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Plakatmotiv: Shin Godzilla
So sarkastisch war der Gigant noch nie
Godzilla drischt auf Regierungsfunktionäre
Titel Shin Godzilla
(Shin Gojira)
Drehbuch Hideaki Anno / Sean Whitley für die englische Version
Regie Hideaki Anno & Shinji Higuchi, Japan 2016
Darsteller

Hiroki Hasegawa, Yutaka Takenouchi, Satomi Ishihara, Ren Ôsugi, Akira Emoto, Kengo Kôra, Mikako Ichikawa, Jun Kunimura, Pierre Taki, Kyûsaku Shimada, Ken Mitsuishi, Shingo Tsurumi, Kimiko Yo, Takumi Saitô, Takashi Fujiki u.a.

Genre Monsterfilm
Filmlänge 120 Minuten
Deutschlandstart
4. Mai 2017
Website Godzilla-Wiki
Inhalt

In der Bucht von Tokio kommt es zu unerklärlichen Ereignissen: Eine Yacht treibt auf dem Wasser, der Besitzer ist spurlos verschwunden. Zur gleichen Zeit scheint unweit davon wie aus dem Nichts ein Vulkan auf dem Meeresgrund auszubrechen. Schnell wird klar, dass die Geschehnisse von einem lebenden Organismus ausgegangen sein müssen.

Erste Videos der unbekannten Kreatur tauchen auf: Es ist riesig und bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit auf die Stadt zu. Die Behörden müssten jetzt eigentlich schnell handeln, um die Bevölkerung vor einer Katastrophe zu schützen.

Doch in keinem Notfall-Plan der Welt ist geregelt, wie man mit einem unbekannten, gigantischen Monster umgeht. Regierung, Behörden, Verbände verheddern sich heillos in einem Kompetenzwirrwarr, während das Monster seinen Weg geht.

Einem Mitglied der Regierung werden bislang unveröffentlichte Aufsätze eines Forschers zugespielt, die das Geschöpf zu erklären versuchen – und ihm einen Namen geben: Godzilla! Mit Hilfe der Experten setzt die Regierung alles daran, es zu besiegen …

Was zu sagen wäre
Diesmal lässt sich die Riesenechse nicht lange Zeit. Nach einer Minute greift etwas an, nach drei Minuten erschüttern heiße Fontänen und Risse die Bucht von Tokio und nach acht Minuten haben sich die Mitglieder des Kabinetts in ihren jeweiligen Befangenheiten und Politritualen verkeilt: Verantwortlichkeiten werden zurückgewiesen, Zuständigkeiten weitergeschoben, abweichende Meinungen weggedrückt. Nach zwölf Minuten erreicht Godzilla Tokio-Festland und erzeugt Bilder, wie Japan sie aus Zeiten Fukushimas 2011 in bitterer Erinnerung hat. Der Premierminister, der sehr auf sein Bild in der Öffentlichkeit bedacht ist, im Kabinett aber von ängstilchen Ja-Sagern umgeben ist, ist erschreckend tatenlos. Selbst angesichts der großen Katastrophe feilschen derweil mittlere Beamte um bessere Posten in der politischen Hierarchie. Als der entnervte Premier nach Fachleuten ruft, nicht nach Titelträgern, empfiehlt ein junger Mitarbeiter: „Eine frühere Mitstudentin im Umweltministerium kennt sich ganz gut aus. Sie ist aber nur Abteilungsassistentin.“ Diese kenntnisreiche Frau referiert dann die Möglichkeiten, dass „das Wesen“ Beine haben könnte. „Und was nun?“, fragt der Premier und ein Mitarbeiter grätscht dazwischen „Aber wie dem auch sei. Derzeit steht noch nicht fest, welche Behörde in diesem Fall zuständig ist“ und der Umweltminister stottert, während draußen das Monster tobt, „die Assistentin unseres Abteilungsleiters hat sich da wohl etwas weit vorgewagt.“ So sarkastisch waren Godzilla-Filme nie.

Godzilla war schon früher politisch aufgeladen, schon als er 1954 sein Debüt hatte; damals trampelte er als Opfer radioaktiver Strahlung mit Tokio die Hauptstadt des einzigen Landes nieder, in dem zwei Atombomben detoniert waren. Das Politische verlor sich aber bald aus den Filmen, sie wurden bunter Comic-Pop, unterhaltsame Abenteuer für Kinder jeden Alters. Eine US-amerikanische Produktion versucht seit 2014, Godzilla als eine Art Entität zu etablieren, die den Kreislauf der Natur intakt hält und der Mensch nur noch staunendes Opfer übernatürlicher Kräfte und einstürzender Hochhäuser ist. Die Autoren des vorliegenden Godzilla-Films, einem Reboot, in dem Godzilla wieder gänzlich unbekannt ist, reiten boshafte kleine Attacken gegen die USA: Nachdem das Monster Tokio zerstört hat, steht die Weltgemeinschaft Gewehr bei Fuß, sollte Hilfe erwünscht sein. Aber die Perspektive, dass eine multinationale Koalition „unter Führung der USA“ das Problem beseitigen könnte, stößt in der japanischen Regierung und in den Behörden auf wenig Freude. Wenn es zu vermeiden wäre … die würden ja doch wieder alles an sich reißen, alle Informationen haben wollen, eigene Erkenntnisse aber wieder mal unter Geheimhaltungsstufe stellen – „Schrecklicher als Godzilla sind nur noch Menschen, oder?

