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Plakatmotiv: BFG – Big Friendly Giant (2016)

Charmant und aus
der Zeit
gefallen

Titel BFG – Big Friendly Giant
(The BFG)
Drehbuch Melissa Mathison
nach dem gleichnamigen Buch von Roland Dahl
Regie Steven Spielberg, UK, Kanada, USA 2016
Darsteller
Mark Rylance, Ruby Barnhill, Penelope Wilton, Jemaine Clement, Rebecca Hall, Rafe Spall, Bill Hader, Ólafur Darri Ólafsson, Adam Godley, Michael Adamthwaite, Daniel Bacon, Jonathan Holmes, Chris Gibbs, Paul Moniz de Sa, Marilyn Norry u.a.
Genre Fantasy, Abenteuer
Filmlänge 117 Minuten
Deutschlandstart
21. Juli 2016
Website www.constantin-film.de/big-friendly-giant/
Inhalt

Die zehnjährige Sophie lebt in einem Waisenhaus für Mädchen in London. Des nachts streift sie durch die Gänge und Flure des Hauses oder liest unter der Bettdecke Bücher. Als sie von draußen Geräusche hört, geht sie zum Fenster um nachzuschauen, woher diese kommen. Dabei beobachtet sie eine riesige Gestalt mit einem schwarzen Umhang bekleidet, die eine Art dünne Trompete, mit der sie Kindern schöne Träume in ihre Schlafzimmer pustet, sowie eine Tasche mit sich führt.

Sophie wird von der Gestalt dabei entdeckt, wie sie sie bei ihrem Streifzug beobachtet. Schnell versteckt sie sich unter der Bettdecke, doch der Riese streckt seine gewaltige Hand durch das Fenster, ergreift Sophie und entführt sie ins Reich der Riesen. Als sie befürchtet, gefressen zu werden, stellt sich jedoch heraus, dass der Riese ihr freundlich gesonnen ist und sie nur mitgenommen hat, weil sie ihn gesehen und beobachtet hat.

Schnell freunden sich die beiden an, jedoch droht ihr von anderer Seite Gefahr. Der freundliche Riese ist nicht die einzige Kreatur, die im Land der Riesen lebt. Die anderen Riesen sind viel größer und gefährlich. Sie fressen im Gegensatz zum freundlichen Riesen auch Menschen, am liebsten Kinder …

Was zu sagen wäre

Der schönste Effekt in diesem an Effekten reichen Film ist die Queen. Elizabeth II. reagiert auf Riesen, grüne Fürze und neunmalkluge kleine Mädchen mit einer erfrischenden Coolness, wie man sie der echten Queen jederzeit zutrauen würde. Und dass Steven Spielberg darauf verzichtet hat, diese Rolle mit einer der vielen Lookalikes zu besetzen, bringt einen Extrapunkt auf der Sympathieskala für einen Film, an dem irgendwas nicht stimmt; und es ist nicht, dass die britische Generalität widerspruchslos Befehle, Angriffsbefehle zumal, der qua Verfassung machtlosen Queen entgegennimmt. Als sie zum Telefon greift und Nancy am anderen Ende bittet, Ronald ans Telefon zu holen, wird das Dilemma dieser Kinoproduktion aus dem Jahr 2016 deutlich.

Nancys Ehemann Ronald Reagan war Anfang der 1980er Jahre Präsident der USA. Offenbar also spielt dieser Märchenfilm, der bis zu dieser Szene ohne konkreten Zeitbezug ausgekommen war, in dieser Zeit. Klar: 1982 hat Roald Dahl seine Geschichte des freundlichen Riesen veröffentlicht, warum soll sie nicht da auch stattfinden.

Steven Spielberg hat nach längerer Pause mal wieder einen Kinderfilm gemacht – zu dem Melissa Mathison das Drehbuch geschrieben hat, und jetzt wird das vage Gefühl des Unbehagens unfair: Melissa Mathison hat auch das Drehbuch zu E.T. geschrieben, den Steven Spielberg 1982 ins Kino brachte. In diese Zeit gehört auch der Film "Big Friendly Giant". Heute wirkt der Film aus der Zeit gefallen. Plakatmotiv: BFG – Big Friendly Giant (2016) Er ist charmant, er hat liebenswerte Charaktere, er hat eine – in Kinderaugen – phantastische Geschichte, aber all das hatte E.T. auch. Aber E.T. hatte dazu auch noch Spannung, fast möchte ich sagen Thrill. "BFG" ist nicht spannend, nur bunt. Wieder freundet sich ein einsames Kind, jetzt halt ein Mädchen, mit einem fremden Wesen – da ein Alien, hier ein Riese – an. Damals bedrohten – aus der Kinderperspektive betrachtet – riesenhafte Männer das Idyll, heute schwobbelige, prollige Riesen. Spielberg zitiert sogar die Leuchtfinger-Kinderfinger-Ikonografie des damaligen Kinoplakates.

