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Kinoplakat: Pocahontas
Disneys romantisches Epos
zur Völkerverständigung
Titel Pocahontas
(Pocahontas)
Drehbuch Carl Binder + Susannah Grant + Philip Lazebnik
Regie Mike Gabriel & Eric Goldberg, USA 1995
Stimmen

Irene Bedard, Judy Kuhn, Alexandra Wilcke, Mel Gibson, Sigmar Solbach, Linda Hunt, Hildegard Knef, David Ogden Stiers, Joachim Kemmer, David Ogden Stiers, Wilfried Herbst, Christian Bale, Gunnar Helm, Russell Means, Gerd Holtenau, Gordon Tootoosis, Helmut Heyne, James Apaumut Fall, Bernd Vollbrecht, Michelle St. John, Irina von Bentheim, Bobbi Page, Constanze Knapp u.a.

(aufgeführt sind die Original- und die deutschen Synchronstimmen von 1951 und 1973)

Genre Zeichentrick
Filmlänge 81 Minuten
Deutschlandstart
16. November 1995
Website WaltDisney.org
Inhalt

Im 17. Jahrhundert landen englische Siedler an der Küste Amerikas, unter ihnen der berühmte englische Abenteurer John Smith. sie sollen im Auftrag der Virginia Company das noch junge Amerika erkunden. John Ratcliffe, Leiter der Expedition und selbsternannter Gouverneur des neu gegründeten Jamestown, träumt davon, beladen mit Gold & Silber in die Heimat zurückzukehren. Die Besatzung hat da im Grunde nichts dagegen; sie sieht in der neuen Welt einen rückständigen Ort, den es zu verbessern gilt.

In dieser „rückständigen“ Welt verspricht Indianerhäuptling Powhatan seine Tochter Pocahontas dem größten Krieger des Volkes, Kokoum, der aber nie lacht und überhaupt so ernst ist. Stattdessen verliebt sie sich auf einem Erkundungsgang in den Engländer Smith.

Zwar verstehen sie einander zunächst nicht, doch Pocahontas hört auf den Rat ihrer Mentorin, einer alten sprechenden Trauerweide, sie solle auf ihr Herz hören und lässt sich auf Smith ein. Der lernt durch sie, dass die Ureinwohner alles andere als „furchtbare Wilde“ sind. Statt dessen lernt er ein Volk kennen, das in perfektem Einklang mit der Natur lebt. Das sieht leider John Ratcliffe ganz anders.

Ratcliffe will Gold. Er wiegelt seine Männer, die seit Wochen ergebnislos nach Gold den Walt umgraben, gegen die Wilden auf, behauptet, diese versteckten große Schätze und so stehen sich bald zwei zu allem entschlossene, jeweils schwer bewaffnete Armeen gegenüber …

Was zu sagen wäre

In seinem Bemühen, alle Ethnien gleichberechtigt mit Film zu versorgen, machen die Disney-Studios – endlich, möchte man sagen – bei den amerikanischen Ureinwohnern vor der eigenen Haustür Station: Sie verfilmen die Sage der mutigen Häuptlingstochter, die für Verständigung sorgt im Aufeinandertreffen von Fremden. Und Disney fährt im Jahr 1 nach dem Monsterseller Der König der Löwen (1994) alles auf, um seinen gerade erst renovierten Ruf zu festigen: Farbe, Mirakel, komische Tiere, edle Helden, das erste Babe der Disney-Historie, gierige Schurken – und leider auch Musik.

Die Gesangsnummern sind eine Pleite

Zwar werden die Songs in Disneyfilmen mit unschöner Regelmäßigkeit mit Oscars ausgezeichnet, das macht sie aber nicht besser; im vorliegenden Fall wirken sie besonders aufgesetzt, wenn die Figuren noch einen sinnlosen Halbsatz an einen schon beendeten Dialog hängen und dann zu einer Gesangsnummer ansetzen, die den Handlungsfluss beendet. Dass dann Russell Means etwa, der dem Powhatan die Stimme leiht, gar nicht singen kann, stört zusätzlich. Pocahontas, die im Original neben ihrer Sprechstimme (Irene Bedard) auch mit einer Singstimme (Judy Kuhn) ausgestattet worden ist (im Deutschen beides Alexandra Wilcke), kann das besser. „Colors of the wind“ („Das Farbenspiel des Winds“), der sowas wie das Main Theme im Soundtrack ist, gerät zum veritablen Ohrwurm. Dennoch: Die Musicalnummern durchbrechen die einfache Schönheit dieses Films.

