Der Sohn des Obergottes zu sein, hat seine Vorteile. Man kann ein arrogantes Arschloch sein, sich prügeln, man kann saufen gehen. Und man hat nie Ärger.
Der Sohn des Obergottes zu sein, kann aber auch ganz schön nervtötend sein. Zum Beispiel, wenn Dad, der Obergott, es wenig erquickend findet, dass sein Sohn ein arrogantes Arschloch ist, sich prügelt und säuft. Und ihn also nicht zum neuen Obergott macht. Thor geht das so. Odins Sohn. In Asgard, der Heimat der nordischen Götter.
Die Unstimmigkeiten gehen soweit, dass Odin seinen Sohn schließlich aus Asgard verbannt, aller göttlichen Insignien ledig, insbesondere seines Hammers 'Mjolnier', mit dem Thor, bis dato "Gott des Donners", Wind, Wetter und die Naturgewalten beherrscht. Nun stolpert der blonde Hüne, spärlich bekleidet, durch die Wüste New Mexikos und wird von einem Grüppchen Wissenschaftler aufgegriffen, angeleitet von der ebenso smarten wie bärbeißigen Jane Foster. Die hat es mit dem gut gebauten, blonden Six-Pack-Typen nicht leicht; er ist zwar – wovon Foster natürlich nichts ahnt – seiner göttlichen Macht ledig, aber er ist immer noch ziemlich kräftig. Und arrogant ist er auch immer noch – und hier, auf Midgard (asgardischer Name für "Erde") in dem kleinen Kaff in New Mexiko, hat er es ja nur mit Menschen zu tun – nicht mit Göttern.
Die Götter haben derweil in Asgard ganz eigene Probleme. Der Krach zwischen Odin und Thor kam nicht ganz zufällig. Er wurde mächtig befeuert von Thors intrigantem Halbbruder Loki, der sich, anders als der Blonde, sehr ausführlich mit der Geschichte Asgards befasst hat und daher weiß, dass Odin bald in den Odin-Schlaf sinkt, eine Art Koma, das ihn eine lange Zeit komplett außer Gefecht setzt. Loki will diese Zeit nützen, Obergott anstelle des Obergottes zu werden – Thor hätte da womöglich im Weg gestanden, aber Thor ist ja nun weg.
Der Ex-Donnergott hat sich auf Midgard mit den Umständen einigermaßen arrangiert, zumal er Jane Foster sehr apart findet und das dringende Bedürfnis verspürt, ihr gegen eine plötzlich auftauchende, schwarze Anzüge tragende Regierungseinheit beizustehen, die alle ihre Untersuchungsergebnisse beschlagnahmt. Dieser Beistand hat sein Gutes, denn die Beamten, die zur Organisation S.H.I.E.L.D. gehören, haben den Hammer gefunden, mit dem sie nichts anzufangen wissen, von dem sie aber ahnen, dass er Großes verbirgt.
Kurzentschlossen dringt der anonyme Thor ins rasch um den Hammer errichtete Sperrgebiet, um sich sein Werkzeug zurückzuholen. Er staunt nicht schlecht, als er seinen Mjolnir keinen Jota bewegen kann. Mist! Was hatte Odin bei der Verbannung gesagt: Erst, wenn er sich als wahrer uneigennütziger Held erweise, werde Thor sein Werkzeug zurückerhalten.
Nun ist der blonde Recke zwar immer noch stärker, als zehn Erdenmänner, aber dem DESTROYER, den ihm Loki auf den Hals hetzt, um seine frische Asgard-Herrschaft zu zementieren, hat er ohne seinen Hammer nichts mehr entgegenzusetzen ...
Ein mächtiges Königreich an der Schwelle zur Erbfolge. Der Friede mit den Nachbarn ist brüchig, beide potenziellen Erben sind nicht vorbereitet. Irgendwie wundert es nicht, dass man Kenneth Branagh, bekannt als Regisseur für Shakespeare-Dramen, für dieses Königsdrama auf den Regiestuhl gesetzt hat (1 Mord für 2 – 2007; Mary Shelleys Frankenstein – 1994; Viel Lärm um nichts – 1993; Peter's Friends – 1992; Schatten der Vergangenheit – 1991; "Heinrich V." – 1989). Allerdings handelt es sich hier nicht um Shakespeare, sondern um die Verfilmung eines Superhelden-Comics. Thor. Eine Figur, die ursprünglich aus der nordischen Mythologie stammt und als Donnergott im MARVEL-Universum für Drama sorgen soll.
Bei Kenneth Branagh finden Marvel und Shakespeare zusammen
Branagh fächert eine Geschichte auf, in der zwei ungleiche Brüder um den Thron kämpfen. Der eine ist der aus der Blutlinie gerechtfertigte Sohn, der andere Sohn stellt sich als adoptiertes Kind aus dem engsten Kreis des übelsten Feindes heraus. Während irgendwo im Universum, sagen wir hinten links, dieser Erbfolgestreit tobt, verzweifelt auf der Erde, also hier bei uns, eine Astrophysikerin an ihren Forschungen. Sie registriert Erscheinungen, hat aber zwei Assistenten, die ihr bescheinigen, dass sie unmöglich richtig liegen kann.
