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Plakatmotiv: Pulp Fiction (1994)

Das ist Kino und
Kino ist Kunst

Titel Pulp Fiction
(Pulp Fiction)
Drehbuch Quentin Tarantino & Roger Avary
Regie Quentin Tarantino, USA 1994
Darsteller

John Travolta, Samuel L. Jackson, Tim Roth, Amanda Plummer, Eric Stoltz, Bruce Willis, Ving Rhames, Phil LaMarr, Harvey Keitel, Maria de Medeiros, Rosanna Arquette, Peter Greene, Uma Thurman, Duane Whitaker, Paul Calderon, Frank Whaley, Burr Steers, Bronagh Gallagher, Susan Griffiths, Steve Buscemi, Eric Clark, Joseph Pilato, Brad Blumenthal, Angela Jones, Don Blakely, Christopher Walken, Carl Allen, Stephen Hibbert, Laura Lovelace u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 154 Minuten
Deutschlandstart
3. November 1994
Website pulp-fiction.com
Inhalt

Los Angeles:

  • Die Auftragskiller Vincent Vega und Jules Winnfield sollen für ihren Boss Marsellus Wallace ein Hit erledigen und müssen als Folge eine ungewollte Leiche beseitigen.
  • Vince soll außerdem auch die Freundin von Marsellus ausführen – und die möchte tanzen und Vincent möchte bloß keinen Fehler machen.
  • Das Pärchen Pumpkin und Honey Bunny will ein Restaurant ausrauben, was jedoch ebenfalls nicht ganz nach Plan verläuft.
  • Boxer Butch haut seinen Auftraggeber bei einem manipuliertem Kampf über die Ohren und muss nun schnell die Stadt verlassen. Doch als seine Freundin etwas wichtiges vergisst, gerät er in einer unangenehme Situation.

Drei unterschiedliche Geschichten, die an diesem Tag alle immer mal wieder ineinanderlaufen …

Was zu sagen wäre

Jahrzehntelang wurde der Hitman falsch eingeschätzt. Denn Killer putzen nicht den ganzen Tag ihre Waffen, reden über Waffen und äußern sich abfällig über Typen, die auf ihre Liste stehen. Für Killer ist das Killerdasein sowas wie just another Day at the Office.

In "Pulp Fiction" zeigt uns Quentin Tarantino, wie so ein Killervormittag wirklich aussieht – zwischen den Jobs. Da sitzen Jules und Vincent im Auto, von denen wir noch keine Ahnung haben, wer und was sie sind und warum sie im Auto sitzen, und Vincent erzählt von seinen drei Jahren, die er in Amsterdam verbracht hat und, dass man dort im Kino sein Bier nicht nicht im Plastikbecher bekäme, sondern in einem echten Glas. Und auch der Quarterpounder hieße in Europa anders, weil die dort das metrische System haben: „Sie nennen ihn Royal mit Käse". Dann steigen die beiden Männer aus, holen ihren Knarren aus dem Kofferraum und debattieren auf dem Weg zum Job darüber, was die Fußmassage, die ein Mann einer Frau angedeihen lässt, über die Beziehung der beiden zueinander aussagt. Sie kommen zu unterschiedlichen Ansichten, werden sich nicht einig. Und klopfen an der Wohnungstür des Jobs.

Das Zusammenleben der Menschheit besteht aus Kommunikation. Die ganze Welt ist Kommunikation. Reden, labern, dummes Zeug schnacken. Auf die ein oder andere Weise reden wir dauernd. „Hassen Sie das nicht auch? Unbehagliches Schweigen“, fragt Mia Wallace Vince Vegas. Wenn Menschen nicht reden, kommt es zu Missverständnissen, Menschen können nicht nicht kommunizieren (sagt der Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick). Wenn sie reden, schießen sie nicht. „Erst schießen, dann fragen“? Nicht mit Quentin Tarantino, der nach seinem Regidebüt Reservoir Dogs (1992) und zwei interessanten Drehbüchern (True Romance – 1993; Natural Born Killers – 1994) hier seinen zweiten. Spielfilm vorlegt, der so verrückt schön und strahlend durchgeknallt ist, wie das nur junge Künstler hinbekommen, die noch nichts zu verlieren haben, aber davon träumen, alles zu erreichen.

Ein Wunder ist eine Tat Gottes“, sagt Killer Jules, der einen Hang zu Bibelstellen hat. Und in der Tat kann man die Welt, in die uns der Film mitnimmt, als eine Aneinanderkettung göttlicher Fügungen halten. Gott würfelt nicht, soll Albert Einstein gesagt haben, und nicht alles ist ein Wunder. Aber wäre nicht das passiert, wäre dies nicht geschehen ist ein roter Faden, der sich durch das komplexe Storygewirr des Films zieht.  Alles hängt mit allem zusammen, auch wenn wir im Kinosessel das zunächst nicht erkennen – Gottes Wege sind ja auch unergründbar. Nein, Quentin Tarantino ist kein (Regie-)Gott. Aber er hat mal eben das jahrhundertealte Konzept des linearen Erzählers in die Tonne getreten und erweist sich damit als brillanter Gestalter seiner Welten.

