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Plakatmotiv (US): Redacted (2007)

Ein rauer Bilderrausch über
Kreieg und Medien und uns

Titel Redacted – Die Wahrheit stirbt zuerst
(Redacted)
Drehbuch Brian De Palma
basierdend auf Berichten über ein von einem US-amerikanischen Soldaten verübten Massaker von Mahmudiyya während des Irakkriegs
Regie Brian De Palma, USA, Kanada 2007
Darsteller

Izzy Diaz, Rob Devaney, Ty Jones, Anas Wellman, Mike Figueroa, Yanal Kassay, Dhiaa Khalil, Kel O'Neill, Daniel Stewart Sherman, Patrick Carroll, Qazi Freihat, Adel Odai, Helen Zamel, Hiyam Abdel Karim, Issam Shamary u.a.

Genre Drama, Krieg
Filmlänge 90 Minuten
Deutschlandstart
1. Februar 199013. September 2008 (Oldenburg International Film Festival)
Inhalt

Die Alpha-Company bei Salazar, Irak 2006. Der Job ist öde. Kontrollposten absichern. Jeden Tag die gleiche Routine, Personenkontrolle, Autos checken, Motorhaube nicht vergessen, und nie ein Sprengsatz. Das sah in den Fernsehberichten damals in der Heimat immer ganz anders aus, dieser Dienst am Vaterland in diesem fernen Irak.

Die Sprengsätze kommen nachts. Kinder drapieren sie in unauffälligen, luftleeren Fußballhüllen. Sie kosten den Sergeant das Leben. Was soll das alles? Hierherkommen? Für Frieden sorgen? Die Menschen von Saddam befreien und Demokratie schenken? Und was machen die? Schicken Kinder, die uns in die Luft sprengen!

Irgendwann hat man diese Monotonie aus Kontrolle und mehr Kontrolle und grinsenden Killerkindern satt. Dann braucht der gute steife US-Schwanz ein Loch, in das er stoßen kann. Ist so! Gehört dazu! Und wenn das Pentagon nicht genügend Leute hat, um sie hier abzulösen, ihr Dienst Monat um Monat verlängert wird; na, dann müssen die Irakis schon mal ein bisschen Dankbarkeit zeigen, diese Sandnigger, die immer lächeln und Dir dann einen Sprengsatz untern Arsch schieben.

Angel Salazar filmt seine Alpha-Company-Kameraden bei ihrer täglichen Arbeit; Lawyer McCoy, Reno Flake, B.B. Rush und den Befehlshaber James Sweet. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, einen Kontrollpunkt zu bewachen und Passanten und Fahrzeuge zu durchsuchen. Ein französisches Kamerateam begleitet als Embedded Journalists die Einheit. Die Weltanschauung der meisten Soldaten ist von Hass, Furcht und Verachtung für die Iraker geprägt. Der Wunsch, die gesamte irakische Bevölkerung auszurotten, wird geäußert.

Auch innerhalb der Gruppe, in deren Quartier zwei Kriegsflaggen der Konföderierten hängen, gibt es Konflikte: Wer die Meinung der Wortführer nicht teilt, wird als „Schwuchtel“, „Verräter“ oder „Vierauge“ verunglimpft. Die Atmosphäre im Quartier ist ebenfalls von Sexbesessenheit der einsamen Männer geprägt. Nachdem eine unschuldige Schwangere mit ihrem Baby am Checkpoint erschossen worden ist – ihr Bruder hatte sie mit Wehen ins Krankenhaus fahren wollen –, verspottet der Schütze die Opfer. Eine Einblendung weist darauf hin, dass von den 2000 an den US-Checkpoints erschossenen Irakern lediglich 60 Rebellen gewesen seien.

Nachts bringt ein Rebell einen Sprengsatz an einem Haufen Abfall an, der am nächsten Tag einen der GI's tötet. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung werden die Journalisten Zeugen der Vorgehensweise: Die GIs treten die Türen ein und brüllen die verängstigten Einwohner auf Englisch an. Bei dieser Durchsuchung nehmen die Soldaten einen Familienvater in Gewahrsam. Flake und Rush beschließen nach Alkoholkonsum, ein Mädchen zu vergewaltigen, das jeden Tag ihren Checkpoint passiert.

Sie kehren zu dem durchsuchten Haus zurück. Salazar schließt sich an und filmt den Tathergang. McCoy will zunächst die Vergewaltigung verhindern, nach einer Auseinandersetzung mit Flake verlässt er jedoch das Haus, um Wache zu halten. Während Rush das Mädchen festhält, erschießt Flake die Mutter, die Schwester und den Großvater. Nach der Vergewaltigung töten sie auch das Mädchen und setzen die Leichen in Brand.

Salazar wird einige Tage später von Unbekannten verschleppt, die Rache üben wollen …

Was zu sagen wäre

Das ganze Leben ist eine Fernsehshow. Und der Krieg nur eine News. Der Krieg findet in den Nachrichten statt, in verwackelten Bildschnipseln, gerne verzweifelte Frauen und weinende Kinder in rauchenden Trümmern; meist ist noch irgendwo ein dunkler Fleck zu sehen, der wie Blut aussieht. Krieg – egal ob in Afghanistan, Irak, Gaza oder irgendwo in Afrika – konsumieren wir auf dem Sofa, nehmen übel – wahlweise den Terroristen oder der US-Army – und wollen dann endlich die Romantic Comedy um 20.15 Uhr sehen – oder Thomas Gottschalk. Auf der Verlobungsfeier eines dieser Kriegshelden fragt im Film einer hinter seiner Videokamera den Bräutigam, er solle doch mal erzählen, wie das so war, da drüben, ob er da was erlebt habe. Und der Bräutigam bricht unter der Erzählung all des Erlebten vor der laufenden Kamera weinend zusammen. Dann halt nicht, wird die Kamera halt ausgeschaltet, der Bräutigam soll in seinem Hochzeitsvideo ja nicht weinen, wie unpassend – Wie? Krieg hat was mit echten Tränen und echten Schmerzen zu tun? Bitte nicht!