Artwork: Godzillas MetamorphosenIn diesem Godzilla ist das Monster also keine göttergleiche Entität, in diesem Film bleibt die Verantwortung, sich zu schützen beim Menschen. Und der baut ob dieser neuen Lage gleich neue politische Strukturen auf. Godzilla ist also wieder politisch. Das Chaos, das in dieser – von keinem Notfallplan abgedeckten – Situation bei den Regierungsvertretern ausbricht, erinnert an die Tatenlosigkeit und Abwiegelungen der japanischen Regierung nach dem 11. März 2011. Die Zerstörung, die Godzilla hinterlässt, erinnert nicht zufällig an die Bilder aus Fukushima, die das Fernsehen 2011 tagelang übertrug. Irgendwann hat die Regierung dann Katastrophenpläne zusammengestellt, nach denen man das Monster zu bekämpfen versucht. Darin wird die Region Tokio nun besonders geschützt. Das erklärt ein alter Journalist einem jungen so: „Tokio hat alles in allem 13 Millionen Einwohner. Das Bruttosozialprodukt liegt bei 85 Billionen Yen, immerhin 17% von Japan. Zusammen mit der Kantō-Region 200 Billionen Yen; das macht 40 Prozent. Das ist eine strategische Lageeinschätzung und die ist durchaus nachvollziehbar.“ Anders formuliert: Fukushima hatte diese Kennzahlen nicht; vielleicht deshalb Atomkraftwerke.

Die Regie zeigt natürlich alle Essentials, die zu einem Godzilla-Film gehören, inklusive der herumfliegenden Hochbahn, diese wunderbaren Totalen, die im Zeitalter digitaler Bildtechnik natürlich überragend sind, brennende Großstädte und Godzillas (neuen) Feueratem. Und es geht von vorne los: Niemand kennt das Monster, es unterzieht sich mehrerer Metamorphosen, bevor es aussieht wie good old Godzilla; aber die Zeiten des Schauspielers im Gummikostüm sind vorbei. Was aus dem jüngsten Goldzillafilm verschwunden ist, ist die Technikbegeisterung, der naive Glaube, die Regierung werde schon Laserwaffen oder Ähnliches im Köcher haben, mit der die Japaner in früheren Godziallfilmen dann auf Monsterjagd gingen. Nach Fukushima wissen die Japaner: Die Regierung hat nicht nur keine Wunderlaserwaffe; sie hat auch längst nicht immer einen Plan. „Herr Minister!“, sagt schließlich Rando Yaguchi, ein desillusionierter Beamter entnervt, „weil sich die japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg an theoretische Luftschlösser und an die Vorstellung geklammert hat, dass alles so sein würde, wie man es gerne hätte, gab es am Ende drei Millionen Opfer. Haltloser Optimismus verbietet sich hier von selbst!

Die Behörden wissen sich schließlich nur zu helfen, indem sie alle eingeübten demokratischen Prozesse ausschalten. Der tapfere Rando Yaguchi kann schließlich ein Team zusammenstellen, dem die Arbeit folgendermaßen schmackhaft gemacht wird: „In diesem Gremium hat nichts, was Sie tun, Einfluss auf Ihre Personalbeurteilung. Vergessen Sie jede Hierarchie nach Amt, Alter oder Behörde. Sprechen Sie hier alles aus, was Sie denken!“ Das klingt wie Helmut Schmitt, als der als Kanzler im Heißen Herbst 1977 seinem Krisenstab auftrug, alles zu sagen, auch das Unaussprechliche. „Ich mache mal weiter“, sagt ein weiterer direkt in die Kamera: „Hier sind lauter Leute versammelt, die niemals bei der Regierung Karriere machen werden: Außenseiter, einsame Wölfe, Ekelpakete, Nervensägen und wissenschaftliche Nonkonformisten. Folgen Sie nur Ihrem Instinkt!

Das Schachern um politische Posten zieht sich durch diesen Film wie eine Wespe, die sich nicht vertreiben lässt. Es fällt schwer, dem mit einem Naja-so-stimmt-das-ja-alles-nicht gegenüberzusitzen. Es stimmt ja so eben doch. Irgendwann fragt man sich dann, wer die größere Katastrophe ist: Godzilla, oder die entfesselten USA? Japan zieht Godzillas Zerstörung weiter Teile Tokios einer atomaren US-Streitmacht jedenfalls vor. Das Vertrauen in die gewachsenen Strukturen ist wohl weg.

So politisch, so global, so endgültig war Godzilla noch nie!

Wertung: 7 von 8 €uro
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