Eine kleine Stadt im mittleren Westen der USA. Mittelstandsfamilien. High School. Das Leben in der kleinen Stadt oszilliert zwischen Football sexueller Frustartion. Der Elterngeneration fällt sexuell nichts mehr ein, im Bett hat man sich alles gesagt und schläft frustriert nebeneinander her. Die pubertierenden Kinder hingegen stehen unter Leistungsdruck. Das Netz zeigt ihnen, wie „es“ geht. Lernen, Ertasten, heranschmusen war gestern. Heute gilt „Ich mach‘s Dir wild!“
Zum Beispiel Chris, dessen Eltern Helen und Don sexuell frustriert, Popcorn futternd auf der Fernsehcouch festgewachsen scheinen, der mit 10 Jahren bei Google das Suchwort „Titten“ eingab und heute, fünf Jahre später, auch bei den ganz harten Pornosachen nicht mehr heiß wird. Ausgerechnet ihn sucht sich Hannah aus, blonder Star der Cheerleaders, für ein gemeinsames Schulprojekt. ie macht es Chris nicht allzu schwer. eigentlich. Aber Chris steht sein vergiftetes Wissen im Weg.
Hannahs alleinerziehende Mutter Donna unterstützt die Pläne ihrer Tochter auf eine Filmkarriere, an der sie selbst gescheitert ist. Also macht sie viele Fotos ihrer formvollendeten Tochter und stellt sie auf eine Profilseite im Internet. Besucher dieser Seiten, die eventuell mehr sehen wollen, können dies gegen eine kleinen Obulus bekommen – schließlich will Hannahs Schauspielunterricht bezahlt sein.
In Donnas Nachbarschaft wohnen Kent und sein Sohn Tim. Vor einem Jahr ist Kent die Frau davongelaufen. Sie langweilte das Leben in der kleinen Stadt. Seitdem versuchen Vater und Sohn, neuen Halt zu finden. Kent hofft, diesen bei Donna finden zu können. Tim findet in in einem Multiplayer-Online-Game à la World of Warcraft, in dem er sich tagelang verliert.Tim war Star des Football-Teams der Schule, aber seit seine Mutter weg ist und Tim sich mit dem Sinn des Lebens im Zusammenhang mit dem Universum beschäftigt, findet er, dass in einem Umiversum, das Adolf Hitler und zwei Weltkriege unbeschadet überstanden hat, Football gleich gar keinen Sinn ergibt. Also steigt er zum Entsetzen der Schulleitung und seines Teams aus und wendet sich der unscheinbaren Brandy zu, die Probleme mit ihrer Mutter hat und meistens lesend in einer Ecke sitzt.
Brandys Mutter ist Patricia, die überzeugt ist, dass das Internet und diese ganze Online-Welt Teufelszeug ist, also kontrolliert sie jeden Schritt, den ihre Tochter in dieser Welt unternimmt und zensiert, was ihr nicht in den Kram passt. Das führt nicht nur zu Spannungen, sondern auch zu einem Suizidversuch.
Auch das Leben der jungen Allison hängt am seidenen Faden. Sie ist in Brandon verknallt, der in einem vermeindlich unbeobachteten Augenblick mal über sie gesagt hat, er würde „sie ficken, wenn er ihr Loch finden könnte“. Seither hat Allison an ihrer Figur gearbeitet, indem sie das Essen eingestellt hat. Wenn ihre eltern zum Abendessen rufen, setzt sie sich an den Computer und fragt in einschlägigen Foren, wie sie sich verhalten soll. „Nur dran riechen und dann ein Glas Wasser trinken“, prasseln die Vorschläge aus dem Netz auf sie ein.
Helen und Don, die bemühten Eltern von Chris nehmen sich eine Auszeit, gehen ins Netz und finden sexuelle Abenteuer …
Man hat es schon lange geahnt. Wer halbwegs aufmerksam durch die Straßen der Stadt läuft, hier und da zeitung liest oder mal ein TV-Magazin einschaltet, weiß: Wir hängen am Draht – nicht dem einer Marionette, sondern dem für die Kommunikation; aber an dem wieder wie eine Marionette. Nichts an Jason Reitmans jüngstem Film ist also wirklich überraschend. Sein Film zeigt eine Gesellschaft im modernen Kommunikationszeitalter, in der die Menschen Schwierigkeiten haben, am Tisch ins Gespräch zu kommen, weil sie übers Smartphone drei andere Gespräche führen. Die Technik mag modern sein, die Probleme sind die alten – und werden größer, weil anonymes Tippen Missverständnisse fördert. Statt miteinander zu leben, leben wir vor dem Fernseher, statt Kindern in die Welt zu helfen, kontrollieren wir sie, statt Erfahrungen zu sammeln, gucken wir YouTube-Tutorials. Das ist die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die uns täglich berührt, umfließt, selten kalt lässt.
