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Plakatmotiv (US): Too big to fail (2011)
Das Tagebuch menschlichen Versagens.
Selten waren Talking Heads so packend.
Titel Too big to fail – Die große Krise
(Too big to fail)
Drehbuch Peter Gould + Andrew Ross Sorkin
Regie Curtis Hanson, USA 2011
Darsteller
James Woods, John Heard, William Hurt, Erin Dilly, Amy Carlson, Topher Grace, Ayad Akhtar, Cynthia Nixon, Kathy Baker, Edward Asner, Paul Giamatti, Beau Baxter, Ben Livingston, Erin Burnett, Chance Kelly u.a.
Genre Biografie, Drama
Filmlänge 99 Minuten
Deutschlandstart
28. Mai 2011 (Festival Großes Fernsehen)
Inhalt

Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Maßnahmen des US-Finanzministers Henry Paulson von August bis Oktober 2008. Die durch eine Immobilienblase im Jahr 2007 verursachte Weltwirtschaftskrise beginnt sich 2008 zunehmend auch auf US-Finanzunternehmen auszuwirken.

Dick Fuld, CEO von Lehman Brothers, ist auf der Suche nach Geldgebern, um die Verluste seiner Investmentbank aufzufangen. Doch die Investoren sind vorsichtig da Lehman zuvor hoch riskante („toxische“) Wertpapiere anbot und das US-Finanzministerium gegen einen weiteren Bail-out ist, durch welchen zuvor Bear Stearns mittels staatlicher Unterstützung gerettet werden musste.

Die Insolvenz von Lehman scheint sich nicht mehr abwenden zu lassen und so schlägt Paulson eine privatwirtschaftliche Lösung, bei der das US-Kreditinstitut Bank of America und das britische Finanzunternehmen Barclays an Lehmans „guten“ Wertpapieren interessiert sind. Die fünf Unternehmen JPMorgan Chase, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Merrill Lynch und Citigroup sollen im Gegenzug Lehmans Risikoanteile übernehmen, um die Invsolvenz zu verhindern. Doch die Bank of America zieht sich aus der Lehman-Übernahme zurück und übernimmt stattdessen Merrill Lynch, welche sich zuvor zum Kauf angeboten hatten. Obwohl sich die vier verbleibenden Unternehmen bereit erklären die Lehman-Anteile zu übernehmen, verhindert die britische Bankenaufsicht die Übernahme durch Barclays, wodurch Lehman Brothers schließlich am 15. September 2008 Insolvenz anmelden muss.

Währenddessen bahnt sich eine weitere Krise an, als bekannt wird, dass der weltweit operierende Versicherungskonzern AIG mehrere Milliarden US-Dollar Verluste einfährt. Derweil haben Lehman-Kunden keinen Zugriff mehr auf ihr Kapital, wodurch Anleger anderer Investmentbanken ihr Kapital abziehen und die Aktienkurse ins Bodenlose fallen. Paulson sieht sich derweil schweren Vorwürfen ausgesetzt, die Lehman-Pleite nicht verhindert zu haben, da viele internationale Märkte und Großkonzerne am Tropf der Wall Street hängen. Schließlich versucht das Finanzministerium über die US-Notenbank in Verhandlungen zur Rettung von AIG einzusteigen, um einen Kollaps des Finanzmarkts zu verhindern. Der Notenbankchef Ben Bernanke unterbindet dies jedoch und verweist auf die fehlende gesetzliche Grundlage, welche erst durch Kongress geschaffen werden muss.

Daraufhin erarbeiten Paulson und sein Team den Gesetzesentwurf „Troubled Asset Relief Program“ (TARP), der vorsieht die Risikopapiere der Banken aufzukaufen, um so deren Liquidität wieder zu erhöhen. Timothy Geithner, Präsident der Federal Reserve Bank New York, erkennt jedoch, dass die Zeit nicht reicht die Entscheidung des Kongress abzuwarten. In Abstimmung mit Paulson versucht Geithner Fusionen zwischen verschiedenen Investment- und Geschäftsbanken herbeizuführen, welche dadurch zwar noch mächtiger, dann jedoch unter der Kontrolle US-Notenbank stehen würden.

Paulsons Gesetzesentwurf scheint beschlossen Sache, doch als der republikanische Senator und Präsidentschaftskandidat John McCain seinen Wahlkampf unterbricht, um sich in die Verhandlungen einzuschalten, kippt die Mehrheit im Kongress und das Gesetz wird abgelehnt. Nach einer Überarbeitung des Gesetzes, welches nun eine direkte Kapitalzuführung des Finanzministeriums für die Banken vorsieht, und durch den Druck des US-Präsidenten George W. Bush wird das Gesetz in einer zweiten Abstimmung vom Kongress verabschiedet.

Paulson unterrichtet die Banken von der geplanten Kapitalzuführung durch das TARP-Gesetz, wodurch das US-Finanzministerium Vorzugsaktien erhält und die Banken das Geld für die Kreditvergabe verwenden sollen, um den Markt wieder zu stabilisieren. Obwohl nicht alle das Geld benötigen, wird ihnen die Bedeutung und Tragweite dieser Maßnahme erklärt, woraufhin einige widerwillig die Hilfsgelder annehmen. Weitere Bedingungen für die Verwendung des Geldes werden nicht gemacht, damit die Banken es nicht abweisen. Dieses Diktat der Banken wird am Ende von Paulsons Pressesprecherin Michele Davis scharf kritisiert. Paulson und sein Team hoffen allerdings, dass die Banken das Geld es in ihrem Sinne verwenden.