Der Donnergott ist einsilbig
Der Film ist rund. Charmante Figuren, schlüssig inszenierte Action, eine epische Schlacht zwischen Asen und Eisriesen aus der Eiswelt Jotunheim, wunderbar gestaltete Bilder und eine gute Besetzung. Anthony Hopkins (Ich sehe den Mann Deiner Träume – 2010; Wolfman – 2010; Das Spiel der Macht – 2006; Roter Drache – 2002; Hearts in Atlantis – 2001; Hannibal – 2001; Mission: Impossible II – 2000; Rendezvous mit Joe Black – 1998; Die Maske des Zorro – 1998; Amistad – 1997; Auf Messers Schneide – 1997; Nixon – 1995; Legenden der Leidenschaft – 1994; Was vom Tage übrig blieb – 1993; Bram Stoker's Dracula – 1992; Wiedersehen in Howard's End – 1992; Freejack – Geisel der Zukunft – 1992; Das Schweigen der Lämmer – 1991; 24 Stunden in seiner Gewalt – 1995; Die Bounty – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Achtzehn Stunden bis zur Ewigkeit – 1974) ist als Göttervater Odin ein wenig unterfordert, dafür macht Neuling Chris Hemsworth eine gute Figur (2009 ist er mal aufgefallen als George Kirk, Vater von James Tiberius Kirk in der Neufassung von Star Trek): das Aussehen nah am Comic-Vorbild und ein glaubhafter Hingucker für die wunderbare Natalie Portman, die sich natürlich nicht in einen blonden, muskelbepackten Grobian verlieben würde (Freundschaft Plus – 2011; Black Swan – 2010; The other Woman – 2009; Die Schwester der Königin – 2008; V wie Vendetta – 2005; Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith – 2005; Hautnah – 2004; Unterwegs nach Cold Mountain – 2003; Zoolander – 2001; Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung – 1999; Mars Attacks! – 1996; Alle sagen: I love you – 1996; Heat – 1995; Léon: Der Profi – 1994). Hemsworths Spiel ist einsilbig, deshalb müssen seine Mitspieler häufiger erklären, was der Donnergott gerade fühlt – dafür ist das Lächeln des Australiers umwerfend, sein Bass großartig, sein Donnergott-Blick steinern streng und wenn er mit seinem göttlich erzogenen Gehabe auf die einfachen Menschen in dem kleinen New-Mexico-Städtchen trifft, entstehen herzenswarme Szenen.
Die Show stiehlt ihm Loki, der sein Halbbruder ist und von dem Briten Tom Hiddleston mit lustvoller Arroganz und verschlagenem Machtwillen ausgestattet wird; ein verführerischer Macchiavelli mit traumatisiertem Herz. Mit Hiddleston, der gerade durchstartet und im laufenden Jahr auch mit Woody Allen (Midnight in Paris) und mit Steven Spielberg (Gefährten) gearbeitet hat, hat Kenneth Brannagh einen guten Griff getan. Branagh macht aus der etwas angestaubten Comicfigur ein klassisches Königsdrama im großen Schloss mit schönen Frauen, eiskalten Dämonen und glühendem Verräter. Es ist schön, dass die Marvel-Studios keinen bunten Comic-Haudraufundschluss liefern, sondern Raum für Charaktere schaffen und Charakteren Raum geben, sich zu entfalten. "Thor" ist ein abwechslungsreiches, buntes, witziges Spektakel-Drama mit Gänsehautmomenten.
Eigentlich schreit dieser Film Play it again, Thor!
Eine Vorbereitung auf die Ruhmreichen Rächer
Einen festen Platz in den Marvel-Filmen hat mittlerweile Phil Coulson, der verbindliche, unerschütterliche und stets freundliche Agent von S.H.I.E.L.D., der seinen ersten, kleinen Auftritt in Iron Man (2008) hatte und hier schon eine zentrale Rolle spielt. Denn S.H.I.E.L.D. arbeitet an einer „Avengers Initiative“, die zum Ziel hat, verschiedene Helden – zu denen auch Thor gezählt wird – gegen globale Bedrohungen zu einer Einheit zu formen. So ist nach den beiden Iron Man-Filmen (2008/2010) und The incredible Hulk (2008) auch der vorliegende Film ein Vorbereitungsfilm, der auf einen Film mit dem Titel The Avengers hinausläuft. 2012 soll er in die Kinos kommen; die "ruhmreichen Rächer" bilden die zentrale Superhelden-Combo des Marvel-Kosmos' und sind Heimat der Mächtigsten der Mächtigen – eben Thor, Hulk, Iron Man, Captain America und Hawkeye, der treffsichere Bogenschütze, der im vorliegenden Film seinen ersten kleinen Auftritt hat.
"The mighty Thor" ist eine Figur aus dem Superhelden-Kosmos der Comicfirma MARVEL und damit ein Mitglied der Familie von Spider-Man, Fantastic Four, Hulk, Iron Man oder Captain America. Die Konkurrenzfamilie, der ältere Comicverlag DC, beheimatet die Ikonen Superman, Batman, Green Arrow oder Green Lantern.
Die Fortsetzungen
- Thor – The Dark Kingdom (2013)
- Thor – Tag der Entscheidung (2017)
- Thor: Love and Thunder (2022)
Übersicht: Helden im Comic, Helden auf der Leinwand