Buchcover: Limit
Frank Sch(w)ätzing
entdeckt den Weltraum
Titel Limit
Autor Frank Schätzing, Deutschland 2009
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ausgabe Gebunden, 1.328 Seiten
Genre Thriller, Science Fiction
Website frank-schaetzing.com
Inhalt

Mai 2025: Die Energieversorgung der Erde scheint gesichert, seit die USA auf dem Mond das Element Helium-3 fördern. Bahnbrechende Technologien des Konzerngiganten Orley Enterprises haben die Raumfahrt revolutioniert, in einem erbitterten Kopf-an-Kopf-Rennen versuchen Amerikaner und Chinesen, auf dem Trabanten ihre Claims abzustecken.

Während der exzentrische Konzernchef Julian Orley mit einer Schar prominenter Gäste zu einer Vergnügungstour ins All aufbricht, soll Detektiv Owen Jericho, den eine unglückliche Liebe nach Shanghai verschlagen hat, die untergetauchte Dissidentin Yoyo ausfindig machen. Was nach Routine klingt, ist tatsächlich der Auftakt zu einer alptraumhaften Jagd von China über Äquatorialguinea und Berlin bis nach London und Venedig. Denn auch andere interessieren sich für Yoyo, die offenbar im Besitz streng gehüteter Geheimnisse und ihres Lebens nicht mehr sicher ist.

Jericho muss sich mit der bildschönen, aber ziemlich anstrengenden Chinesin zusammentun, um den phantomgleichen Gegnern auf die Spur zu kommen. In einer Zeit, in der multinationale Konzerne der Politik zunehmend das Zepter aus der Hand nehmen, führen beide einen verzweifelten Kampf ums Überleben, gehetzt von einer Übermacht hochgerüsteter Killer. Die Suche nach den Drahtziehern führt mitten hinein in die Wirren – und zum Mond, auf dem sich Orleys Reisegruppe unvermittelt einer tödlichen Bedrohung gegenüber sieht …

aus dem Klappentext

Was zu sagen wäre
Limit

Viel zu lang. Zu geschwätzig. Frank Schätzing hält sich treu an das Motto „Was passieren kann, passiert auch!” Und also passiert … alles – was zwischen Erde und Mond eine ganze Menge ist. 1.328 Seiten sprechen eine deutliche Sprache.

Und das meiste passiert ohne tatsächlichen Thrill. Einmal brennt es über viele Seiten in dem ein oder anderen Schacht, da wird es so heiß, dass feuerfeste Wände zu Brei zerfließen, die Stahlverstrebung in der Nachbarröhre ächzend gegen die Hitze protestiert – wobei die Stahlverstrebung allerdings den wissenschaftlich-bautechnisch korrekten Namen bekommt, der mir als Leser nichts sagt und mich damit noch mehr ins Verständnis-Abseits drängt, als die nach dem Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip in diesen Röhren herumhangelnden Personen, von denen einige ihr Ziel natürlich nicht erreichen. Wer es nicht erreicht, ist eigentlich wurst. Schätzing hat sein Personaltableau wieder so umfassend gefüllt, dass er jede Menge Opfer generieren kann und es am Ende aber trotzdem noch für’s Happy End reicht. Ein sehr schales Happy End.

Ein Lesespaß ist das nicht

Ein echter Lesespaß ist Limit während des Lesens nicht. Es sei denn, man ist ausgiebiger Mondreise-Fan und erwärmt sich an den vielen Seiten, auf denen Schätzing all sein recherchiertes Wissen – die Liste der Danksagungen ist ebenso lang wie prominent besetzt – ausbreitet. Das Spannende entwickelt sich dann erst, wenn wieder mal ein paar Tage vergangen sind, in denen keine Zeit war, die nächsten der endlos vielen Seiten zu bewältigen. Erst dann erschließt sich das weltumspannende Drama um Energiegewinnung, westafrikanische Putsche und kanadische Attentate.

Es ist wie bei einem SPIEGEL-Artikel: Sehr lang, vollgepackt mit Wissen, bisweilen etwas geschmäcklerisch geschrieben, aber spannend genug, um dranzubleiben und am Ende bleiben drei Sätze Erkenntnisgewinn übrig, mit denen man auf der nächsten Party umfassendes Wissen vorgaukeln kann. Ein selbstbewusster Lektor hätte dem Text gut getan. Hier war offenbar einer am Werk, der vor der mächtigen Prominenz des Autors, der sich in selbstverliebten Formulierungen verliert, eingeknickt ist.

Erster Hingucker: Nach ein paar Seiten sagt einer, nichts sei „uninteressanter als das Meer”. Kleiner Seitenhieb auf Schätzings immens erfolgreichen Limit-Vorgänger Der Schwarm?

Ich habe "Limit" vom 20. März bis zum 26. Juli 2011 gelesen.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb: Bei Schätzing lohnt es sich, die Bücher von hinten nach vorne zu lesen.

Nicht deshalb, weil man auf diese Weise erfährt, ob die Erde gerade noch rechtzeitig gerettet und die Verschwörung aufgedeckt wird. Nicht, weil man beruhigenderweise ahnt, dass der angezettelte Dritte Weltkrieg wie ein Schweizer Kracher in der Pfütze endet: mit leisem Ffftttttt. Sondern weil bei Schätzing die Lektüre der Danksagungen von Interesse ist. Wie bei Forsyth oder Crichton erfährt man hier oder im Register, wie ernst der Autor seinen Gegenstand nimmt. Wie genau und umfassend er ihm nachspürt, um daraus eine überzeugende Geschichte zu destillieren. Die Destillation, die Lehre vom Niederschlag löslicher Stoffe, beschreibt die Tätigkeit guter Thriller-Autoren womöglich am besten. Es ist die Kunst des Abgewinnens und durchaus keine leichte Sache.

