Buchcover: Michel Houellebecq – Plattform
Die Liebesgeschichte
eines Enfant terrible 
Titel Plattform
(Plateforme)
Autor Michel Houellebecq, Frankreich 2001
aus dem Französischen von Uli Wittmann
Verlag DuMont
Ausgabe Gebunden, 340 Seiten
Genre Drama
Inhalt

Michel ist Beamter im Kulturministerium. Vierzig, farblos, frustriert und nach Dienstschluss einsamer Peep-Show-Erotomane und Experte im TV-Zappen. Die Urlaubspauschalreise ins Traumland Thailand verspricht diesem „ziemlich mittelmäßigen Individuum“ paradiesisches Glück und Erlösung: Sexgenuss und Asiatinnen.

Die Mitreisende Valérie, eine erfolgreiche Managerin in der Tourismusindustrie, lernt er erst nach der Rückkehr ins lieblose Paris wirklich kennen – und mit ihr ein tiefes menschliches Glück voller Obsessionen und ohne Bezahlung.

Zusammen erfinden Valérie und Michel ein rettendes Programm für die Reisebranche, die Plattform zum Glück: Wenn mehrere hundert Millionen alles haben, bloß kein sexuelles Glück und wenn mehrere Milliarden nichts haben als ihren Körper, dann ist das „eine Situation des idealen Tauschs“.

Michel und Valérie wollen die verlorene Liebesfähigkeit des Westens in neuartigen Ferienclubs organisieren. Aber das gemeinsame Glück wird bei einem terroristischen Anschlag in Thailand von Islamisten zerstört …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Plattform

Einer dieser Schlagzeilen-Romane. Hinten drauf steht ein Zitat aus dem „Spiegel“: „… Houellebecqs erster Liebesroman“. Das kann man sagen, auch wenn es mir schwer fällt, sein Buch mit Romantik im herkömmlichen Sinne in Verbindung zu bringen. Seine Sprache ist hart, seine Grundstimmung zynisch. Aber es hat ja auch niemand behauptet, dass „Liebe“ (die der „Spiegel“ erkennt) etwas mit Romantik zu tun hat (die ich bei Liebe vermute).

Houellebecqs Ich-Erzähler Michel belästigt uns zwischendrin gerne mit kleinen Buchkritiken, etwa zu John Grishams „Die Firma“, in deren Seiten er dann ejakuliert und feststellt, diese Seiten würden jetzt wohl verkleben. Es wäre aber eh kein Buch, dass man zweimal liest.

Eine deprimierende Liebesgeschichte

Dieser „Liebesroman“ ist deprimierend. Aber nah am Leben des mitteleuropäischen Mittelstandes. Der vermeintliche Nihilist Houellebecq erweist sich als das Gegenteil. Er genießt es, an seinen Hoffnungen zugrunde zu gehen. Er lässt seinen Hauptdarsteller Michel eine neue Liebe finden, lässt ihn sich fragen, warum ihm, dem absolut durchnittichen Langeweilertyp mit absolut langweiligem Durchschnittsjob im Kulturministerium diese Liebeserfahrung zuteil wird. Michel ist glücklich. Erst, als diese Liebe brutal beendet wird, begibt sich der „Langeweiler“ in die Isolation in Pattaya, dem thailändischen Sextourismus-Paradies schlechthin, um dort in seiner Hoffnungslosigkeit auf Wiederholung einer solchen Liebe zu sterben.

Interessanter ist, was Skandalchronist Houellebecq nicht beschreibt (vielleicht, weil er es nicht zustande bringt, weil er eben doch ein Nihilist ist?): Sein Roman enthält sich jeglicher Beschreibung einer Romantik. Über die Liebe Michels zu Valérie erfahren wir allerlei verschiedene Sexpraktiken, drastisch geschildert, wiewohl als lustfördernde Pornografie kaum zu benutzen, die kalt und oberflächlich bleiben. Andere Gefühle gesteht Houellebecq seinem Personal nicht zu, der Grad der Liebe erschöpft sich in Orgasmus-Explosionen, die mit anderen Frauen nicht möglich waren.

Männer sind die Opfer der Frauen, Frauen das starke Geschlecht

Houellebecqs Männer sind desillusionierte Opfer überspannter sexueller Erwartungen. Sie sind keine Promis, keine Millionäre, keine Yachtbesitzer. Es sind Beamte und kleine Angestellte, die erleben, dass Frauen sich ihre Alpha-Tiere woanders suchen und sie als onanierende Mit-Vierziger auf der Strecke lassen, die ihr Glück im Swingerclub suchen, weil es dort nur noch um „Lecken, Wichsen, Penetrieren“ geht, gänzlich abgekoppelt von gesellschaftlichem Stand und Vermögen.

Ist unsere Gesellschaft so? Dass Houellebecq der Liebling der Saison, als Enfant terrible gefeiert wird, legt eher das Gegenteil nahe. Journalisten, die des Feuilletons zumal, neigen zu übersteigertem Zynismus mit dem Hang zum „endlich sagt es mal einer!“ Die gerne zitierte schweigende Mehrheit mit Reihenhaus, Rama und zwei Kindern würde derlei Ansinnen, würde sie nicht schweigen, wahrscheinlich empört zurückweisen, das Gegenteil aber, während sie die Hecke ihres Vorgartens beschneidet und um 19:00 Uhr die Sportschau guckt, auch nicht beweisen können.

Der bürgerliche Intellekt richtet uns zugrunde

„Plattform“ ist demnach nicht das Sittenbild einer homogenen Gesellschaft. Houellebecq beschreibt den Ausschnitt einer Gesellschaft, die sich allzuviel auf ihre kontroverse Denkfähigkeit einbildet und daran zugrunde geht. An diesem Ausschnitt wird aber der Zuschnitt der Hecken nicht leiden, hinter denen weiterhin Kinder als Zeugnis einer menschlichen Fortpflanzungsmanie spielen.

Es wird sich vieles ändern in der Welt. Aber alles beim Alten bleiben. Auch das zeigt „Plattform“.