Buchcover: Dave Eggers – Der Circle
Huxleys Schöne Neue Welt Reloaded?
Ein hochaktueller Albtraum in Transparenz
Titel Der Circle
(The Circle)
Autor Dave Eggers, USA 2013
aus dem Amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ausgabe E-Book, 560 Seiten
Genre Thriller
Website eggers-dercircle.kiwi.de
Inhalt

Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim „Circle“, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann.

Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der „drei Weisen“, die den Konzern leiten – wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden.

Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles …

Was zu sagen wäre
Der Circle

Wir durchleuchten uns zu Tode – in Dave Eggers' Roman buchstäblich. „Der Circle“ beschreibt einen Albtraum Plüsch, bevölkert mit Dämonen, die ununterbrochen nette Freundlichkeitsfloskeln absondern und damit junge Menschen, deren Leben keinen Inhalt mehr hat, die dafür aber rund um die Uhr transparent sind für jedermann, unter ihre Knute zwingen. Die neue Macht hat nicht mehr der Bewohner des Hinterzimmers, die neue Macht hat der, über dessen Kanäle sich alle freiwillig outen; und wer je junge Menschen um die 30 hat reden hören – dauernd ist alles Super Schön, ständig wollen sie einem super super gerne etwas erklären – der weiß: Dave Eggers erliegt keiner Phantasie; was er beschreibt, ist von der Realität nur eben so weit entfernt, um aus Apple-Facebook-Google-Amazon jenen einen großen, Circle genannten Moloch glaubhaft zu machen.

Papier wird in dieser Welt als „Problem“ gesehen, weil „damit jede Kommunikation stirbt“. Man schaue auf sein Papier und damit höre es auf, „es hört auf mit Dir. Als wärst du der einzige Mensch, der zählt.“ Der in sich und einen Roman (in Buchform) versunkene Leser – bitte nicht. Lieber den Roman online lesen, wo alle mitgucken können, was dir gefällt und was eher nicht, wo Du hängen bleibst, wo Du drüber hinweg liest; anschließend diskutiert dann die Online-Gemeinde der Freiwilligkeit deinen Geschmack (und nordet Dich ein).

Der Klappentext (s.o.) verspricht einen Pageturner, aber die ersten knapp 80 Seiten führen mich (mit der Hauptfigur Mae) in den Campus ein. Alle strahlen hier immerzu und loben, ständig werden Bonuspunkte verteilt, wird jede Form von Kommunikation und Social Media nahezu religiös verehrt. „Partizipation, wie wir sagen, ist genauso wichtig wie alles andere, weil uns deine Work-Life-Balance am Herzen liegt, die Kalibrierung deines Onlinelebens hier im Unternehmen und außerhalb davon“, schwört sie die Social-Media-Beauftragte auf die Dauerpräsenz im Intranet ein. „Hör mal. Ich finde es durchaus nachvollziehbar, dass du Zeit mit deinen Eltern verbringen willst. Es sind deine Eltern! Das ist hochanständig von dir. Wie ich schon sagte: sehr, sehr cool. Ich will damit bloß sagen, dass wir dich auch sehr mögen und dich besser kennenlernen möchten. Deshalb wäre es schön, wenn du bereit wärst, noch ein paar Minuten länger zu bleiben, um mit Josiah und Denise zu sprechen. Okay?“, wird ihr schon bald freundlich gedroht. Ihren rasanten Aufstieg im Unternehmen erkennt sie an der Anzahl der Monitore, die schon bald ihren Schreibtisch bedecken. „Als Mae zu ihrem Schreibtisch zurückkam, war ein neuer Bildschirm, ihr fünfter, direkt neben ihrem Bildschirm für Fragen von Neulingen aufgestellt worden.“

Aber natürlich funktioniert der beste Horrorroman nicht, beherrschte er nicht die Kunst der Verführung. Digitales Gespamme, anonyme shitstorms gehören im „Circle“ der Vergangenheit an. Mae, die bald so etwas wie die diplomatische Vertretung des Circle ist und als solche rund um die Uhr für alle sicht- und hörbar, trägt ein Armband, über das sie in kontakt mit ihrer Fangemeinde treten kann: „Keine besonders zutraulichen Fische, diese Kerlchen. Moment, sind das überhaupt Fische?, fragte sie und blickte auf ihr Handgelenk, wo eine Viewerin bereits geantwortet hatte. Fische, huntertpro! Klasse Actinopterygii. Genau wie Kabeljau und Thunfisch.“ Social Fiction, positiv formuliert, verbreitet ihr Grauen umso effektiver.
Krankheiten eindämmen? Kein Problem, schwärmt die Ärztin mit den massentauglich großen, festen Brüsten: „Der erste positive Effekt war letzte Woche, als die Grippe den Campus erreichte und wir wenige Minuten später wussten, wer sie eingeschleppt hat. Wir haben die Person nach Hause geschickt, und niemand sonst wurde infiziert. Wenn wir die Leute doch bloß daran hindern könnten, Krankheitserreger auf den Campus zu bringen, was? Wenn sie das Gelände nie verlassen, sich nie draußen irgendwas einfangen würden, dann wäre alles bestens.

Die Gesellschaft in Eggers‘ Roman verwandelt sich raketenschnell in eine amorphe, gläserne Masse. Eigene Hobbies, Interessen, Lebensentwürfe haben sie nicht mehr, sind auch gar nicht vorgesehen – individuelle Ideen sind Pfui. Aussortiert werden die Älteren, die das Tempo der neuen Kommunikation nicht mehr gehen können – im Roman sind das Maes Eltern: „Ehrlich gesagt, es ist ziemlich anstrengend“, beklagt sich Maes Vater über die zunehmende Zahl von E-Mails: „Und wir haben schon oft erlebt, dass Leute wütend werden, wenn wir nicht innerhalb einer bestimmten Zeit antworten. Die schicken eine Nachricht und dann schicken sie am selben Tag noch zehn hinterher. ›Hab ich was Falsches gesagt?‹ – ›Sorry.‹ – ›Ich hab’s nur gut gemeint.‹ – ›Leckt mich doch.‹ Die führen echt neurotische Selbstgespräche. Deshalb kann ich diesen schnellen Nachrichtenaustausch, den die meisten von deinen Freunden offenbar haben wollen, nicht garantieren.“ Darauf erwidert die Tochter erschrocken: „Dad. Hör auf. Du klingst furchtbar. Ihre Mutter beugte sich vor. Mae, dein Dad will doch nur sagen, dass unser Leben ohnehin schon ziemlich angespannt ist und wir vollauf damit beschäftigt sind, zu arbeiten, Rechnungen zu bezahlen und uns um den ganzen Therapiekram zu kümmern. Sechzehn Stunden Mehrarbeit bringen uns in eine unhaltbare Lage.“

So, wie die Mechaniker dieser allumfassanden Transparenz hier dauernd immer nur „schon vorhandene Tools“ neu mischen, so wendet Eggers einfach nur die erschreckende Erkenntnis an, dass es nichts Gefährlicheres gibt, als einen freundlich lächelnden Menschen, der verspricht, ganz offen zu sein.

Ich habe das Buch zwischen dem 20. Dezember 2014 und 8. Februar 2015 gelesen.