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Plakatmotiv: The Tourist (2010)

Elegante Menschen mit schicker
High Tech in eleganter Kulisse

Titel The Tourist
(The Tourist)
Drehbuch Florian Henckel von Donnersmarck & Christopher McQuarrie + Julian Fellowes
nach dem Drehbuch zu dem französischen Thriller "Anthony Zimmer" (2005) von Jérôme Salle
Regie Florian Henckel von Donnersmarck, USA 2010
Darsteller

Johnny Depp, Angelina Jolie, Paul Bettany, Timothy Dalton, Steven Berkoff, Rufus Sewel, Christian De Sica, Alessio Boni, Daniele Pecci, Giovanni Guidelli, Raoul Bova, Bruno Wolkowitch, Marc Ruchmann, Julien Baumgartner, François Vincentelli, Clément Sibony, Ralf Möller u.a.

Genre Thriller
Filmlänge 103 Minuten
Deutschlandstart
16. Dezember 2010
Website thetourist.com
Inhalt

Elise Ward ist in den falschen Mann verliebt. Alexander Pearce, so heißt dieser Mann, ist nämlich auf der Flucht, weil er der britischen Regierung 744 Millionen Pfund an Steuern schuldet - und einem Glücksspiel-Syndikat 2,3 Milliarden Dollar. 20 Millionen hat Pearce jüngst in ein neues Gesicht investiert. Niemand, auch nicht seine Geliebte Elise, weiß, wie er aktuell aussieht.

Also hält sich der britische Geheimdienst an Elise, verfolgt sie auf Schritt und Tritt. Irgendwann müssen die beiden ja Kontakt aufnehmen.

In einem Café in Paris erhält Elise eine Nachricht, offenbar von Alexander. Sie soll den 8.22-Uhr-Zug vom Gare de Lyon nehmen. Im Zug soll sie Kontakt zu einem Mann aufnehmen - zu irgendeinen Mann, Hauptsache, dieser hat etwa Alexanders Statur und Alter. Bis der Zug in Venedig eintrifft, ist alles erledigt. Elise hat sich Frank Tupelo geagelt - Amerikaner, Mathematiklehrer, Witwer. Ihre Beschatter fallen drauf rein, glauben, in Tupelo den gesuchten Pearce vor sich zu haben. Dabei ist der verschüchterte Mathematiker alles andere als ein Mann, der zum Milliardendieb taugt. Aber ehe er sich's versieht, steht er mit der schönen Fremden auf dem Balkon eines venezianischen Grand Hotels und küsst sie.

Und jetzt ist auch der letzte Geheimdinstmann überzeugt, Pearce durch das Fernglas zu beobachten. Übrigens auch die Killer des Syndikats-Bosses, der seine 2,3 Milliarden wiederhaben will.

Am Morgen nach einer durchaus ereignislosen Nacht im Hotelzimmer ist Elise verschwunden. Und der Mathematiklehrer aus den Staaten flieht vor ein paar Killern über die Dächer von Venedig …

Was zu sagen wäre

Ich beneide Florian Henckel von Donnersmarck um diesen Film. Ich kann gut verstehen, warum er ihn gedreht hat: Elegante Frauen, Super-Duper-High-Tech, eine Handlung immer leicht neben allem Realistischen, überschaubare Twists, und amüsante Over-the-Edge-Albernheiten in großartiger Kulisse – Paris und Venedig wirken hier, wie extra fürs Kino erfunden. Außerdem konnte er Angelina Jolie in eleganter Garderobe fotografieren (Salt – 2010; Wanted – 2008; Der fremde Sohn – 2008; "Die Legende von Beowulf" – 2007; Mr. & Mrs. Smith – 2005; "Alexander" – 2004; Sky Captain and the World of Tomorrow – 2004; Lara Croft – Tomb Raider: Die Wiege des Lebens – 2003; Original Sin – 2001; Lara Croft: Tomb Raider – 2001; Nur noch 60 Sekunden – 2000; Durchgeknallt – 1999; Der Knochenjäger – 1999; Leben und Lieben in L.A. – 1998). Eine Frau, für die Millionen Menschen Geld an der Kinokasse ausgeben, um sie zu sehen. Kino ist, daran erinnert dieser Film, in erster Linie ein Guck-Medium. Erst das Bild. Dann die Handlung.