Einziger Vorteil des Gesangs: Er rafft Zeiten. Während eines Songs graben Ratcliffes Schergen den halben Wald um und stellen fest Kein Gold. Ein weiterer Song und Pocahontas hat John Smith den Kopf gerade gerückt in der Frage, wer hier von beiden der Wilde ist, wenn der Fremde nicht einmal die Zeichen der Natur lesen kann. Ein dritter Song, und beide Seiten haben zu den Waffen gerufen, aufgerüstet, sind marschiert und stehen sich schon gegenüber. Die Disneykünstler dürfen den Gesang üppig untermalen – das tun sie mit Lust, Freude und großem Können.

Diese Frau ist anmutig und wunderschön

Auch dieser Film liefert wieder farbenprächtige Bilder, abstrakte Farbspielereien und zackige Gewitter. Das erste, das auffällt sind die Konturen: Gemessen an den durchschnittlichen Disney-Prinzessinnen – sofern sie humanoider Herkunft sind – ist die Häuptlingstochter aus dem 17. Jahrhundert ein echtes Megababe – tough und nicht auf den Kopf gefallen. Gut: Nicht auf den Kopf gefallen war die Schöne neben dem Biest (1991) auch, und durchsetzungsstark war Arielle, die Meerjungfrau (1989) auch – und ziemlich naiv. Auch die Mäusedama Bianca konnte mit ihrem tantigen Regenschirm-Charme sehr resolut auftreten. Und logisch: Duchesse, die Mutter der Aristocats, überwindet jede Hürde, wenn Gefahr für die Kinder droht.

Aber Gefahr bedeutet Duchesse schon, künftig auf die samtweichen Kissen der Madame Adelaide Bonfamille verzichten zu müssen – und wären da nicht die coolen Straßenkater, dann sähe es schlecht aus für die Katzendame. Belle kann ihre Freiheit nur erringen, wenn sie alles hinter sich lässt und sich opfert, in diesem Fall dem Biest, das sich dann als charmanter Glücksgriff erweist. Arielle käme ohne Flunder Fabius und Dirigentenkrabbe Sebastian nicht an Land – kaum sind die beiden Freunde mal nicht da, lässt sie sich von Hexe Ursula verzaubern. Und was wäre Bianca ohne ihren Bernard mit den handwerklichen Fähigkeiten?

Ein bisschen Ethno-Mirakel, ein wenig Historienstaub 

Pocahontas, die Häuptlingstochter ist die erste Disneyheldin, die keinen Partner braucht und alleine zurecht kommt – stolz, unabhängig, eine anmutige Schönheit mit – selbst für Disney-Standards – sehr lebendigen Augen; so fraulich hat Disney sich noch keine Heldin gezeichnet. Nichts mehr von einfältigem Dornröschen, das sich vom Prinzen küssen lassen muss. Hier kann der Prinz mit dem traurigen Namen John Smith froh sein, wenn Pocahontas, die Botschafterin für Multikulturelles, ihn nicht vom Baum schubst. Weil sie also so unabhängig ist, können ihre (im Disneyfilm obligatorischen) ständigen Begleiter Meeko, ein Waschbär, und Flit, ein Kolibri, ganz auf die komische Nummer reduziert werden, ohne durch dramaturgische Funktionen gebremst zu werden. Prompt sind Disney zwei seiner lustigsten Nebenfiguren gelungen.

Auch diese Disney-Produktion singt das Lied vom Schoß der Natur, der Kreislauf des Lebens – the circle of life – gibt den Takt vor, „stetig wie der Trommelklang“, dessen Einhaltung Großmutter Weide überwacht – ein alter Baum mit den Gesichtszügen einer herzallerliebsten Omama. Hier zirkeln Zauber-Winde, kreiseln kunterbunter Blätter, mäandern matt-goldene Flüsse, Disneys Version einer Völkerverständigung geht nur in der Zauberwelt auf; das dann prachtvoll. Mit den historischen Vorbildern – die es durchaus gibt – hat das alles (natürlich) nichts zu tun, aber man sollte wohl eine Disney-Produktion grundsätzlich nicht mit einem Geschichtsbuch verwechseln. So edel war der Wilde dann auch nicht, aber die Öko-Prinzessin versöhnt Amerika mit seiner Geschichte der Dezimierung der Ureinwohner. Und der semmelblonde John Smith lässt sich bereitwillig auf den Pfad der Natur ein und verspricht, fortan ein gelehriger Mülltrenner zu werden.

Wertung: 8 von 10 D-Mark
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