Und Spielbergs Handschrift? Seine einzigartige Technik des Spannungsaufbaus? Seine meisterhafte Bildsprache? Ist nicht vorhanden. Ein Abenteuerfilm, in dem Kinder die Welt retten – darauf hatte Spielberg in den 1980er Jahren quasi das Monopol – als Regisseur oder Executive Producer. Aber das ist lange vorbei und keine persönliche Handschrift mehr. Dieser Film hat handwerklich nichts Raffiniertes, seine Erzählweise ist langsam, ganz auf seine Äußerlichkeiten konzentriert. Da muss Spielberg schon in Interviews erläutern, was ihn an der Geschichte eigentlich gereizt hat. Angeblich hat er sie seinem dreijähigen Sohn Mitte der 80er Jahre vorgelesen, der sie aber gar nicht hören wollte. Aber er, Vater Spielberg, sei so gefesselt gewesen, dass er sie sich immer wieder habe vorlesen müssen. Seine Verfilmung fesselt nicht.

"The BFG" ist ein buntes Märchen mit allerlei Slapstickeinlagen für Kinder, deren Eltern derweil im Nachbarkino einen Film für halbwegs Erwachsene gucken. Er spielt in einer Welt, die zu einem Großteil aus dem Computer kommt – so, wie alle Fantasy-Filmen dieser Tage. Deshalb wirft mich der plötzliche reale Zeitbezug in die 1980er Jahre raus aus der Fantasy-Bahn. Zumal Roald Dahl die Queen im Buch einen fernen, eher an die Märchen von 1001 Nacht erinnernden Sultan anrufen lässt und eben nicht den US-Präsidenten, den mächtigsten Mann der Welt. Der Ruf der Queen nach den US-Streitkräften gegen die menschenfressenden Riesen, die Militärhubschrauber gegen die Barbaren, die sich mit ihrer Lebensweise außerhalb der westlichen Norm ansiedeln, geben dem Märchenfilm einen Ballast, der den Märchenzauber zerstört. Der Zauber entsteht zu einem Gutteil eben dadurch, dass an den CGI-Bildern so wenig echt ist, sie Märchenfilm geradezu symbolisieren.

Kaum eine Kulisse, weder die Straßenszenen in London, aber schon gar nicht die Welt der Riesen, sind echt. Das ganze Ambiente sieht halt aus, wie Märchenfilmambiente heute immer aussieht: etwas zu perfekt gerendert, optische Unschärfen wirken wie bewusst eingesetzte optische Unschärfen, es schweben das Sonnenlicht reflektierende Staubkörnchen durchs Bild, die Kamera fliegt durch die Welten und John Williams verknüpft das mit seinem Bombastklang … da stehen der damals junge Elliot und sein außerirdischer Freund im Geräteschuppen (nebst seiner kreischenden, süßen Schwester Gertie) in den analogen Kulissen auf dem Studiogelände der Universal einfach meilenweit drüber.

Spielbergs menschelnder Film beschreibt die Grenzen der digitalen Bildbearbeitung. Die eine Grenze ist die allgemeine Erschöpfung, die Langeweile des Zuschauers angesichts der jedes mal überwältigenden Bilderwelten, die ihm während der laufenden Kinosaison gezeigt werden. Alles ist möglich, an dieser Front überrascht nichts mehr, schon gar nicht eine sonnendurchflutete Highlander-Szenerie mit lustigen Hütten. Es würde mich nicht wundern, wenn künftige Filmkritiker-Generationen Filme ähnlich kategorisieren, wie Kritiker einst Gemälde bewerteten – dann stehen die Pixelbild-Designer im Mittelpunkt, nicht mehr der Regisseur. Es gibt dann sowas wie Caspar-David-Friedrich-Filme neben Peter-Paul-Rubens- und Raphael-Filmen; und die Picasso-Filme sind die Experimentalstücke im Kino.

Die andere Grenze zeigt Mark Rylance auf, mit dem Steven Spielberg gerade erst Bridge of Spies gedreht hat, in dem Rylance einen aus US-Sicht unsympathischen Russen-Spion derart intensiv spielt, dass Hauptdarsteller Tom Hanks nach einer halben Stunde abgemeldet ist und Rylance mit dem Supporting-Actor-Oscar ausgezeichnet wurde. Ohne die Lachfältchen des Mark Rylance (Anonymus – 2011; Die Schwester der Königin – 2008) wäre der Große Freundliche Riese nur eine CGI-Figur geblieben, wie Spielberg sie in seinem zwar flotten, aber seelenlosen Motion-Capture-Film Die Abenteuer von Tim & Struppi eingesetzt hat, einem frühen Versuch, CGI zu vermenschlichen. Rylance macht aus diesem CGI-Riesen eine Figur mit Seele; und sie damit auch schon wieder kaputt. Denn die – großteils aus dem Rechner hinzuaddierten – Bewegungen des Riesen, seine Interaktion mit dem kleinen Mädchen bleiben künstlich, gerechnete Fließbewegungen, denen die menschliche Holprigkeit abgeht.

Der Film setzt gegenüber der Buchvorlage keine nennenswerten Akzente. Steven Spielberg hat den Beweis angetreten, dass in Zeiten, in denen alle Bilder machbar sind, manche Bilder einfach im Kopf des Lesers bleiben sollten.

Wertung: 3 von 8 €uro
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