Jason Reitman (Labor Day – 2013; Young Adult – 2011; Up in the Air – 2009; „Juno“ – 2007; „Thank You for Smoking“ – 2005) hat nur ein Bild aus all dem gemalt. Im Stil eines Episodenfilms verfolgt er den Alltag mehrerer Familien, die wir in unterschiedlichen Zusammenstellungen kennenlernen. Hier den scheinbar funktionierenden Familienverbund aus Mutter, Vater, Kind, die sich insgeheim aber jeder für sich in sexuellen Obsessionen verlieren, alleinerziehende Mütter, alleinerziehende Väter, überfürsorgliche Eltern und solche, die ihre Kinder an der langen Leine lassen. Im Original trägt der Film den schlichten Titel „Men, Women & Children“. Das fasst den Film ziemlich genau zusammen. Aber auch der deutsche Titel ist nicht schecht gewählt – Hashtag Zeitgeist ist eine treffende Zustandsbeobachtung der Gegenwart. Reitman steigt in seinen Film mit einer Totalen vom Schulhof ein. Schüler bevölkern die szene, manche reden miteinander, aber alle schauen auf ihr Smartphone und tippen; Reitman illustriert das, indem er Sprechblasenartig das, was die Schüler tippen, über ihren Köpfen aufploppen lässt.
Eine Stunde lang verfolgt Reitmans Stamm-Kameramann Eric Steelberg (Labor Day – 2013; Young Adult – 2011; „Verrückt nach Dir“ – 2010; Up in the Air – 2009; (500) Days of Summer – 2009; „Juno“ – 2007), der seine Praxis im Dokumentarfilm gelernt hat, die verschiedenen Familien, nur langsam schält sich so etwas, wie eine verbindende Dramaturgie aus all dem. Knapp gefasst: Wir erleben die zunehmende Vereinsamung durch die tausend Möglichkeiten der Kommunikation, genauer: Wir sehen, wie sowas aussieht im Alltag der Menschen. Alle wissen um die Gefahren, keiner kommt raus. Facebook, Twitter, YouTube und WhatsApp – die sozialen Netzwerke sind nicht nur ein großer Bestandteil unseres Lebens, sondern haben eine übermächtige Funktion. Statt in den Himmel starren die Menschen heutzutage in ihre Smartphones, um am Ball zu bleiben.
Reitmans Haltung diesem Zeitgeistphänomen gegenüber offenbart sich, wenn er Teenager zeigt, die sich der Technik nicht entziehen können, diese aber wenigstens im Griff haben,. Die eigentlichen Gefährder, also die, die das Online-Leben zur Gefahr machen, sind die Erwachsenen, die es wahlweise als große Freiheit oder als Gefahr für Leib und Leben erachten und entsprechend behandeln. In der zweiten Hälfte ändert sich die Tonart des Films. Dann sind alle Figuren erklärt, vorgestellt und verteilt. Die zweite Hälfte des Films offenbart: Es hat sich zwischenmenschlich nichts verändert. Die Technik entwickelt sich, den mensch steht. Reitman lässt in einer langen, komplett ohne Musik inszenierten Szenenabfolge seine Figuren zueinander finden – fremdgehen, erste Küsse, erste Dates … eine lange Szene analoger Schwierigkeiten, die Wärme versprüht, aber kaum eine Figur auserzählt. Nur ein paar bekommt so etwas wie eine klassische Liebesgeschichte. Die anderen besucht Reitman und geht wieder, bevor es klare Verhältniss gibt. Diese an Oberflächlichkeit grenzende Erzählweise ist gewollt.
Es gibt eine Art Rahmenhandlung über dem Ganzen, die die nüchterne Betrtachtungsweise erklärt. „#Zeitgeist“ beginnt mit Aufnahmen aus dem All. Eine Off-Erzählerin berichtet von der Voyager-Mission und über die Datenplatten mit für die Erde typischen Geräuschen an Bord der Raumsonde. Diese Sonde taucht im Film immer wieder mal auf, jedes Mal noch weiter weg von Erde, und irgendwann macht sie noch eine unter dem Titel Pale Blue Dot berühmt gewordene Serie von 60 Fotos (s.u.). Darauf sieht man in einem sehr grobkörnigen schwarzen Nichts einen kleinen blauen Fleck – die Erde; eigentlich ein Nichts im Universum. Nur der Homo Sapiens auf ihr benimmt sich, als herrsche er über dieses Universum. Tim hat das verstanden, deshalb den Football an den Nagel gehängt und gegen eine sinnstiftende Liebesgeschichte eingetauscht. Alle anderen, die um Bedeutung kämpfend zappeln, bleiben interessante schablonen ohne Inhalt, beobachtet wie Mikroben unter einem Mikroskop. Selbst eine Episode, die in einer Fehlgeburt gipfelt, bricht Reitman mit offenem Ende ab. Sowohl das überdeutliche Dramatisieren mit zielgerichtet herbeigeführten Konfrontationen als auch das beiläufige Erzählen sind Stilmittel, die Reitman beherrscht.
