Buchcover: Stephen King – Mr. Mercedes

Stephen King schreibt mit
angezogener Handberemse

Titel Mr. Mercedes
(Mr. Mercedes)
Autor Stephen King, USA 2014
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Verlag Heyne
Ausgabe E-Book, 592 Seiten
Genre Thriller, Action
Website stephenking.com
Inhalt

Eine wirtschaftlich geplagte Großstadt im Mittleren Westen der USA. In den frühen Morgenstunden haben sich auf dem Parkplatz vor der Stadthalle Hunderte verzweifelte Arbeitsuchende eingefunden. Jeder will der Erste sein, wenn die Jobbörse ihre Tore öffnet. Im Morgendunst blendet ein Autofahrer auf. Ohne Vorwarnung pflügt er mit einem gestohlenen Mercedes durch die wartende Menge, setzt zurück und nimmt erneut Anlauf. Es gibt viele Tote und Verletzte. Der Mörder entkommt.

Noch Monate später quält den inzwischen pensionierten Detective Bill Hodges, dass er den Fall des Mercedes-Killers nicht aufklären konnte. Heute sitzt er Tag für Tag vor der Gotze, schaut sich Krawallshows an und spielt mit dem Gedanken, seinem Leben ein Ende zu setzen. Und dann bekommt er Post, ganz analog durch den Briefschlitz seiner Tür. Da schreibt jemand, der sich selbst als Mercedes-Killer bezichtigt und offenbar mit Hodges in Kontakt erwacht aus seiner Rentnerlethargie. Er will den Kerl kriegen. Außerdem befürchtet er, hat der Killer, und es muss der Mercedes-Killer sein, denn der Absender protzt mit Insiderwissen, zwischen den Zeilen ein neues Attentat angekündigt.

Hodges ist zwar pensioniert, aber seine alten Instinkte fuktionieren noch gut und so begibt er sich auf Spurensuche – bei seinen alten Cops, in der Nachbarschaft – und bei der ehemaligen Besitzerin des Mord-Mercedes‘. Offenbar war manches damals bei dem Attentat anders, als die offiziellen Ermittlungen (unter seiner Leitung) ergaben. Der ehemalige Cop verbeißt sich in den Fall, nur vage ahnend, dass der Killer genau das erreichen und ihm eine Falle stellen will …

Was zu sagen wäre
Mr. Mercedes

Die Zutaten des klassischen King-Romans sind alle vorhanden: eine definierte, abseits gelegene Stadt, verlorene Seelen, ein rätselhafter Killer. Und: Auf dem Beifahrersitz liegt auch noch eine Clownsmaske. King macht sich einen Spaß, hier und da frühere Werke zu zitieren, allerdings ncht als seinen Roman sondern als die jeweilige Verfilmung – John Carpenters Christine taucht ebenso auf wie die Miniserie Es. Auch Philip Marlowe erwähnt er, Raymond Chandlers Privatdetektiv, und das weist den Weg in diesen Roman. Der Schurke ist zwar, King-typisch, ekelhaft böse, aber er ist ein Mensch, ein sehr menschlicher Mensch mit allen Schlechtigkeiten, die wir aus früheren Kingwerken kennen. „Mr. Mercedes ist eine sehr intelligente Person“, schreibt King, „die nebenher wahnsinnig ist.“ Er hasst Menschen, Nicht-Weiße im Besonderen und er Sexfantasien mit seiner Wodka-taumelnden Mutter.

Es entwickelt sich aber kein Horrorroman mit Übersinnlichem, es entwickelt sich ein Krimi mit King-Touch. Sein Held, der pensionierte Cop, steht auf der Kippe in die Verwahrlosung vor dem Fernseher, ist gleichzeitig immer noch ein cleverer Vertreter seiner Zunft, er trinkt gerne, hat sich aber soweit im Griff. Dass seine Figur nicht in der Klischeefalle endet – auch hat ihn seine Frau verlassen, auch ist er einsam – ist der etwas haarsträubenden Volte geschuldet, dass dem Rentner-Cop ein Schuljunge und eine psychisch labile Mittvierzigerin zur Seite wachsen; da fordert King seine Leser schon heraus, diesen Weg mitzugehen. Aber weil King schreibt, wie er nunmal schreibt – bündig, fesselnd, immer mit der Prise Sarkasmus – gehen wir diesen mühsam glaubhaften Weg mit. „Zwei kleine Mädchen tapsen an den den Bordstein, Geld in der geballten Hand. Zweifellos hat man ihnen sowohl zu Haue als auch in der Schule eingeschärft, nie mit Fremden zu sprechen, vor allem nicht mit fremden Männern, aber wer könnte wohl weniger fremd sein als der gute, alte Eismann?“, formuliert King, während wir Leser natürlich wissen, dass jener gute, alte Eismann der Killer ist. „Er verkauft ihnen jeweils eine Tüte, einmal Schokolade und einmal Vanille. Dann macht er noch ein Späßchen, indem er sie fragt, wie sie so hübsch geworden sind. sie kichern. In Wirklichkeit ist die eine hässlich, und die andere sieht noch schlimmer aus.

Kings Sprache hält das Buch auf Trab. Die Story entwickelt sich auffällig an dramaturgischen Kniffen entlang, die Handlungselemente fügen sich passgenau in dafür freigeräumte Lücken und es wird nich so recht wichtig, ob das zweite Attentat gelingen wird, weil wir schon wissen, dass es, sollte es das tun, einen gewissen Personenkreis nicht erwischen wird. Langweilig wird es beim Lesen aber nie: „Dank seiner fünfjährigen Erfahrung schätzt Brady, dass es sich um Sechst- oder Siebtklässler mit einem gemeinsamen IQ von hundertzwanzig handelt, denen eine lange Zukunft als Arbeitslkosengeldempfänger bevorsteht. Oder eine kurze in irgendeinem Wüstenstaat.“ King ist halt King.

Das Katz-und-Maus-Spiel, das King inszeniert, entwickelt seinen Reiz also weniger aus einer perfide ziselierten Handlung, mehr aus der wechselnden Perspektive der Erzählung; abwechselnd erfahren wir, was der Ex-Cop treibt und was der – für uns Leser keinesfalls unbekannte – Killer treibt; nur, was er noch plant, hält King natürlich im Ungefähren, lässt hier und da mal eine Andeutung auf Explosives fallen. Eine diebische Freude muss es Stephen King, der in frühen Werken seinen Kapiteln gerne Strophen aus Rock-&-Roll-Klassikern vorangestellt hat, bereitet haben, hier eine Boy Band an den Rand der Katastrophe zu schieben. „Wenn er Glük hat, wird er (der Terrorist) nicht nur das halbe Publikum erwischen, sondern auch die Band.

„Mr. Mercedes“ ist ein ordentlicher Pageturner, mit angezogener Handbremse erzählt.

Ich habe „Mr. Mercedes zwischen dem 12. und dem 15. September 2016 gelesen.

Der Fall basiert auf wahren Begebenheiten. King hatte die Idee zu dem Roman, als er in den Lokalnachrichten von South Carolina von einem ähnlichen Mord per Auto erfuhr. Ursprünglich wollte er das Thema als Kurzgeschichte verarbeiten; schließlich umfasste das Manuskript aber rund 500 Seiten.