Im „Limit”-Fall bedankt sich der Autor bei ISS- und Mir-Astronauten, bei Physikern, Planetenforschern, Energiespezialisten, Weltraumrechtsanwälten oder Holographie-Entwicklern, bei Instituten für Intelligente Informationstechnologie, Stadtplanern, Sinologen oder Slumforschern. Genau das ist es, was Schätzing-Bücher lesenswert macht. Sie gründen nicht allein auf Phantasie und Spekulation, sondern auf jahrelanger Recherche. Sie nehmen das Wissen in Anspruch.

Schätzing et al.: Das ist eigentlich ein Autoren-Kollektiv, und Schätzing selbst immer dann am besten, wenn er mit Hilfe der Experten, Bücher, Aufsätze und des Internets die Phänomene erzählen lässt – und sich auf den Suspense verlässt, der den Dingen zwischen Himmel und Erde naturgemäß innewohnt. Das ist das eine, was Schätzing auszeichnet. Das andere ist eine verblüffende Erzählweise: Schätzing erzählt wie ein Filmemacher. Im Grunde schreibt er überbordende Drehbücher ohne Drehbuchkalkül. Breitestwand ist sein Format.

Mit „Limit” gelingt ihm beides erneut, obwohl er sich diesmal im – allerdings recht nahe liegenden – Gegensatz zum Schwarm-Kino von der Erde und der Tiefsee abwendet, um den Himmel zu erforschen: „Limit” ist ein Versuch über die Grenzenlosigkeit (der menschlichen Gier wie der menschlichen Neugier) und der Grenzen (der natürlichen Ressourcen wie jener, sich global zu verständigen und den Ausgleich zu suchen).

So nebenher testet Schätzing allerdings auch die Grenzen des Thriller-Genres aus: 1.320 Seiten umfasst „Limit”. Bei einem solchen Volumen ist es für einen Thriller, dessen Gesetze Tempo beziehungsweise Page & Turn heißen, nicht selbstverständlich, am Ende mehr zu sein als ein Backstein der Recherche. Das Buch ist daher gelungen – auch wenn es womöglich etwas weniger Sog entwickelt als der Schwarm, in dem sich die Meere gegen den Menschen erheben. Die nur ein paar Kilometer tief hinabreichenden Ozeane scheinen erstaunlicherweise mehr Tiefe und Geheimnis zu besitzen als das All in all seiner Unergründlichkeit.

Zwei Handlungsstränge sind es, die Schätzing über einige hundert Seiten mit viel Behutsamkeit entwickelt. Angesichts des zahlreichen, nicht in jedem einzelnen Fall auch interessanten Personals in „Limit” erscheint solche Genauigkeit und Autorenfürsorge jedoch nicht immer angebracht – ein schlankeres Buch wäre also denkbar gewesen.

Im ersten Handlungsstrang geht es um einen illustren Kreis, der sich – im klugerweise antifuturistisch, erkennbar gezeichneten Jahr 2025 – auf den Weg zu einem Mond-Hotel macht. Der Mond ist inzwischen beinahe so gut zu erreichen wie die Malediven.

In diesem Kreis sind versammelt: ein gutaussehender Ex-Perry-Rhodan-Darsteller mit dunkler Neigung, ein russischer Stahlimperialist mit Hang zum Fußball, ein indischer Tomaten-Baron mit Hang zur Untertreibung, eine TV-Klatschkönigin mit Hang zu Männern wie Frauen, eine Milliardärsgattin mit Hang zur Flasche und einige mehr. Angeleitet werden sie von der mal eher manisch (Julian), mal eher depressiv (Lynn) wirkenden Familie Orley, die märchenhaft reich ist.

Julian Orley hat einen (tatsächlich schon zum Ende des 19. Jahrhunderts erstmals diskutierten) Mond-Fahrstuhl erbaut. Durch diesen wird nicht nur der Weltraumtourismus angekurbelt, sondern auch das Energieproblem der Erde gelöst: das Element Helium-3 gibt es dort (tatsächlich) in ungeheuren Mengen. Durch den Transport zur Erde könnte (tatsächlich) das Öl-und-Gas-Zeitalter abgelöst werden. Wie es im Buch heißt: „Die Steinzeit ist nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen.”

Das ist der vielleicht interessanteste Dreh in „Limit”: Nicht die Begrenzung der Energiereserven, sondern erst die Grenzenlosigkeit der Energiequellen und Fördermöglichkeiten bringt die Erde an den Rand der Katastrophe.

Denn der wiederaufgenommene Wettlauf zum Mond ist keiner allein der Ökonomen, sondern auch einer der Volkswirtschaften und der nationalen Ideale. An dieser Stelle koppelt Schätzing einen zweiten Handlungsstrang an die Mondfahrt-Party einiger kurioser Geld-Biographien:

Der Cyber-Detektiv Owen Jericho und die naturgemäß sehr schöne Dissidentin Yuyun „Yoyo” Chen sind einem Komplott auf der Spur, das sich von Shanghai über Berlin bis nach Äquatorialguinea erstreckt – und dem Anspruch aller Bond-Filme nach herausragenden Settings gerecht wird. Die Erde tut vielleicht gar zu viel, um der Exotik des Mondes und seiner Kraterlandschaften etwas entgegenzusetzen.