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Plakatmotiv: Der General (1998)

Eine blutige Groteske mit
historischem Hintergrund

Titel Der General – Der Meisterdieb von Dublin
(The General)
Drehbuch John Boorman
nach einem Roman von Paul Williams
Regie John Boorman, UK, Irland 1998
Darsteller

Brendan Gleeson, Adrian Dunbar, Sean McGinley, Maria Doyle Kennedy, Angeline Ball, Jon Voight, Eanna MacLiam, Tom Murphy, Paul Hickey, Tommy O'Neill, John O'Toole, Ciarán Fitzgerald, Ned Dennehy, Vinny Murphy, Roxanna Nic Liam u.a.

Genre Biografie, Drama, Crime
Filmlänge 124 Minuten
Deutschlandstart
29. Juli 1999
Inhalt

Fettiges Haar und Schmerbauch unterm T-Shirt – das soll Dublins Herrscher der Unterwelt sein? Was soll man sagen? Ja! Martin Cahill, den es wirklich gab, sah genauso aus.

Fast 40 Jahre lang hielt der vollschlanke Arbeitslose mit dem Faible für Cremeteilchen die irische Polizei in Atem. Die Aura des gemütlichen Dicken, der fröhlich mit zwei Schwestern zusammenlebte, die beide Kinder von ihm hatten, funktionierte dabei wie ein perfekte Tarnung. Denn im Grunde war Cahill ein ausgemachter Psychopath.

Zwar teilte er mit Notleidenden gelegentlich seine Beute, was er als „Steuern bezahlen“ bezeichnete. Trotzdem sah er sich nicht als modernen Robin Hood. Seine Raubzüge waren das einzige, was ihm wirklich Spaß machte …

Was zu sagen wäre

Wir gegen die“, betont Martin Cahill seine Religion. Kriminelle gegen das Establishment, gegen Ausbeuter, Polizei und die Gesetzesignorierer in den Amtsstuben. Cahill teilt die Welt in zwei Seiten: die Guten, Vertrauenswürdigen, Freunde, Familie auf der einen, die Staatsmacht auf der anderen Seite. Diesen Mann hat es wirklich gegeben, 1949 in Dublin geboren, 1994 in Ranelagh, Dublin von Unbekannt erschossen, und er war eine schillernde Figur. So einer ist für den Filmemacher John Boorman ein glänzender Köder. Boorman ist sowas wie der Ethnologe unter den Regisseuren (Rangoon – 1995; Die Zeit der bunten Vögel – 1990; Hope and Glory – 1987; Der Smaragdwald – 1985; Excalibur – 1981; Exorzist II – Der Ketzer – 1977; Zardoz – 1974; Beim Sterben ist jeder der Erste – 1972; "Die Hölle sind wir" – 1968; Point Blank – 1967). Er erzählt in Variationen immer wieder die Geschichte, wie die neue Welt die alte frisst, und in seinen besten Momenten ist die alte Welt die von menschlicher Wärme gesättigte und die neue Welt die, in der wir Zuschauer es uns gemütlich eingerichtet haben.

Das Neue verdrängt das Alte. Im Irland der elenden 50er und 60er Jahren, erstarrt vom Untergrundkrieg der Irisch Republikanischen Armee (IRA) gegen die royalen Loyalsten lachen die Dritten – die Arbeitslosen, Tagediebe und Kriminellen, derer die Polizei vor lauter Untergrundterror nicht Herr wird. So einer wie Martin Cahill ist da nicht zu überführen. Er betreibt Diebstahl, wie andere Leute einen Nine-to-Five-Job, und hat zwar eine Schwäche für Zuckertorten und anderen Süßkram, der ihn ordentlich hat aufquellen lassen. Aber er raucht nicht, trinkt nicht und hält sich auch sonst von Drogen fern. Das hält seinen Geist wach und seine kriminelle Energie auf Touren. Seine Leute in den Elendsquartieren lieben ihn, der sich inszeniert als ein moderner Robin Hood – der freilich das Gros seiner Raubzüge für sich behält. Plakatmotiv (UK): The General (1998) Brendon Gleeson ("Turbulence" – 1997; "Michael Collins" – 1996; Braveheart – 1995; "In einem fernen Land" – 1992) spielt diesen Martin Cahill wie einen zu groß gewachsenen Lausbub, der seiner Frau in schwierigen Situationen ein Babylächeln schenkt und sie damit ruhig stellt. Bliebe dies der Staus Quo, hätte es eine Burleske in kleinbürgerlichen Verhältnissen bleiben können.

