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Plakatmotiv: Die Insel der besonderen Kinder (2016)

Hohe Schauwerte, skurrile Ideen.
Etwas erzwungene Bedrohung.

Titel Die Insel der besonderen Kinder
(Miss Peregrine's Home for Peculiar Children)
Drehbuch Jane Goldman
nach dem gleichnamigen Roman von Ransom Riggs
Regie Tim Burton, USA, UK, Belgien 2016
Darsteller

Eva Green, Asa Butterfield, Ella Purnell, Samuel L. Jackson, Judi Dench, Rupert Everett, Allison Janney, Chris O'Dowd, Terence Stamp, Finlay MacMillan, Lauren McCrostie, Hayden Keeler-Stone, Georgia Pemberton, Milo Parker, Raffiella Chapman u.a.

Genre Fantasy, Abenteuer
Filmlänge 127 Minuten
Deutschlandstart
6. Oktober 2016
Website fox.de/die-insel-der-besonderen-kinder
Inhalt

Jacob Portman, 16 Jahre alt, findet seinen Großvater Abraham tödlich verletzt im Wald. Jemand hat ihm seine Augäpfel genommen. Der Sterbende gibt seinem Enkel den Auftrag, auf die Insel nach Wales zu reisen, auf die er während des Zweiten Weltkrieges geflüchtet war und dort eine gewisse Miss Peregrine zu suchen.

Sein Opa hat ihm Zeit seines Lebens Geschichten von dieser Insel erzählt, auf der er mit vielen anderen Kindern gelebt haben will, die alle außergewöhnliche Fähigkeiten hatten. Seinen Eltern trotzt er die Erlaubnis ab, sich auf die Suche nach jener Insel machen zu dürfen, auf der sein Großvater auf der Flucht vor den Nazis untergekommen war.

Das Gebäude ist nur noch eine verlassene Ruine. Hier trifft Jacob auf Emma, die ihn mit in eine, wie sie sagt, Zeitschleife nimmt, zurück ins Jahr 1943, als Miss Peregrines Waisenhaus noch ein Zufluchtsort für besondere Kinder war. Die dort lebenden Kinder verfügen wirklich über besondere Fähigkeiten. Jacob lernt den unsichtbaren Millard Nullings kennen und die kleine Bronwyn Buntley, die außergewöhnlich kräftig ist. Fiona Frauenfeld kann Pflanzen kontrollieren und Olive Abroholos Elephanta hat Feuer in ihren Fingerspitzen; deshalb trägt sie immer lange, schwarze Handschuhe, um nicht alles zu entzünden, was sie berührt.

Die maskierten Zwillinge sprechen nie, tragen jedoch Masken, die ihr Gesicht komplett verdecken – was sie besonders macht, bleibt lange verborgen. Hugh Apiston beherbergt einen Bienenstock in seinem Bauch, Claire Densmore verbirgt an ihrem Hinterkopf einen weiteren Mund, Horace Somusson kann in seinen Träumen in die Zukunft blicken und diese anderen in Projektionen zeigen und Enoch O'Connor schließlich kann beliebige Objekte lebendig werden lassen.

Besonders ist Jakob jedoch von Emmas Fähigkeiten beeindruckt, denn sie kann die Luft und damit das Wetter kontrollieren. Außerdem ist sie leichter als Luft und muss sich daher mit Gewichten beschweren oder an eine Leine binden, wenn sie nicht wegfliegen will.

Die Zeitschleife, die Miss Peregrine mit einer Taschenuhr erzeugen kann, konserviert die Zeit, damit sich die Kinder mit ihren Fähigkeiten vor der feindlichen Welt da draußen verstecken können. Die Schleife bewahrt die letzten 24 Stunden. Miss Peregrine startet den 3. September 1943 immer aufs Neue, kurz bevor das Haus von einer Bombe getroffen wird, die ein Flugzeug der Nazis abwirft.

Die Zeitschleife – Jacob erfährt, dass es, verteilt über die ganze Welt, viele solcher Schleifen mit Frauen wie Miss Peregrine und Kindern mit besonderen Fähigkeiten darin gibt – beschützt die Kinder auch vor den Hollowgasts, oder kurz Hollows. Die langbeinigen Kreaturen mit grässlichen Tentakeln morden Kinder und haben es besonders auf deren Augäpfel abgesehen, denn nur so können die zur Unsichtbarkeit verdammten Schattenwesen zu Monstern aus Fleisch und Blut werden. Die Hollows wurden den Kindern von Mr. Barron auf den Hals gehetzt, einem verrückten Wissenschaftler mit den Fähigkeiten eines Gestaltwandlers.