Bei Reitmans weitgehend emotionsloser Zustandsbeschreibung bleibt individuelle Anteilnahme auf der Strecke. So wie der Wissenschaftler über seinem Mikroskop auch kaum mitfiebert, ob seine beobachteten Mikroben Versöhnung und Verständigung füreinander finden. Reitmans Film ist dramatisierte Dokumentation, eine skeptische Chronik der Menschheit.
Und währenddessen verlässt die „Voyager 1“ mit diesem Bild unser Sternensystem.
Am 5. September 1977 wurde die Raumsonde „Voyager 1“ gestartet, die unter anderem die Planeten Jupiter und Saturn näher untersuchen sollte. Sie verließ unser Sonnensystem 1990. Voyager hat verschiedene Kameras an Bord, die in Flugrichtung fotografieren. Der Astronom Carl Sagan schlug vor, diese Kameras umzudrehen und sie aus dieser großen Entfernung – damals 6,4 Milliarden Kilometer – die Planeten des Sonnensystems fotografieren zu lassen. Dabei entstand auch ein Foto der Erde, die aus dieser Entfernung nur ein winziger, blassblauer Punkt ist: Das „Pale Blue Dot“-Foto. Es macht deutlich, wie unbedeutend die Erde in den unendlichen Weiten des Alls ist. Für den menschen indes bedeutet die Erde alles: sie ist der einzige Ort in diesem Universum, an dem wir leben können.
Carl Sagan hat später ein Buch mit dem Titel „Pale Blue Dot“ geschrieben, in dem er sich Gedanken darüber macht, was unser Platz im Universum ist und wie wir mit der Erde umgehen sollten. Daraus entstammt der hier zitierte Textausschnitt, mit dem auch Jason Reitman seinen Film „#Zeitgeist“ schließt.
„Aus dieser großen Entfernung betrachtet, scheint die Erde nicht besonders bedeutsam zu sein. Für uns Menschen ist es jedoch völlig anders. Denken wir doch einmal über diesen »Punkt« nach! Dieser blaue Punkt im All ist »hier«, er ist »zu Hause«, er ist »wir«. Jeder Mensch, den du liebst, den Du kennst, von dem Du jemals gehört hast – jeder Mensch, den es je gegeben hat lebte hier, auf diesem »Punkt«.
All unsere Freude und unser Leid, tausende von überzeugten Religionen, Ideologien und Wirtschaftstheorien, jeder Jäger und Sammler, jeder Held oder Feigling, jeder Schöpfer oder Zerstörer einer Zivilisation, jeder König oder Bauer, jedes junge Liebespaar, jede Mutter und jeder Vater, jedes hoffnungsvolle Kind, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Moralapostel, jeder korrupte Politiker, jeder »Superstar«, jeder »herausragende Herrscher«, jeder Heilige und jeder Sünder in der Geschichte der Menschheit lebte hier – auf einem Staubkorn, erleuchtet von einem Sonnenstrahl.
Die Erde ist eine sehr kleine Bühne in einer riesigen kosmischen Arena. Denken wir nur an die Ströme von Blut, die all die Generäle und Herrscher vergossen haben, um für kurze Zeit ruhmvoll herrschen zu können … über einen Bruchteil eines Punkts im All. Denken wir an die endlosen Grausamkeiten, welche die Bewohner einer Region dieses Pixels, den kaum von ihnen zu unterscheidenden Bewohnern einer anderen Region angetan haben. Wie oft sie sich falsch verstehen! Wie sehr sie darauf aus sind, einander zu töten! Wie leidenschaftlich sie einander hassen! Unser eitles Gehabe, unsere eingebildete »Wichtigkeit«, die Illusion, dass wir im Universum einen besonderen Platz einnehmen – all das wird in Frage gestellt von diesem blassen, blauen Punkt im All.
Unser Planet ist ein einsamer Fleck in der großen kosmischen Dunkelheit. Wir sind unbedeutend in diesem endlosen Weltall und es gibt keinen Hinweis darauf, dass irgendjemand oder irgendetwas von irgendwoher zu uns kommen wird, um uns vor uns selbst zu schützen. Nach allem, was wir bisher wissen, ist die Erde die einzige Welt, auf der es Leben gibt. In der näheren Zukunft gibt es keinen anderen Ort im Unviersum, wohin die Menschheit auswandern könnte. Wir können andere Planeten besuchen, aber es ist noch lange nicht daran zu denken, sich woanders niederzulassen.
Die Erde der Ort, an dem wir uns bewähren müssen – ob wir wollen oder nicht. Man sagt, dass man demütig werde, wenn man sich mit Astronomie beschäftigt, und dass das den Charakter forme. Dieses von weit her aufgenommene Bild unserer winzigen Welt ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie töricht es ist, wenn wir uns einbilden, etwas Besonderes zu sein. Für mich unterstreicht es unsere Verantwortung, freundlicher miteinander umzugehen. Es unterstreicht, dass wir diesen blauen Punkt im All wertschätzen und bewahren müssen. Er ist das einzige Zuhause, das wir kennen.“
Übersetzung: Andreas Kalt