Senator Stoddard, der seine Karriere vor Jahrzehnten in der Kleinstadt Shinbone begann, kehrt mit seiner Frau zur Beerdigung eines alten Freundes zurück – Tom Doniphon. Im Ort gibt es nur wenige Menschen, die den alten Rancher noch kannten, da er sich die letzten Jahre immer mehr auf seine Ranch zurückgezogen hatte. Den neugierig gewordenen Journalisten des Shinbone Star erzählt er die Geschichte ihrer Freundschaft. Stoddard, der junge idealistische Anwalt, war hier schnell in Konflikt mit dem gefürchteten Banditen Liberty Valance geraten, der das Städtchen und seine Umgebung terrorisierte. Valance hatte nur vor dem raubeinigen Cowboy Doniphon Respekt.
Stoddards Versuche, Valance mit rechtsstaatlichen Mitteln zu stoppen, scheiterten. Als Stoddard sich gegen die Landbesitzer engagierte, die Valance bezahlten, kam es zum Showdown, an dessen Ende Stoddard als „Mann, der Liberty Valance erschoss“, gefeiert wurde. Tatsächlich fiel Valance aber nicht in einem fairen Zweikampf mit dem miserablen Schützen Stoddard. Er wurde vielmehr von Doniphon aus dem Hinterhalt erschossen, um Stoddards Leben zu retten, was aber niemand bemerkte. Der so entstandene Mythos ermöglichte Stoddard den politischen Aufstieg in höchste Ämter. Stoddard verdankt Doniphon nicht nur Leben und Karriere, er bekam auch die Frau, die dieser geliebt hatte.
Wenn plötzlich die Kaktusrose zur nachbarschaftlichen Lieblingspflanze im Haushalt avancieren sollte, so ist das diesem Film geschuldet; diesem Film, der hochpolitisch ist und zu den schönsten Western zählt, die John Ford inszeniert hat (Das war der Wilde Westen – 1962; Der letzte Befehl – 1959; Der schwarze Falke – 1956; Rio Grande – 1950; Der Teufelshauptmann – 1949; Faustrecht der Prärie – 1946; Trommeln am Mohawk – 1939; Der junge Mr. Lincoln – 1939; Ringo – 1939) – ja zu den schönsten Western überhaupt zählt. Zu den zentralen Elementen der Erzählungen, die die großen Western-Filme leisten, gehört der Streit zwischen Gewalt und Gesetz, aber selten wurden das durch den Colt erzwungene Recht und das durch gesellschaftlicher Ächtung durchgesetzte Gesetz so in den Mittelpunkt einer Filmerzählung gerückt, wie unter John Fords Regie – und geradezu innovativ ist Fords Ansatz, die in der US-Hybris tief verwurzelte Legendenverklärung der eigenen Geschichte zu thematisieren.
Ford feiert die Werdung des Rechtsstaates, feiert das gewaltfreie Miteinander – und wenn für die bessere Gesellschaft mal ein übler Schurke aus dem Hinterhalt erschossen werden muss, sei's drum: Es hilft dem Mythos von God's own Country und der Legendenbildung. Das alles kulminiert – nach großartigen, melancholischen, romantischen, menschlichen, actionreichen zwei Stunden – im Schlusssatz des Chefredakteurs des Shinbone Star: “When the legend becomes fact, print the legend!” (Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!) Einerseits schreit da der der Wahrheit verpflichtete Journalist im Kinosessel auf, windet sich der Nachrichtenredakteur neben ihm in Schmerzen. Andererseits hat dieser Senator Ransom Stoddard – dessen Vorname zu deutsch „Lösegeld“ heißt – eine beeindruckende Karriere auf dem Missverständnis, er habe den Killer Valance getötet, aufgebaut und dadurch viel Gutes für die USA bewirkt; die Einzelheiten werden nicht aufgedröselt, es heißt bündig, seine Karriere umfasse Posten als Senator, Gouverneur, Botschafter und wieder als Senator – dieser Stoddard muss also ein ganz Ordentlicher gewesen sein und James Stewart mit seiner Ehrlichkeit unter dem breitkrempigen weißen Hut lässt da auch keinen Zweifel dran. John Ford portraitiert die Vereinigten Staaten von Amerika an der Schwelle vom Land der Revolvertypen zum Staat des Gesetzes.
