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Plakatmotiv: Die Verlegerin (2017)

Spielbergs nostalgischer Blick zurück auf
Alternative Fakten aus dem Weißen Haus

Titel Die Verlegerin
(The Post)
Drehbuch Liz Hannah & Josh Singer
Regie Steven Spielberg, UK, USA 2017
Darsteller
Meryl Streep, Tom Hanks, Sarah Paulson, Bob Odenkirk, Tracy Letts, Bradley Whitford, Bruce Greenwood, Matthew Rhys, Alison Brie, Carrie Coon, Jesse Plemons, David Cross, Zach Woods, Pat Healy, John Rue u.a.
Genre Biografie, Drama
Filmlänge 116 Minuten
Deutschlandstart
22. Februar 2018
Website foxmovies.com/the-post
Inhalt

In den 1970er Jahren übernimmt Katharine "Kay" Graham das Unternehmen ihrer Familie – die Washington Post – und wird so zur ersten Zeitungsverlegerin der USA.

Sie sieht sich und ihre Zeitung in eine schwere Auseinandersetzung mit der amerikanischen Regierung verwickelt, als sie gemeinsam mit dem ehrgeizigen Redakteur Ben Bradley auf eine Story über vier US-Präsidenten und deren jeweiliges geheimes Wissen über Amerikas Rolle im Vietnam-Krieg stößt. Vollblutjournalist Bradley will die Informationen um jeden Preis veröffentlichen, selbst wenn er dafür ins Gefängnis gehen muss. Die Papiere belegen, dass die Soldaten, die weiterhin nach Vietnam geschickt werden, verheizt werden in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Mittlerweile vier Präsidenten ziehen die Truppen nicht aus Vietnam ab, zu 70 Prozent deshalb, so heißt es in den Dokumenten, damit die US-Armee nicht ihr Gesicht durch einen Rückzug aus Vietnam verliert. „Das muss aufhören“, sagt Bradlee. Graham bangt um die Sicherheit und die finanzielle Zukunft ihrer Angestellten.

Ihre Position als Journalistin, amerikanische Patriotin und Geschäftsfrau bringt sie in eine moralische Zwickmühle …

Was zu sagen wäre

Manchmal geht mit Steven Spielberg sein Spieltrieb durch – unter anderem das macht seine Filme so besonders: Und ist ihm die Story seines Films, sein Anliegen, noch so ernst. Wenn Spielberg eine Chance sieht, mit seinem Medium zu spielen, kann er nicht Nein sagen.

Am Ende seines Films über die ersten Schritte der Washington Post hin zu jener bedeutenden Zeitung, die sie heute ist, wenn die große juristische Schlacht geschlagen ist, Präsident Nixon in sein Oval-Office-Telefon seinen Stabschef anknurrt, dieser solle dafür sorgen, dass nie wieder ein Mitarbeiter der Washington Post einen Fuß in sein Weißes Haus setzt – im Original soll man an dieser Stelle den Mitschnitt der echten Nixon-Telefonate hören –, am Ende seines Films also, und das kann man ruhig verraten, weil es die Spannung des Films nicht beeinträchtigt, aber die Bedeutung der erzählten Kämpfe von Pressefreiheit gegen Staatsgeheimnis hervorhebt, verfolgt Steven Spielberg einen jungen afroamerikanischen Wachmann, der im Untergeschoss eines Hauses ein abgeklebtes Türschloss findet und seiner Zentrale einen möglichen Einbruch im Watergate Hotel meldet. Die Szenen sind eine nahezu exakte Kopie der Auftaktsequenz aus Alan J. Pakulas Die Unbestechlichen, mit dem er 1976 die Geschichte erzählte, wie zwei Reporter der Washington Post unter dem strengen Regiment des Chefredakteurs Ben Bradlee mit ihren Recherchen Richard Nixon zum Rücktritt zwingen. Eine schöne Geste, mit der sich Spielberg vor Alan J. Pakulas Film verneigt.