Gerüchten zufolge kann man Tarantino nachts um drei Uhr wecken und fragen, aus welchem Jahr der Film Blechpiraten stammt und er antwortet korrekt „1974“, als die Frage noch nicht ausformuliert ist. Er wird also Stanley Kubricks The Killing (1956) kennen, in der der Überfall auf eine Pferderennbahn in Zeitsprüngen hin und zurück erzählt wird. Ähnlich geht Tarantino in "Pulp Fiction" zu Sache. Sein Film erzählt kein Unterwelt-Drama. Plakatmotiv: Pulp Fiction (1994) Sein Film beschreibt die Unterwelt und um all die Geschichten, drei Hauptgeschichten und jede Menge Nebengeschichten, in sich zusammenhängend erzählen zu können, muss der Film in der Zeit vor und zurück springen und was nach komplizierter Storystruktur klingt, braucht uns im Kinosessel gar nicht zu kümmern. Wenn wir realisieren, dass die auffallenden Turnklamotten („Geht Ihr zu 'nem Volleyballspiel?“) doch die sind, die die Figuren anfangs schon mal plötzlich an hatten, werden uns die Zeitsprünge elegant und wie von selbst klar. Das Drehbuch mit seiner verschachtelten Struktur und den klar erzählten Figuren ist ein großes Kunstwerk.

Ein Boxer, der einen manipulierten Kampf manipuliert, um sich mit dem erretteten Geld zur Ruhe setzen zu können? Tausend Mal erzählt, tausend Mal gesehen. Zwei Auftragskiller, die in Probleme geraten? Nichts Neues mehr im Kino des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die schöne Frau des Oberbosses, die für Verwirrung unter dessen Angestellten sorgt? Kein Grund, ein Ticket zu kaufen. Sowas landet heute höchstens noch als Storyline in Groschenromanen mit ihrer Trivial- oder Schundliteratur (engl.: Pulp Fiction).

Der Film "Pulp Fiction" bündelt mehrerer dieser Storylines und fügt diesen auserzählten Geschichten dann ganz neue Wendungen hinzu. Die Story um den betrügenden Betrugs-Boxer, in der Bruce Willis seiner Karriere ein weiteres Highlight aufpflanzt (Tödliche Nähe – 1993; Der Tod steht ihr gut – 1992; The Player – 1992; Last Boy Scout – 1991; Hudson Hawk – 1991; Fegefeuer der Eitelkeiten – 1990; Stirb Langsam 2 – 1990; Stirb langsam – 1988; Blind Date – 1987), startet nicht nur mit einem beeindruckenden Monolog von Christopher Walken (True Romance – 1993; Batmans Rückkehr – 1992; James Bond 007 – Im Angesicht des Todes – 1985; Dead Zone – 1983; Projekt Brainstorm – 1983; Heaven's Gate – 1980; Die durch die Hölle gehen – 1978; Der Stadtneurotiker – 1977), der im getippten Script unglaubliche vier Seiten einnimmt und in seiner geschriebenen und gespielten Qualität fast einen Film im Film liefert; sie nimmt auch einen unerwarteten Verlauf, der mit unappetitlich gut umschrieben ist, und damit meine ich kein matschiges Blutbad: Es gibt immer irgendeinen Hillbilly-Scum, der nicht weiß, dass Du der mächtige Unterweltboss bist, und Dich einfach fickt.

Die schöne Frau des mächtigen Unterweltbosses spielt Uma Thurman ("Cowgirl Blues" – 1993; Jennifer 8 ist die Nächste – 1992; Eiskalte Leidenschaft – 1992; "Robin Hood – Ein Leben für Richard Löwenherz" – 1991; Die Zeit der bunten Vögel – 1990; Gefährliche Liebschaften – 1988; "Die Abenteuer des Baron Münchhausen" – 1988) und ihr gehört zusammen mit John Travolta, der Vincent Vega spielt, den Angestellten dieses Bosses ("Kuck' mal wer da jetzt spricht!" – 1993; Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren – 1981; Grease – Schmiere – 1978; Nur Samstag Nacht – 1977; Carrie: Des Satans jüngste Tochter – 1976), die schönste Szene im Film, weil weder die schöne Frau des Bosses sich verhält wie ihr Filmklischee, noch der Angestellte so hilflos ist, wie es die Pulp-Konstellation vorschreibt, und beide zusammen einen Tanz aufs Parkett legen, der gute Laune macht – in einem Film voller blutiger Gangster.

Indem Tarantino mehrere dieser Trivialstorys vermengt und sie miteinander in Beziehung setzt, schafft er etwas Neues. Es ist seine sehr persönliche Version eines Anything Goes, die er mit den Mitteln des Kinos und Zitaten seiner Klassiker erzählt. Tarantino ist ein Kenner der B-Film-Geschichte, er spielt mit deren Formen. Wenn er mitten im Titelvorspann die Musik wechselt – wir hören jemanden einen neuen Sender im Radio suchen – weist das auf den Wert der Musik in jenen B-Filmen hin, die austauschbar war. In "Pulp Fiction" hingegen ist die Musik nicht austauschbar, im Gegenteil, in manchen Szenen bestimmt sie die Handlung. So ist Tarantino Kino am liebsten: Es geht voran, voran, voran. Die Kugeln fliegen, die brillanten Dialoge schneiden, die Luden fallen. Ein selbstreferentielles Kinouniversum, in dem jede Aktion eine Reaktion erzeugt und logisch ineinander über geht … und in dem viel geredet wird, aber das sagte ich ja schon.

Wertung: 11 von 11 D-Mark
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