Brian De Palma, der hier viele Motive seines Vietnamfilms Die Verdammten des Krieges (1989) aufbereitet, bzw. neu – und diesmal sehr rau – verfilmt, liefert eine brillante Mediensatire, einen zynischen Blick auf die Sehgewohnheiten der Menschen in Friedenszeiten, also der Menschen, die im Kino seinen Film gucken. Wobei: Im Kino kann man ihn kaum sehen.

In den USA war er auf dem New York Filmfestival und später in einigen (wenigen) Kinos zu sehen. In vielen Ländern lief er auf Festivals und nie im Kino. In Europa – Spanien, Portugal, Griechenland, Türkei, Frankreich, Belgien, England, Schweden – lief er in einigen Kinos, in Deutschland auf dem Internationalen Film Festival in Oldenburg. Das ist einerseits bemerkenswert, weil Brian De Palma nicht irgendein Filmstudent ist, dem mal ein Zufallshit gelungen ist, und andererseits nachvollziehbar: So unbeteiligt, wie die imaginierten Zuschauer in diesem Film angedeutet werden, für die all diese verschiedenen Filmschnipsel in ihrer entwaffnenden Offenheit, Blödheit, Sensationsgier, Teilnahmslosigkeit gedreht werden, so desinteressiert muss man sich wohl auch deutsche sowie internationale Verleiher vorstellen, die mit diesem sehr widersprüchlichen Film wirtschaften sollen. Der Film hätte eine breite Öffentlichkeit verdient. Allerdings steht zu befürchten, dass er tatsächlich nicht genug zahlende Kundschaft gefunden hätte; heute steht er in den Videotheken, da läuft sowas als Beifang für einen alkoholisierten Donnerstagabend – Oh, geil, Kriegsfilm. Mit 'ner Vergewaltigung!

Die Soldaten, die De Palma hier vor die Kamera holt, meist vor die Videoblog-Kamera des freundlichen, ja fast liebenswerten Angel Salazar, sind Testosteronbolzen, wie wir sie aus vielen Kriegs- und Anti-Kriegs-Filmen kennen. Der stiernackige Haudrauf, der an seinem Posten täglich die 15-jährige Irakerin, die mit der kleinen Schwester zur Schule geht, sehr inbrünstig kontrolliert, also: abtatscht, und sich dann von seinen Kameraden feiern lässt und abends Poker spielt mit Karten, auf denen ausschließlich nackte Pin-Up-Girls zu sehen sind; der Sergeant, der seiner Mission eine halbwegs weltpolitische Bedeutung beizumessen versucht und dabei immer wieder scheitert. Da ist der Intellektuelle, der dem Erzähler De Palma dazu dient, der Geschichte ihren dramaturgisch-moralischen Spin zu verschaffen, da ist der freundliche Videoblogger und schließlich der unverhohlene Ku-Klux-Klan-Mann im Flecktarn der US-Streitkräfte, der die Iraker in „Sandnigger“, „Kamelficker“, „Ali Babas“ oder „Hajis“ unterteilt. Für Weltfrieden sorgt hier keiner; der, der mit der Kamera „nur dabei ist und beobachtet“, sucht möglichst spektakuläres Material, um sich damit an der Filmhochschule in L.A. zu bewerben. Die anderen wollen Sandnigger erschießen oder Hajibs vergewaltigen. Das kennen wir, wie gesagt, aus anderen Kriegsfilmen, die grundlegende Anspruchshaltung der Soldaten, die sich von der Weltpolitik abgeschossen fühlen, nicht zuletzt eins zu eins aus De Palmas Die Verdammten des Krieges. Aber wir kennen es nicht so.

Selbst der schmutzigste Film, der sich mit dem Prädikat "Anti-Krieg“ schmückt, ist gefilmt mit der großen Panavision- oder Arriflex-Kamera, in elegantem Cinemascope für die große Leinwand. De Palma greift auf die schon angestaubt geglaubte, hier aber erfrischend neu interpretierte Form des Found Footage zurück. Wir sehen die ganze Geschichte aus der Perspektive einer französischen TV-Reportage, eines us-amerikanischen sowie eines irakischen Nachrichtensenders, aus der Perspektive einer Überwachungskamera im US-Stützpunkt sowie aus arabischen Internetquellen unklarer Herkunft – und natürlich aus Angel Salazars Blog-Kamera. Das gibt dem Film, der im Vorspann mit Texteinblendungen seine Authentizität zunächst verneint, um sie dann mit jeder Sekunde umso glaubhafter zu machen (s.u.), große Glaubwürdigkeit – abseits filmdramaturgischer Überlegungen, die hier nicht greifen, weil die Dramaturgie nicht über Schauspiel, Score oder Montage funktioniert, sondern einzig über die Zusammenstellung der genannten Bildmaterialien. Das erinnert in seiner Machart an Oliver Stones damals innovative Bildmontage für JFK –Tatort Dallas, die mit den Jahren allerdings Patina angelegt hat. Diese Montagetechnik funktioniert in "Redacted" vielleicht auch deshalb besser, weil die Tat zwar mindestens so monströs ist, aber bei weitem nicht so international schlagzeilenträchtig wie der Mord an John F. Kennedy. In "Redacted" haben wir dauernd das Gefühl, tatsächlich ein aus vielen Bildquellen zusammengestelltes Beweisvideo zu sehen.

Gruselig!

Wertung: 7 von 7 €uro
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