Der Vergleich mit diesem Klassiker des Zeitungsreporter-Films drängt sich natürlich auf – dieselbe Zeitung, derselbe Chefredakteur und jetzt noch dazu jene Verlegerin, von der man spätestens seit Pakulas Film weiß, sie werde „ihre Titten durch eine dicke fette Mangel gedreht kriegen, wenn ihr das veröffentlicht“, so hatte damals der ehemalige Justizminister der Vereinigten Staaten und aktuelle Leiter des Büros zur Wiederwahl des Präsidenten, John Mitchell, den Washington-Post-Reporter Carl Bernstein während dessen Watergate-Recherchen angeherrscht (der dann nicht nur seine Recherchen, sondern auch Mitchells Kommentar veröffentlichte – ohne die „Titten“).

In Steven Spielbergs Film will noch niemand ihre Titten durch die Mangel drehen. Wir lernen Kay Graham als Darling der Washingtoner Society kennen, der ehemalige Verteidigungsminister McNamara geht bei ihr ein und aus, über Kennedy reden hier alle nur als „John“. Zeitungsverlegerin ist sie, weil ihr Mann, der Zeitungsverleger, sich erschossen hat, und nun muss sie in mühsamen Stunden das große Einmaleins der Betriebswirtschaft pauken, um den Männern im Vorstand ihrer Zeitung den anstehenden Börsengang schmackhaft zu machen. Die hören dann aber gar nicht hin, die Herren im Vorstand, und das kann man ihnen nicht mal vorwerfen. Genauso, wie es damals völlig normal war, das Vorstandszimmer mit Zigarren und Zigaretten zuzuqualmen, war es völlig normal für die Herrschaften, dass Frauen den Haushalt machten – aber keine Zeitung besaßen; das mussten beide Seiten erst lernen.

Der Charme dieses Films ist, dass wir erleben, dass sie es lernen werden. Der Charme dieses Films ist, dass er zwar über vergangenen Zeiten erzählt, dabei aber zwei sehr heutige Diskurse führt: der Kampf der Presse gegen das Weiße Haus, Stichwort Fake News und Alternative Fakten. Und die Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Kay Graham also ist anfangs das parkettsicherer Mitglied der Partygesellschaften und gleichzeitig die eingeschüchterte Herrin über eine Zeitung, deren Chefredakteur Ben Bradlee so gerne in der Liga der New York Times spielen möchte, aber über regionale Bedeutung nicht hinauskommt, und die jetzt an die Börse drängt. Meryl Streep spielt Kay Graham (Florence Foster Jenkins – 2016; Im August in Osage County – 2013; Die eiserne Lady – 2011; Julie & Julia – 2009; Von Löwen und Lämmern – 2007; Der Teufel trägt Prada – 2006; Robert Altmans Last Radio Show – 2006; Der Manchurian-Kandidat – 2004; Die Brücken am Fluss – 1995; Am wilden Fluss – 1994; Das Geisterhaus – 1993; Der Tod steht ihr gut – 1992; Jenseits von Afrika – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Kramer gegen Kramer – 1979; Manhattan – 1979; Die durch die Hölle gehen – 1978). Plakatmotiv: Die Verlegerin (2017) Sie war (auch) für diese Rolle für den Oscar nominiert. Streep oszilliert zwischen giggelnder Hilflosigkeit mit mädchenhaftem Augenaufschlag, wenn ihr Anwalt Fritz geduldig gerne auch dreimal wirtschaftliche Zusammenhänge erklärt, und zunehmender Härte gegen die Arroganz der weißhaarigen Bedenkenträger im Vorstand, die Angst vor den Banken haben.

In ihrer besten Szene bleibt sie stumm. Da wird sie von ihrer Party weggerufen, wo sie gerade einen Toast auf einen Gast ausbringt und schon ein, zwei Gläschen getrunken hat, und muss nun in einer Telefonkonferenz mit Chefredakteur, Bedenkenträgern und Anwälten ultimativ die Entscheidung treffen, die den Niedergang ihrer Zeitung einläuten kann, oder sie zur Ikone der Pressefreiheit macht, zum leuchtenden Symbol im Kampf gegen Unterdrückung und Korruption. Da steht sie nun in ihrem Partykleid, den Telefonhörer in der Hand und wir sehen, wie es in dieser Frau arbeitet, erleben in ihrem flackernden Blick, den zitternden Lippen, an die Spielbergs Kamera langsam immer näher heranfährt, wie wirtschaftliche Sicherheit gegen ungewissen Idealismus streiten – was ist Journalismus wert, wenn die Mächtigen dessen Inhalt bestimmen und dann weiter Soldaten in den Tod nach Vietnam schicken? Welche Rolle spielt die Presse in der Gesellschaft? Eine große Szene: aus der Society Lady wird die Verlegerin.