Schon die Exposition ist zum Heulen schön. Stoddard und seine Frau – die wunderbare Vera Miles als Kellnerin Hally (Psycho – 1960; Der falsche Mann – 1956; Der schwarze Falke – 1956) – kommen nach Shinbone und ganz unterschiedliche Figuren der örtlichen Gesellschaft begrüßen sie herzlich bis tränenerstickt – ein ehemaliger Sheriff, (Andy Devine, der leidenschaftliche Kutscher aus Fords Stagecoach – 1939) der örtliche Reporter, ein afroamerikanischer Gelegenheitsarbeiter – und, wichtiger noch, Ransom stoddard begrüßt diese menschen ebenso herzlich und willkommen. Das avisiert eine große Geschichte und John Ford bleibt sie uns nicht schuldig und füllt sie mit lauter großen Miniaturen: Bildung! Wenn Hally sagt, dass sie weder lesen noch schreiben kann, sind wir in unserem bezahlten Kinosessel genauso überrascht wie der unter den örtlichen Gegebenheiten verzweifelnde Stoddard, nur um uns dann mit den Realitäten konfrontieren zu lassen: „Sie können lesen und schreiben. Und was nützt es Ihnen. Sehen Sie sich doch an: Sie sind Tellerwäscher mit Schürze!“ James Stewart gerät hier an unser Statt in eine Gesellschaft, in der Männer das Sagen haben, die brutalen Männer.
Dieser Tom Doniphon – „Liberty Valance ist der gefährlichste Mann südlich des Picketwire Flusses. Nach mir!“ –, den sicher nicht zufällig John Wayne spielt (Das war der Wilde Westen – 1962; Die Comancheros – 1961; Land der 1000 Abenteuer – 1960; Alamo – 1960; Rio Bravo – 1959; Der letzte Befehl – 1959; Der schwarze Falke – 1956; Der See-Fuchs – 1955; Rio Grande – 1950; In letzter Sekunde – 1949; Der Teufelshauptmann – 1949; "Red River" – 1948; Die Freibeuterin – 1942; Ringo – 1939), hält sich die Kellnerin Hally mit tumben Sprüchen gerade so auf Abstand, dass er beizeiten, wenn das pflegebedürftige Alter in Kopf und Hüfte lauter rumort als der die Freiheit liebende Colt an der Hüfte, noch zugreifen kann, weil in der Zwischenzeit alle wussten, Hally trägt das Besetztzeichen des schnellen Scharfschützen Tom Doniphon: „Hally, Sie sehen bezaubernd aus, wenn Sie wütend sind!“. Die Frauen in John Fords Western haben sich auf dem Felsen pragmatisch eingerichtet zwischen diesen krakeelenden Pavianen – „Die Gesetzbücher gelten hier nicht. Hier draußen muss jeder seine Probleme selbst regeln.“ – und Mr. Anwalt, wie Doniphon ihn abfällig ruft, bleibt nichts übrig, als zu schimpfen: „Unter was für Menschen bin ich hier nur geraten?“
Die Heldentat, die Stoddard also gar nicht begangen hat, müsste seinen Ruf nun eigentlich nachhaltig zerstören – wenn der Chefredakteur nicht anders entschieden hätte. Stoddard hat eben was viel Wichtigeres in den Westen getragen: Das Gesetz! Die Durchsetzung des Gesetzes ohne Waffengewalt … denn er hat ja Valance nicht erschossen. Und er hat das Wahlrecht gebracht, inklusive der Regel, dass während der Wahl kein Alkohol ausgeschenkt wird: „Keine Ausnahmen möglich. Auch nicht für die Presse? Da greift die Demokratie ein bisschen zu weit!“ An dieser Stelle erleben wir Edmund O'Brien unerreicht als Mr. Peabody, den unbestechlichen Zeitungsmann mit Leidenschaft für seinen Berufsstand, der Fighter für die Pressefreiheit: „Ich bin ein Zeitungsmann! Kein Politiker! Die Politiker sind mein Material. Ich baue sie auf. Und reiße sie wieder runter. Aber ich will selber keiner sein! Ich bin Euer Gewissen, die einsame Stimme in der nächtlichen Wüste. Ich bin Euer Wachhund, der laut aufheult, wenn die Wölfe kommen. Und ich bin auch Euer Beichtvater!“ O'Brien gibt eine großartige Nummer ab!