Barron und seine Monster haben die Fährte der Kinder auf der walisischen Insel aufgenommen und klopfen schon an Miss Peregrines Pforte, während Jacob immer noch nicht versteht, was eigentlich seine besonderen Fähigkeiten sind; denn solche muss er besitzen, andernfalls hätte er die Insel der besonderen Kinder gar nicht finden können…

Was zu sagen wäre

Achtung: Spoileralarm

What You see is what You get: Wo Tim Burton dauf steht, ist auch Tim Burton drin. „Die Insel der besonderen Kinder“ ist eine optische Wuchtbrumme mit bizarren Einfällen, deren Opulenz aller Voraussicht nach im kommenden Oscar-Rennen eine Rolle spielt. Die größte Fähigkeit unter all diesen besonderen Kindern ist die Gabe des Sehens. Jacob kann als Einziger die Monster sehen, denen alle anderen – auf diesem Auge blind – hilflos ausgeliefert sind. Eine schöne Fähigkeit! So simpel und gleichzeitig elementar. In anderen Filmen mit begabten Wesen – Mutanten, Superhelden, Magiern – wie etwa den artverwandten X-Men ist es meist die Macht der Gedankenkontrolle, die als größte, stärkste, gefährlichste Kraft behauptet wird.

Sehen ist die wahre Stärke

Im Kino des visuellen Filmemachers Tim Burton (Frankenweenie – 2012; Dark Shadows – 2012; "Alice im Wunderland" – 2010; Big Fish – 2003; Planet der Affen – 2001; Sleepy Hollow – 1999; Mars Attacks! – 1996; Edward mit den Scherenhänden – 1990; Batman – 1989; Beetlejuice – 1988) besitzt die Fähigkeit des Sehens die stärkste Macht. Die Macht, Gedanken zu lenken, etwa die des Zuschauers durch eine ausgeklügelte Story, spielt im Burton‘schen Kino seit jeher eine untergeordnete Rolle. Entsprechend wie ein Fremdkörper kommt die Bedrohung in Person von Samuel L. Jacksons Mr. Barron daher, die auch in der literarischen Vorlage nicht vorkommt. Das Spiel mit Vorlage und Bearbeitung allerdings löst sich bei diesem Film ohnehin schnell in wolkiges Wohlgefallen auf: Wer hat hier eigentlich wen inspiriert?

Ransom Riggs hat seinen Roman „Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children“ 2011 veröffentlicht, also zu einer Zeit, als Tim Burton längst einen festen Platz im Kanon der außergewöhnlich begabten Fantasy-Gestalter inne hatte. Das Personaltableau des Riggs-Buches wirkt ein bisschen wie beeinflusst von Burtons skurillen Figuren. Das Drehbuch zur Verfilmung stammt von Jane Goldman, die auch das Script zu den beiden X-Men-Filmen Erste Entscheidung (2011) und Zukunft ist Vergangenheit (2014) geschrieben hat. Man kann also mit einiger Kühnheit behaupten, dass hier spezifisch ausgebildete Kreative ihre Gene in einem Pool vereint haben – anders gesagt: Für die Insel der begabten Kinder haben sich begabte Spinner gesucht und gefunden.

Bei Tim Burton schließt das Sandmännchen die Augen der Kinder nicht, es frisst sie

Die Bedrohung durch die Hollows bleibt ein Fremdkörper, stört nur die Schönheit des Settings – ist allerdings nötig, um einen abendfüllenden Film zustande zu bringen. „Die Insel der besonderen Kinder“ ist in seinem Kern nämlich genau das, was sein Titel verspricht: Mit Jacob lernen wir eine Gesellschaft außergewöhnlicher Außenseiter kennen, eine Insel besonderer Kinder, und das hat sich aber nach längstens 45 Minuten erschöpft; man kennt die Kinder, kennt die Fähigkeiten, hat gesehen, was es zu sehen gibt – ähnlich einer TV-Reportage, die über einen besonderen Ort berichtet, dafür 45 Minuten Sendezeit hat. Im Kino braucht man aber 100 Minuten Material, um den Preis für die Kinokarte zu rechtfertigen.

Also gibt es die dunkle Bedrohung durch Mr. Barron und seine Augäpfel essenden Kreaturen; und natürlich macht Tim Burton daraus dann gleich eine Augapfel-fress-Orgie geifernder Monster. Diese Augenfresser sind Burtons Version des Sandmännchens, das den Kindern allabendlich die Augen schließt. Der hüfthohe Haufen herausgerissener Augen, von dem sich die tentakeligen Monster genüsslich bedienen, muss Burton ein Fest gewesen sein.
Er ist nicht das einzige Eye Candy. Burton lässt Skelette aus der Geisterbahn steigen und mit Schwertern gegen die Tentakelmonster antreten – eine gänsehautig schöne Hommage an Ray Harryhausens Stop-Motion-Skelette aus „Sinbads siebte Reise“ (1958).

Eine Story, um das Bild zum Tanzen zu bringen

In einer Zeit, in der das Kino im Kampf um den Euro im Portemonnaie gegen DolbyDigital-Heimkinosysteme, Downloadportale, TV-Serien im Hollywood-Look, YouTube, Playstation und artverwandte Zerstreuung antreten muss, stellt dieser Film eine interessante Frage: Braucht das Kino noch genuine Geschichten? Tim Burtons Inselkinder lassen vermuten, dass Bilder und Typen reichen – solange es eine irgendwie schlüssige Bedrohung gibt, die das phantasievolle Bild zum Tanzen bringt.

Wertung: 6 von 8 €uro
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