Die Pentagon Papiere, um die sich doch alles dreht, interessieren Spielberg gar nicht – in den USA gibt es Kritiker, die sagen, diese Papiere seien eben doch mehr eine Geschichte der New York Times gewesen; diese Papiere sind nur Spielbergs MacGuffin, um die Hauptfiguren zu portraitieren, sie positionieren zu können. Das macht den Film einigermaßen spannend, Journalismus und Zeitung-machen als Thriller. Thriller leuchten über ihre Figuren.

Große Szenen dieser Art hat der Film sonst keine. Er hat nostalgische Szenen, für Journalisten ist er wie ein prachtvoller Besuch im Zeitungsmuseum. Wir erleben Bleisetzer, die an großen Maschinen Buchstaben zu Sätzen zusammenschieben, Redakteure, die über Textfahnen gebeugt mit Bleistift Manuskripte bearbeiten, wir sehen erwachsene Männer auf dem Boden in Ben Bradlees Wohnzimmer sitzen, wo sie Dokumente sortieren, aus denen sie dann auf Schreibmaschinen ihre Geschichten destillieren – das waren nocht Zeiten, ohne Computer.

Mitten hinein in diese Männer- und Arbeiterwelt hat Familienmensch Spielberg eine kleine Familiengeschichte eingeflochten – während die Journalisten auf Bradlees Wohnzimmerboden arbeiten, verkauft seine Tochter selbstgemachte Limonade für 25 Cent, deren Preis Bradlee eigenmächtig auf 50 Cent hoschschraubt, von wegen Angebot und Nachfrage. Die Geschichte gipfelt schließlich in einem ansehnlichen Geldbündel neben der leeren Limonadenkanne. Eine Familienminiatur, die den trockenen Politstoff auflockert und die etwas über den bärbeißgen Chefredakteur als Familienmensch aussagt, dem erst seine Frau erklären muss, warum sich Kay Graham mit ihrem speziellen Rollenwechsel in dieser speziellen Männerwelt so schwer tut. Auch Familienmensch Bradlee ist ein Mann seiner Zeit. Tom Hanks (The Circle – 2017; Sully – 2016; Bridge of Spies – 2015; Der Krieg des Charlie Wilson – 2007; The Da Vinci Code – 2006; Terminal – 2004; Ladykillers – 2004; Catch Me If You Can – 2002; Cast Away – Verschollen – 2000; Der Soldat James Ryan – 1998; Apollo 13 – 1995; Forrest Gump – 1994; Philadelphia – 1993; Schlaflos in Seattle – 1993; Eine Klasse für sich – 1992; Joe gegen den Vulkan – 1990; Scott & Huutsch – 1989; big – 1988; Geschenkt ist noch zu teuer – 1986; Bachelor Party – 1984; Splash – Jungfrau am Haken – 1984) ist ein macht- und selbstbewusster, leidenschaftlich für seine Redaktion kämpfender, bisweilen rauer Chefredakteur. Aber wenn er kernig seine Unterlippe vorschiebt und die Füße auf den Schreibtisch legt, wirkt er – vielleicht, weil man Pakulas Die Unbestechlichen eben doch die ganze Zeit mitdenkt – wie eine Verbeugung vor Jason Robards, der den Bradlee 1976 so unnachahmlich knurrig gespielt hat.

Die Geschichte zwischen diesen Momenten – zwischen der stumm kämpfenden Meryl Streep am Telefon, den nostalgischen Reporter- und den wärmenden Familienszenen – läuft einfach so. Man schaut zu, wie die sehr papierlastige Paragraphen-Geschichte auf ihren bekannten Ausgang mit dem zentralen Richterspruch „Zeitungen sind nicht für die Regierenden. Zeitungen sind für die Regierten!“ zusteuert, weiß sich bei Spielberg und seinem Haus-und-Hofkameramann Janusz Kaminski in guten Händen, erduldet John Williams' Score mit ununterbrochem Hörner- und Trompetenschall – und wenn der Film dann vorbei ist, verspürt man Lust, mal wieder Die Unbestechlichen zu gucken.

Wertung: 4 von 8 €uro
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