Buchcover: Späte Familie
Eine wortgewaltige Trennung
mit aufgeklebtem Happy End
Titel Späte Familie
(Thera)
Autor Zeruya Shalev, Israel 2005
aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Verlag Berlin Verlag
Ausgabe Gebunden, 581 Seiten
Genre Drama
Inhalt

Das Scheitern einer Ehe ist oftmals eine langsame, eine schleichende Angelegenheit. Ella beschließt, diesem quälenden Prozess, der einer allmählichen Vergiftung gleicht, ein jähes Ende zu setzen.

Von einem Tag auf den anderen beschließt sie, sich von ihrem Mann Amnon zu trennen, und bittet ihn, die Wohnung zu verlassen. Sie bleibt zurück mit Gili, ihrem gemeinsamen Kind … und gerät übers Grübeln ins Zweifeln. Die Krise trifft die selbständige, selbstbewusste Frau wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. Die lang ersehnte Freiheit schien nun endlich da zu sein – stattdessen findet sie sich konfrontiert mit einer lähmenden Angst vor der großen Einsamkeit, mit Depressionen und dem furchtbaren Gefühl, ihrem Kind den Vater, die Familie genommen zu haben.

Aufrührend auch die Erkenntnis, dass man einen Menschen, mit dem einen das eigene Kind verbindet, nie wirklich verlassen kann. Die Fäden des gemeinsamen Schicksals bleiben auf immer verknüpft. Eine neue Liebe bringt wiederum neue Kinder aus einer geschiedenen Ehe mit sich – und so setzt sich für die mutige Protagonistin eine „späte” Familie zusammen, ein höchst kompliziertes Gebilde, auf dem viele Hoffnungen ruhen und das dennoch auf lange Zeit eine empfindsame, zarte Pflanze bleibt, deren Überleben keinesfalls gesichert ist  …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Späte Familie

Saugut. Bis auf die letzten hundert Seiten. Aber das scheint bei Zeruya Shalev zum Prinzip zu gehören: Am Ende nichts mit den Figuren anzufangen wissen, die man mühsam aufgebaut hat und also sowas wie ein Happy End hinkrampfen.

Zunächst: Treffsicher beschrieben die Zeit der Trennung, die Depressionen, die Zweifel, die Licht-am-Ende-des-Tunnels-Einbildungen, die Rückfälle, all das also, was tatsächlich zu einer Trennung dazugehört. Angenehm, dass dies ganz ohne die zeitgeistliche Ironie passiert, die die erste Dekade des 21. Jahrhunderts bei mutmaßlich schweren Theman beherrscht.

Shalevs Sprache ist wieder Atem nehmend. Die Sätze kürzer, als im Vorgänger Mann und Frau, dadurch aber nur hypnotischer, die plappernde Verzweiflung des weder ein– noch aus wissen unterstreichend.

Mit zwei Worten: Alles großartig.

Und dann zieht sie mit dem neuen Mann, Odet, zusammen und von Anfang an steht die Frage im Raum „Warum eigentlich?” Warum ist das mehr, als ein knackiger Five-nights-Stand? Beide Charaktere passen nicht zueinander, alles schreit „Mach es nicht!” Statt dessen destilliert sich die Ich-Erzählerin zur selbstgerechten Egomanin, die ihren sechsjährigen Sohn wie einen Schutzwall vor sich herschiebt und das dann als Muttertier-Attitüde zu verkaufen sucht.

Egal, was ihr zu Beginn angehimmelter Odet, ein Psychater – ausgerechnet – tut, sagt oder nicht tut und nicht sagt. Sofort wird es als Angriff auf den geliebten Jungen, Gili, gewertet und entsprechend rumgeschnauzt. Dem geneigten Leser, männlich, bleibt die Erkenntnis: Lieber Single bleiben. Bei allen Wunden und Verletzungen, die das bisweilen mit sich bringt.

Aber auch das ist ja eine schriftstellerische Qualität: Dass eine Figur sich selbst so beschreibt, dass der Leser körperliche Abwehrreaktionen erzeugt. Aber vielleicht wäre das Happy-End in Form einer „Wir bleiben eine halbe Familie” doch besser gewesen.

Nach Mann und Frau ist dies mein zweiter Roman von Zeruya Shalev. Ich habe gelesen vom 31. März bis 14. April 2006.