Im Abspann ist zu lesen, dass die Banken durch das „Troubled Asset Relief Program“ weniger Kredite vergaben und die Aktienmärkte weiter fielen. Ebenso stieg die US-Arbeitslosenquote auf über 10 Prozent und Millionen Familien verloren durch Zwangsvollstreckungen ihr Zuhause. Schließlich stabilisierten sich die Märkte 2009 und eine weltweite Depression wurde abgewendet. Die größten Banken zahlten das Geld welches sie von TARP erhielten wieder zurück. Jedoch verfügen nun 10 Banken über 77 Prozent des US-Bankvermögens und sind nun „zu groß, um unterzugehen“ (siehe Systemrelevanz).

Was zu sagen wäre

Es geht um toxische Wertpapiere. Es geht um SWAPS. Es geht um faule Immobilienkredite. Es geht um lauter Dinge, die kaum einer derjenigen, die im Kinosessel sitzen, verstehen – und die wir Kinosesselbenutzer gerne an unswere Bankberater deligieren. Die kennen sich aus, die sollen das erledigen.

Und die hauen uns dann übers Ohr.

Curtis Hanson („8 Mile“ – 2002; Die Wonder Boys – 2000; L.A. Confidential – 1997; Am wilden Fluss – 1994; „Die Hand an der Wiege“ – 1992; „Todfreunde – Bad Influence“ – 1990; „Das Schlafzimmerfenster“ – 1987; „Die Aufreisser von der High School“ – 1983) hat fürs amerikanische Bezahlfernsehen HBO einen packenden Thriller gedreht, der den Zusammenbruch des US-, und in der Folge des weltweiten Finanzmarktes in kalter Logik erläutert. Am Ende, nach rund 100 Minuten, haben wir tatsächlich Mitleid mit dem – auch körperlich – mitgenommenen Finanzminister Henry „Hank“ Paulson, was etwas heißen will, sind doch Politiker im Allgemeinen die Schurken im Stück. Paulson wird verkörpert von William Hurt („Robin Hood“ – 2010; Der unglaubliche Hulk – 2008; „8 Blickwinkel“ – 2008; Das gelbe Segel – 2008; Into the Wild – 2007; „Syriana“ – 2005; The Village – 2004; Spurwechsel – 2002; A.I.: Künstliche Intelligenz – 2001; Lost in Space – 1998; Dark City – 1998; Michael – 1996; „Alice“ – 1990; „Die Reisen des Mr. Leary“ – 1988; „Broadcast News – Nachrichtenfieber“ – 1987; „Gottes vergessene Kinder“ – 1986; „Kuss der Spinnenfrau“ – 1985; „Gorky Park“ – 1983; „Der große Frust“ – 1983; „Heißblütig – Kaltblütig“ – 1981). Ein jovialer Technokrat, bestens vernetzt, ein Salonlöwe, und plötzlich verantwortlich dafür, dass die Weltgesellschaft nicht in den Abgrund rauscht. Er hat es zu tun mit – genau: üblen Finanzmanagern, die, noch während sie schon am offenen Herzen operiert werden, Trümpfe ziehen, um unbeschadet aus der Katastrophe noch auf ihre Yacht vor Long Island zu kommen, während der Steuerzahler die Schulden bezahlt.

Das Szenario ist bekannt. Die wenigsten haben sich damit auseinandergesetzt. Wer versteht das schon, was die Bank(st)er da getrieben haben? Curtis Hanson hat einen erstaunlichen Cast zusammensgestellt, der dem Zuschauer diese Wer versteht das schon?-Ausflucht austreibt. Den Lehman-Brothers-Boss spielt James Woods, altgedienter Schurke im US-Kino, der seiner Figur jene Arroganz leiht, die man braucht um sagen zu können Ich habe Mist gebaut, habe das aber nicht gewollt und nun, Öffentlichkeit, gib mir die Milliarden, die ich brauche, um unbeschadet auf meine wohlverdiente Yacht zu kommen. Neben ihm stehen Bill Pullman (Lake Placid – 1999; Am Ende der Gewalt – 1997; Lost Highway – 1997; Independence Day – 1996; Während du schliefst – 1995; „Wyatt Earp – Das Leben einer Legende“ – 1994; Malice – Eine Intrige – 1993; Schlaflos in Seattle – 1993; Sommersby – 1993; „Singles – Gemeinsam einsam“ – 1992; „Eine Klasse für sich“ – 1992), Tony Shalhoub oder Matthew Modine, die die Bosse der anderen großen Banken verkörpern und ähnlich kalt lächelnd den US-Finanzminister bei den Eiern packen. Alle sind unheimlich mit den Sätzen, die die Autoren Peter Gould und Andrew Ross Sorkin ihnen in die Szenen geschrieben haben.

Nimmt man ausschließlich die Bilder, ist das eher akademisch interessant: Talking Heads, die Wirtschaftstheorien durchspielen, Männer in Anzügen, Spitzenpolitiker, die „Wixer“ schimpfen, Sitzungsräume mit arrogant lächelnden Bankern. Aber Film ist neben Bild auch geschlieffener Dialog, Montage, Score und – via Script – große Dramatik. Das Ergebnis hier ist ein pausenloser Film, ununterbrochen Dialog, Krise – und ein zynisches Ende, in dem die Wirtschaftsgesellschaft gerettet ist, aber die Banker unbeschadet fein raus, weil – Too Big To Fail!

Spannend!

Wertung: 7 von 8 €uro
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