Es gibt aber keinen Status Quo in der Geschichte der Menschheit. Zu Beginn des Films reißen die Behörden die heruntergekommenen Häuserblocks dieser Ausgestoßenen ab, um „dringend benötigte Wohnungen zu bauen“. Um seine und die Zukunft seiner Leute abzusichern – schließlich muss man jederzeit damit rechnen, von Winkeladvokaten vor Gericht zu mehrjährigen Haftstrafen (also: lange Zeit ohne Einkommen) getrickst zu werden, also müssen große finanzielle Polster angelegt werden – überspannt Cahill den Bogen seiner Möglichkeiten. Er organisiert Millionen-Raube, einmal Gold und Diamanten, ein anderes Mal Kunstwerke. Dadurch geht ein großer Arbeitgeber in Dublin pleite, mehr als hundert Menschen verlieren Job und also Lebensgrundlage. Gleichzeitig führt Cahill keinen straff organisierten Haufen Krimineller an, sondern Männer, die ihm zwar treu ergeben, aber eigentlich nur Väter sind, die in schwierigen, alles andere als gerechten Zeiten, ihre Familie durchbringen müssen; und sich der zunehmend entschlossenen Polizisten, die unbändigen Hass gegen den sie verspottenden Cahill entwicklen, bald kaum mehr erwehren können. Der plötzliche Reichtum nach den Raubzügen macht diese Väter unvorsichtig, lässt sie irrigerweise glauben, sie seien unverwundbar, dabei fühlen sich bald schon sowohl Royalisten als auch IRA auf die Füße getreten; gleichzeitig verlieren sie den Rückhalt in der Nachbarschaft, weil sie Arbeitsplätze vernichtet haben.

Auf der anderen Seite entwickelt sich die Zivilgesellschaft, also die Gruppe jener mit geregeltem Einkommen, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat und einfach ihren Job und ihre Ruhe haben will. Boorman fokussiert diese Haltung in der Figur des Inspektors Ned Kenny, der mit Cahill seit Jahrzehnten in inniger Feindschaft verbunden ist. John Voight spielt ihn als unbestechlichen Bürokraten (Der Regenmacher – 1997; U-Turn – Kein Weg zurück – 1997; Anaconda – 1997; Mission: Impossible – 1996; Heat – 1995; "Runaway Train" – 1985; Die Akte Odessa – 1974; Beim Sterben ist jeder der Erste – 1972; Der böse Trick – 1970), der für das Gesetz kämpft; erst leidenschaftslos, also unbestechlich, aber irgendwann dann doch mit illegalen Mitteln: „Hausfriedensbruch, Nötigung, ständige Belästigung, Körperverletzung. Menschen zusammenschlagen“, höhnt der blutende Cahill in der Verhörzelle. „Du bist auf mein Niveau gesunken.“ Die neue Welt übernimmt die Methoden der alten Welt, um sie zu assimilieren, um die Bevölkerung ruhig zu stellen. John Boorman ist ganz in seinem (ethnologischen) Element.

Boorman inszeniert seine krude-komische Gangsterballade nicht als Tragödie. Ihm ist ein faszinierendes Portrait geglückt, geradezu musikalisch im Zusammenspiel von elegischem Jazz und agiler Kamera. Der Film erinnert an das Land, in dem er spielt. Rau ist er – und auf berührende Weise romantisch.

Wertung: 8 von 11 D-Mark
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