, die einzige Waffe, die sie im Überlebenskampf des Zirkus-Prekariats besitzt. Von „Horror“ lange Zeit keine Spur. erst am Ende kippt das Drama in eine gruslige Rachestory mit – für die Bösen – schrecklichen Ausgang.

Der Film kam 1932 in die Kinos, das produzierende MGM-Studio wollte einen Horrorfilm, der den Schrecken Bela Lugosis als Dracula unter der Regie von Tod Browning in den Schatten stellte. Und Brownung lieferte – keine gefletschten Zähne, keine zusammengenähten Menschen, keine Außerirdischen. Browning besetzte seinen Film ausschließlich mit real existierenden Menschen, darunter halt eben auch einen Mann ohne Unterleib, siamesische Zwillinge, Liliputaner, eine bärtige Frau, ein Mann ohne Arme und ohne Beine. All diese von der Gesellschaft abschätzig „Freaks“ gerufenen Menschen bilden eine enge Gemeinschaft innerhalb der Zirkuswelt, machen sich doch die meisten „normalen“ Artisten heimlich über sie lustig; als Außenseitergruppe hält man da besser zusammen.

Plakatmotiv (US): Freaks (1932)Im damaligen Kino erzeugte der Film offenbar gewaltigen Horror, viele Besucher verließen empört den Saal. So etwas wollten sie nicht sehen. Über Jahrzehnte geriet der Film auf den Index. Brownings Hauptdarsteller sollten bleiben, wo sie herkamen: in den Sideshows der Wanderzirkusse, in denen man sie als gespenstige Attraktion hielt, um die Besucher anzulocken. Da mochten sie sich dann ein bisschen gruseln. Als Browning ihnen dieselben Menschen im Kino als ihresgleichen zeigt, waren die Besucher, die mit der großen Depression, der Wirtschaftskrise zu kämpfen hatten und wenigstens im Kino Sonnenschein wollten, überfordert. Wenn sich der Mann ohne Arme und Beine mit dem Mund ein Streichholz anzündet, mit der er sich eine Zigarette ansteckt, wenn die Armlosen mit den Füßen beim Essen Messer und Gabel halten, dann erscheint unsereins das zirkusreif sein, für diese Menschen ist es aber einfach ein Stück Alltagsrealität, wie wir sie heute im Kino allenfalls in homöopathischen Dosen serviert bekommen. Ähnlich verhält es sich mit einem wiederkehrenden Thema über das schwierige Liebesleben siamesischer Zwillinge – eine beim Wort genommene Verbindung zwischen Frauen, in der für Männer nur sehr schwierig Platz ist.

In der letzten viertel Stunde liefert Browning seinen Produzenten, was die eigentlich wollten: Schrecken, der Dracula alt aussehen lässt. Da mutieren die „Freaks“, die uns bislang in vielen liebevollen Sequenzen als die humaneren Menschen vorgestellt wurden, zu einer nach Rache dürstenden Truppe Entstellter. Ihre Motivation ist leicht nachzuvollziehen: Sie ziehen gegen ein blondes Monster in den Kampf und machen – wie zuvor die „Monster“ – keine Gefangenen. Das läuft zwar Brownings ursprünglicher humanistischer Intention zuwider, ist innnerhalb der Grenzen des Genrefilms aber legitim. Erst das verstörende Ergebnis des Rachefeldzuges verstört, denn das wirft die Frage auf, ob die „Freaks“ womöglich übermenschliche Mächte in Anspruch nehmen können – was sie dann tatsächlich gefährlich oder gruselig erscheinen ließe.

Tod Brownings „Freaks“ ist ein Meilenstein des Genres. Aus Sicht des Jahres 1932 ein Meisterwerk des Horrorfilms, dem erst mit den Jahrzehnten, die folgten, moralische Fragezeichen angeheftet wurden. Heute, im Zeitalter politisch korrekter Kommunikation, in dem Menschen mit Behinderungen kaum in Kinofilmen auftauchen – hier mal ein Mädchen mit Downsyndrom, da mal ein Autist oder auch mal ein Professor im Rollstuhl –, in dem Mediziner und Krankenkassen diskutieren, ob man Fruchtwasseruntersuchungen auf Krankenschein festschreiben solle, mit denen sich frühzeitig festellen lässt, ob das Ungeborene eventuell unter Trisomie leidet und also besser abgetrieben wird, in diesem Zeitalter ist es schwer, den menschen einen Film wie „Freaks“ zu zeigen; die Diskussion über Darf man das? Werden die nicht vorgeführt? nähmen kein Ende und den gezeigten Menschen ihre Würde sowie dem Film seine hohe Qualität. Den Menschen, die in der Zeit lebten, als der Film in die Kinos kamen, konnten zwar empört das Kino verlassen, um dann wahrscheinlich im nächsten Zirkus wieder in die Sideshow zu schielen, welche Kreaturen diesmal in Käfigen zu begruseln waren. Aber immerhin hatten sie ja nicht ein Ticket für einen fröhlichen Familienfilm gelöst, sie wussten genau, was sie erwartet. Das Kinoplakat tönte ja nicht zufällig: „Kann eine ausgewachsene Frau allen Ernstes einen Zwerg lieben?

Nur, dass der Zwerg und seine Freunde dann keine Monster sind sondern so menschlich und sich kaum zum Schauder eignen, hatten sie nicht erwartet und rührte eher das schlechte Gewissen.

Wertung: 5 von 6 D-Mark
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