Die eigentliche Heldentat des Ransom Stoddard ist seine Friedfertigkeit. Er würde sich sogar erschießen lassen für seine Überzeugungen. Aber eben weil das alte Amerika, das wahre Amerika, die amerikanischen Werte („Land of the Free“) in Person von Tom Doniphon, ihn beschützt, weil Stoddard eben langfristig Recht hat (was wir – und John Ford – natürlich nur aus der Rückschau wissen), wird er dann nicht erschossen, sondern baut an der Zukunft von God's own Country mit – und kriegt das Mädchen, das sich der Revolverheld schon gesichert glaubte, dann aber nicht mehr leisten kann. Es ist der endgültige Sieg des Geistes über die rohe Gewalt. John Ford hat diese Epos über das Werden eines Gemeinwesens sehr kreativ montiert, verzichtet zugunsten des bessern Timings auf zeitraubende Erklärsequenzen zwischen zwei Szenenbildern. Unter seiner Regie reicht es, dass Kellnerin Hally Revolvermann Tom ruft, weil Anwalt Ransom eine lebensverkürzende Dummheit plant, und schon holt Doniphon diesen in der Wüste vor der Stadt ein und kutschiert ihn zu einem Schießtraining. Bevor das Schießtraining losgeht, erfährt man, dass Tom an sein Haus einen Anbau plant – der zu Beginn des Films, ebenso wie die Kaktusrose eine wichtige Erinnerung-Rolle spielt. Da flechtet Ford elegant mehrere Erzählelemente zusammen, ohne Zeit zu verlieren, ohne mit Pathos zu langweilen.
Und wenn am Ende dann die Kaktusrose auf dieser Holzkiste mit dem toten Tom Doniphon darin steht, dann sieht man diesen Mann, der fast so schnell zieht wie sein Schatten – und dann auch noch trifft –, dann sieht man als friedliebender Mensch im Kinosessel die Geschichte der Vereingten Staaten von Amerika mit anderen Augen. Die Kaktusrose ist eben beides: wunderschön, aber falsch angefasst auch schmerzhaft und blutig.
James Stewart im Kino
James „Jimmy“ Maitland Stewart (* 20. Mai 1908 in Indiana, Pennsylvania; † 2. Juli 1997 in Beverly Hills, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schauspieler, der als einer der populärsten und erfolgreichsten Stars der Filmgeschichte gilt. Zwischen 1934 und 1991 hatte Stewart fast 100 Film- und Fernsehauftritte.
Seinen Durchbruch erreichte er Ende der 1930er-Jahre durch Frank Capras Komödien „Lebenskünstler“ und „Mr. Smith geht nach Washington“. Stewart verkörperte meistens den leicht unsicheren, bodenständigen und oftmals idealistischen Durchschnitts-Amerikaner. Ab den 1950er-Jahren spielte er zunehmend auch Charakterrollen mit düsteren Facetten, darunter in den Western von Anthony Mann und John Ford. Mit Alfred Hitchcock drehte Stewart einige der bedeutendsten Kriminalfilme der Filmgeschichte. 1941 gewann er den Oscar als bester Hauptdarsteller für die Screwball-Komödie „Die Nacht vor der Hochzeit“, außerdem erhielt er 1985 einen Ehrenoscar. Er wurde ebenfalls unter anderem mit zwei Golden Globes, dem Goldenen Ehrenbären sowie der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet.
