Buchcover: Stephen King – Das Spiel

Stephen Kings Häutung vom Horror
zum versierten Frauendrama

Titel Das Spiel
(Gerald‘s Game)
Autor Stephen King, USA 1992
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
Verlag Heyne
Ausgabe Paperback, 344 Seiten
Genre Drama
Website stephenking.com
Inhalt

Die Eheleute Gerald und Jessie Burlingame verbringen ein Wochenende in ihrem abgeschiedenen Sommerhaus am Lake Kashwakamak im Westen Maines. 17 Jahre verheiratet und ihres Ehelebens müde, gibt sich das Paar in der völligen Abgeschiedenheit seines Sommerhäuschens erotischen Fesselspielen hin. Für Jessie, anfangs durchaus davon angetan, verloren diese Spiele schon vor langer Zeit ihren Reiz, und sie erduldet sie längst einzig ihrem Mann zuliebe.

Dieses Mal jedoch, von ihrem Gatten ans Bett gefesselt, kommt in Jessie eine jähe Abscheu dagegen auf, sich den Gelüsten ihres Mannes hinzugeben, und sie fordert ihn auf, von ihr abzulassen. Gerald, der glaubt, dass Jessies Widerstand vorgetäuscht und Teil des Spiels sei, lässt jedoch nicht von ihr ab. Als er sie weiter bedrängt, versetzt Jessie ihrem Mann einen harten Fußtritt. Gerald erleidet daraufhin einen Herzinfarkt und stirbt nur Sekunden später.

Gerald tot neben dem Bett, sie selbst mit Handschellen an das massive Holzgestell des Bettes gefesselt und in dem völlig menschenleeren Gebiet um den See ohne Hoffnung, dass ihre Hilferufe gehört werden, gerät Jessie rasch in Panik und beginnt bald, die Stimmen ehemaliger Highschool-Freundinnen zu hören. Schnell wird jedoch klar, dass diese Stimmen verschiedene Aspekte der Persönlichkeit Jessies repräsentieren, und im inneren Dialog mit ihnen gelingt es Jessie – während ein Hund begonnen hat, den toten Gatten anuzufressen –, die schwierige Beziehung zu Gerald oder den lange verdrängten sexuellen Missbrauch durch ihren Vater, als sie zwölf Jahre alt war, zu verarbeiten.

Und dann steht plötzlich dieser unförmige Mann im Raum …

Was zu sagen wäre
Das Spiel

Ein Albtraum. Versiert erzählt. Stephen King erweitert seine Palette. Nachdem er zahlose Gruselgeschichten erzählt hat, in den der Grusel meist durch den Nachbarn, den Verläufer oder durch einen Ladenbesitzer entsteht, der sich als übernatürliche Entität entpuppt, ist bleibt er in „Gerald‘s Game“ ganz und gar in der Realität und deren Möglichkeiten; selbst ein als geisterhaft empfundener Mann, der sich bisweilen in den Schatten des Zimmers herumdrückt und eine Taschen mit lauter Knochen herzeigt, enmtpuppt sich zum Ende hin als reale, aber nichtsdestotrotz gruselige Figur. In gewisser Weise hat King auch in „Cujo“ (1981) schon eine ganz und gar realen Albtraum erzählt: ein Bernhardiner, der durch den Biss einer Fledermaus tollwütig wird. Aber der Vergleich hinkt angesichts des monströsen, das der Hund dann lostritt. Im vorliegenden Fall taucht auch ein Hund auf, der Grausiges tut, dabei aber ganz seinem unverdorbenen, tierischen Instinkt gehorcht.

Es ist also der Horror schlechthin, den Stephen King hier beschreibt. Eine Frau mit Handschellen an ein Bett gefesselt, bekleidet nur mit ihrem Höschen, das Fenster offen, während draußen die Herbstkühle in nächtliche Kälte übergeht, durstig, das Glas aber aber in unerreichbarer Nähe – und ein Hund knabbert den toten Ehemann an. Das King dieses Spiel nicht ausser Kontrolle gerät, zeigt seine schriftstellerischen Qualitäten – es ist unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen, wenn er über zehn Seiten lang beschreibt, wie Jessie sich ein Glas mit Wasser erkämpft, das auf einem Regalbrett über ihr steht.

Er lässt uns mit der gequälten, ans Bett gefesselten Seele aber nicht allein. Jessie verfällt in Selbstgespräche, die nach und nach ihr halbes Leben aufblättern, sodass aus diesem vordergründigen Horrorszenario ein veritables Frauenportrait wird. Das ist mal amüsant, mal dramatisch, meist aber so intensiv, dass ich als Leser mich dabei ertappe, wie ich meinen Umgang mit Kolleginnen und Freundinnen nach möglichem Fehlverhalten abtaste – Stephen King als Frauenversteher.

Und dann kommt der Akt der Befreiung – der durchaus so doppeldeutig verstanden werden kann, wie er klingt. Wie Jessie sich aus diesen engen Handschellen befreit, ist purer Splatter, schmerzhaft, wie eine schwere Geburt, blutig wie eine Schlacht gegen die Unterdrücker.