Kinoplakat (US): The TouristErinnerung an Audrey Hepburn und Cary Grant

Erinnerungen an alte Audrey-Hepburn-Cary-Grant-Filme werden wach – Charade von 1963 etwa, oder David Leans "Traum meines Lebens" von 1955. Donnersmarck (Das Leben der Anderen – 2006) erzählt seine Geschichte provozierend langsam, tut so, als seien seit den genannten Filmen nicht drei Generationen neuer Kinokonsumenten herangewachsen, die das schnelle Sehen gewöhnt sind, die auf Schlüsselreize reagieren, die heute eine Szene in drei Sekunden erzählen. Nein, von Donnersmarck erlaubt Moderne in diesem Film nur in der Überwachungstechnik – und die ist gleich schon wieder so albern übertrieben, wie seine Polizisten tumb sind – eine Reminiszenz an Alfred Hitchcock, dessen Film-Bobbies meist dümmer waren, als die Polizei erlaubt. Was übrigens auch für den ein oder anderen FX-Shot gilt: Wenn Johnny Depp über die Dächer von Venedig flüchtet, sieht der blaue Himmel aus wie eine schlecht beleuchtete Tapete; und immer auch wieder gerne gesehen: Fahrten im offenen Boot durch die Lagune – die Frisur sitzt, felsenfest!

Ein unmöglicher Film also zum Jahreswechsel 2010/2011 – acht Jahre nach Start der Bourne-Trilogie, in der ebenfalls ein Unschuldiger durch halb Europa gehetzt wurde. In den Bournefilmen hätte die Handlung des Donnersmarck'schen Tourist in einer zehnminütigen Nebenhandlung Platz gefunden und nichts hätte gefehlt. Aber darum geht es eben gar nicht. "The Tourist" will langsam und elegant sein.

Die Arroganz eines Regisseurs

Ich verstehe nicht, was alle Welt gegen den Film hat. Von spannungsarmer Langsamkeit war die Rede, davon, dass die Chemie zwischen Jolie und Depp nicht Funken sprühe, von unglaubwürdiger Story „in der heutigen Überwachungsstaat-Zeit“. Ich glaube, da wollten Manche ihr Mütchen an dem bis zur Arroganz selbstsicher auftretenden Oscar-Preisträger kühlen. Den Oscar haben ihm alle gegönnt („Wir sind Oscar!”), aber, bitte, hätte er danach nicht etwas bescheidener auftreten können? Dann muss halt auch schon mal in die Platitüdenkiste gegriffen werden: Was bei positiver Bewertung die rätselhafte „atmosphärische Dichte” ist, ist beim Verriss dann die Chemie, die zwischen den Hauptfiguren nicht stimmt. Okay: Angelina Jolie ist kein Method Actor und in der Kunst subtiler Mimik immer schon leicht überfordert; hier ist sie zudem zu stark geschminkt.

Aber sie ist angemessen geheimnisvoll, versprüht erotisches Selbstbewusstsein und wirkt glaubwürdig darin, wie sie den Mathelehrer um den Finger wickelt. Der wiederum agiere somnambul, schreiben die Kritiker, außerdem sei Johnny Depp „ganz schön füllig” geworden („Was die Frau auf der Flucht bloß an dem findet?”). Wie reagiert nur ein Mathelehrer aus der US-Provinz, wenn er von einer stark geschminkten, geheimnisvoll wirkenden Angelina Jolie umgarnt wird – auch wenn so etwas wahrscheinlich nur im Film passiert? Haut er One-Liner raus wie Bruce Willis? Und sieht dabei aus wie Brad Pitt? Ich finde: Nö! Eher so, wie Johnny Depp. Dass seine Körperfülle am Ende aufgeklärt wird, haben die Kritiker wahrscheinlich nicht mitbekommen – möglicherweise waren sie schon in die bissigsten Formulierungen ihrer Verrisse vertieft.

Johnny Depps wunderbare Mimik

Die Story ist unglaubwürdig? Ach Du Schreck! Die bejubelte Bourne-Trilogie ist wahrscheinlich ein verkanntes Doku-Drama. Es gilt, etwas mehr vom Film aus zu denken und weniger aus der eigenen Erwartungshaltung. „Was will der Film?” Nicht „Was will ich?” Wenn der Film dann noch nicht funktioniert, okay! Also, ich habe viel gelacht, mich über Johnny Depps wunderbare Mimik gefreut – manches erledigt er mit einem kurzen Gesichtsmuskelzuck – hatte Spaß an Angelinas Kleidern, habe wunderbare Stadtpanoramen gesehen, und mich über den Mathelehrer aus dem US-Backyard amüsiert, der in Venedig dauernd spanisch spricht und dazu elektrische Zigaretten raucht.

Und ich habe mich über die Continuity geärgert. Die oder der gehört auf die Nachsitzbank: Charaktere, die etwas in die Hand nehmen, sollten dies nach dem Umschnitt nicht noch einmal tun. Charaktere, die sich herumdrehen, sollten dies nicht nach dem Umschnitt noch einmal tun – es sei denn, es handelt sich um ein Musikvideo. Sowas stört und lässt einen Film billig wirken. Jedenfalls, wenn der Cutter an anderer Stelle nicht wunderbare Übergänge geschaffen hätte, die elegant fließen und mich mitnehmen.

Die Zuschauer im ziemlich vollen Kino übrigens (dritte Spielwoche) haben sich hörbar amüsiert.

Wertung: 4 von 7 €uro
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