Es ist schon doof, wenn endlich der Tag gekommen ist, an dem Du zum Mann werden sollst und als Totem mindestens sowas wie „Stärke“ oder „Kraft“ zu erhalten hoffst und dann einen kleinen Holzbären erhälst – als Zeichen dafür, dass Dein Totem die „Liebe“ ist. Was hat denn das mit „Mann“ zu tun? Kein Wunder, dass Kenai sauer ist, noch dazu, weil ihn alle jetzt hänseln und sogar die Mädchen hinter vorgehaltener Hand kichern.
Wir sind im Nordwesten Amerikas, irgendwann kurz nach Ende der Eiszeit. Kenai ist der jüngste von drei Brüdern. Sitka, der Älteste, hat gerade alle Hände voll zu tun, den Jüngsten vor Dummheiten zu bewahren. Und stirbt dabei. Kenai hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, einen Bären zu erlegen, der Fische geklaut hatte. Beinah' wäre er unterlegen, wäre nicht Sitka da gewesen.
Jetzt gilt erst recht: Rache. Die kann auch Denahi nicht verhindern. Kenai erlegt den großen Bären. Das aber gefällt den Geistern nicht, die oben am Firmament wohnen. Der Bär hat schließlich nichts getan und so verwandeln sie Kenai selbst in einen Bären. Als Denahi dazu kommt, sieht er nur einen Bären – keine Spur von seinem Bruder. Hat der Bär also jetzt seine beiden Brüder gemordet? Fortan befindet sich Kenai auf der Flucht vor seinem Bruder. Kenais Versuche, den Bruder von seinem mörderischen Tun abzuhalten, scheitern … Kenai kann ja nur heiser brummen oder brüllen.
Auf der Flucht trifft Kenai den kleinen Koda – ein vorlauter Bär, der seine Mutter verloren hat. Koda ist eine plappernde Nervensäge, aber ganz hilfreich. Denn Koda weiß, wo das Licht die Erde berührt. Diesen Platz sucht Kenai, denn – so weiß er – nur hier kann er zurück verwandelt werden in einen Menschen.
Gemeinsam macht sich das ungleiche Paar auf den Weg: Kenai, um seine Menschengestalt wieder zu erlangen, Koda, um beim sagenumwobenen jährlichen Bärenfest Hechtsprung seine Mutter wieder zu finden …
Sobald Kenais Verwandlung vollständig ist, zieht die Leinwand auf – von Breitwand- auf Cinemascope-Format – und erstrahlen die Farben in aller Pracht. Das – eine Erzähltechnik, die Der Pferdeflüsterer (1998) schon eindrucksvoll angewandt hat – ist aber auch schon das einzig Bemerkenswerte an diesem Film, der ein Sammelsurium ist aus Überbleibseln aller Disneyfilme im allgemeinen und Dschungelbuch (1967) und König der Löwen (1994) im Besonderen – und Phil Collins liefert wieder, wie einst zu Tarzan (1999) die Musik. Das heißt: Kinder, die den Löwenkönig nicht kennen, haben ihren Spaß, die Eltern gucken abwechselnd auf die Uhr und nach ihren Sprösslingen, die im Kino rum laufen. Das war zu Zeiten von Mulan (1998) oder Aladdin (1992) noch anders.
Natürlich ist die Zeichentechnik atembraubend – ist sie bei Disney immer. Aber die Geschichte nimmt keine Fahrt auf; bis zum Bildformatwechsel vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Und dann passiert auf der langen Wanderung der beiden Bären nichts, also müssen Sidekicks über die Löcher helfen: Zwei trottelige Elche, die in der deutschen Synchronfassung einen lustigen IKEA-Dialekt haben („Ick liebe Dick!“) und eine Mammut-Herde, die aber auch nur wandert. Eine Entwicklung der Charaktere findet nicht statt – Koda ist Nerv tötend, weil er den Mund nie hält, Kenai ist in seinem Genervtsein bald Nerv tötend.
Erst Höhlenmalereien geben der Geschichte eine Fortentwicklung – allerdings ist der dramaturgische Effekt nicht überraschend, sondern aus Ice Age (2002) entlehnt. Wenn die Bärenparty am großen Fluss in Fahrt ist, fließt auch die ein oder andere Träne im Auge des Betrachters. Dann erst wird – schnell, schnell – auf die Schlusspointe hin gearbeitet. Das ist zu spät.
Disneys 44. abendfüllender Zeichentrickfilm war für viele Jahre der letzte dieser Art. Dem Konzern droht die feindliche Übernahme von innen. Die neue Macht am Trickfilm-Firmament sind die Pixar-Filme aus dem Computer (Findet Nemo – 2003; Toy Story –1995). Den über 200 Zeichnern der Bärenbrüder, die in Orlando, Florida wirklich ihr Allerbestes gegeben haben, wurde nach Ende der Produktion gekündigt – dabei hätten die Autoren die Kündigung verdient, wenn schon.
Erst im Jahr 2009, mit Küss den Frosch, kehrte Disney zum Zeichentrick auf der Leinwand zurück.
Kinoproduktionen aus der Reihe "Disneys Meisterwerke" ("Disney‘s Classics")
- Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937)
- Pinocchio (1940)
- Fantasia (1940)
- Dumbo (1941)
- Bambi (1942)
- Saludos Amigos (1943)
- Drei Caballeros (1944)
- Make Mine Music (1946)
- Fröhlich, Frei, Spaß dabei (1947)
- Musik, Tanz und Rhythmus (1948)
- Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte (1949)
- Cinderella (1950)
- Alice im Wunderland (1951)
- Peter Pan (1953)
- Susi und Strolch (1955)
- Dornröschen (1959)
- 101 Dalmatiner (1961)
- Die Hexe und der Zauberer (1963)
- Das Dschungelbuch (1967)
- Aristocats (1970)
- Robin Hood (1973)
- Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh (1977)
- Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei (1977)
- Cap und Capper (1981)
- Taran und der Zauberkessel (1985)
- Basil, der große Mäusedetektiv (1986)
- Oliver & Co. (1988)
- Arielle, die Meerjungfrau (1989)
- Bernard und Bianca im Känguruland (1990)
- Die Schöne und das Biest (1991)
- Aladdin (1992)
- Der König der Löwen (1994)
- Pocahontas (1995)
- Der Glöckner von Notre Dame (1996)
- Hercules (1997)
- Mulan (1998)
- Tarzan (1999)
- Fantasia 2000 (1999)
- Dinosaurier (2000)
- Ein Königreich für ein Lama (2000)
- Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt (2001)
- Lilo & Stitch (2002)
- Der Schatzplanet (2002)
- Bärenbrüder (2003)
- Die Kühe sind los (2004)
- Himmel und Huhn (2005)
- Triff die Robinsons (2007)
- Bolt – Ein Hund für alle Fälle (2008)
- Küss den Frosch (2009)
- Rapunzel – Neu verföhnt (2010)
- Winnie Puuh (2011)
- Ralph reichts (2012)
- Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (2013)
- Baymax – Riesiges Robowabohu (2014)
- Zoomania (2016)
- Vaiana – Das Paradies hat einen Haken (2016)
- Chaos im Netz (2018)
- Die Eiskönigin II (2019)
- Raya und der letzte Drache (2021)
- Encanto (2021)
- Strange World (2022)
- Wish (2023)