- Der Mann für Mord (The Murder Man, 1935)
- Rose-Marie (1936)
- Next Time We Love (1936)
- Seine Sekretärin (Wife vs. Secretary, 1936)
- Kleinstadtmädel (Small Town Girl, 1936)
- Speed (1936)
- The Gorgeous Hussy (1936)
- Zum Tanzen geboren (Born to Dance, 1936)
- Dünner Mann, 2. Fall (After the Thin Man, 1936)
- Im siebenten Himmel (Seventh Heaven, 1937)
- Der letzte Gangster (The Last Gangster, 1937)
- Seekadetten (Navy Blue and Gold, 1937)
- Of Human Hearts (1938)
- Vivacious Lady (1938)
- Engel aus zweiter Hand (The Shopworn Angel, 1938)
- Lebenskünstler (You Can’t Take It with You, 1938)
- Ein ideales Paar (Made for Each Other, 1939)
- Tanz auf dem Eis (The Ice Follies of 1939, 1939)
- Mr. Smith geht nach Washington (Mr. Smith Goes to Washington, 1939)
- Drunter und drüber (It’s a Wonderful World, 1939)
- Der große Bluff (Destry Rides Again, 1939)
- Rendezvous nach Ladenschluss (The Shop Around the Corner, 1949)
- Tödlicher Sturm (The Mortal Storm, 1940)
- Keine Zeit für Komödie (No Time for Comedy, 1940)
- Die Nacht vor der Hochzeit (The Philadelphia Story, 1940)
- Komm, bleib bei mir (Come Live with Me, 1941)
- Pot o’ Gold (1941)
- Mädchen im Rampenlicht (Ziegfeld Girl, 1941)
- Winning Your Wings (1942)
- Ist das Leben nicht schön? (It’s a Wonderful Life, 1946)
- Fremde Stadt (Magic Town, 1947)
- Kennwort 777 (Call Northside 777, 1948)
- On Our Merry Way (1948)
- Cocktail für eine Leiche (Rope, 1948)
- Isle of Fury (1936)
- Startbahn ins Glück (You Gotta Stay Happy, 1948)
- Malaya (1949)
- The Stratton Story (1949)
- Mein Freund Harvey (Harvey, 1950)
- Der gebrochene Pfeil (Broken Arrow, 1950)
- Winchester '73 (1950)
- Abenteuer eines Pechvogels (The Jackpot, 1950)
- Die Reise ins Ungewisse (No Highway in the Sky, 1951)
- Die größte Schau der Welt (The Greatest Show on Earth, 1952)
- Meuterei am Schlangenfluss (Bend of the River, 1952)
- Stärker als Ketten (Carbine Williams, 1952)
- Nackte Gewalt (The Naked Spur, 1953)
- Die Todesbucht von Louisiana (Thunder Bay, 1953)
- Die Glenn Miller Story (The Glenn Miller Story, 1954)
- Über den Todespass (The Far Country, 1954)
- Das Fenster zum Hof (Rear Window, 1954)
- In geheimer Kommandosache (Strategic Air Command, 1955)
- Der Mann aus Laramie (The Man from Laramie, 1955)
- Der Mann, der zuviel wusste (The Man Who Knew Too Much, 1956)
- Die Uhr ist abgelaufen (Night Passage, 1957)
- Lindbergh – Mein Flug über den Ozean (The Spirit of St. Louis, 1957)
- Vertigo – Aus dem Reich der Toten (Vertigo, 1958)
- Meine Braut ist übersinnlich (Bell, Book And Candle, 1958)
- Anatomie eines Mordes (Anatomy of a Murder, 1959)
- Geheimagent des FBI (The FBI Story, 1959)
- Der Kommandant (The Mountain Road, 1960)
- Zwei ritten zusammen (Two Rode Together, 1961)
- Der Mann, der Liberty Valance erschoss (The Man Who Shot Liberty Valance, 1962)
- Mr. Hobbs macht Ferien (Mr. Hobbs Takes a Vacation, 1962)
- Das war der Wilde Westen (How the West Was Won, 1962)
- In Liebe eine 1 (Take Her, She’s Mine, 1963)
- Cheyenne (Cheyenne Autumn, 1964)
- Geliebte Brigitte (Dear Brigitte, 1965)
- Der Mann vom großen Fluss (Shenandoah, 1965)
- Der Flug des Phoenix (The Flight of the Phoenix, 1965)
- Rancho River (The Rare Breed, 1966)
- Die fünf Vogelfreien (Firecreek, 1968)
- Bandolero! (1968)
- Geschossen wird ab Mitternacht (The Cheyenne Social Club, 1970)
- Die Gnadenlosen (Fool’s Parade, 1971)
- The Shootist – Der letzte Scharfschütze (The Shootist, 1976)
- Verschollen im Bermuda-Dreieck (Airport ’77, 1977)
- Unsere Lassie (The Magic of Lassie, 1978)
- Der Fremde im Regenwald (Afurika monogatari, 1980)