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Plakatmotiv: Venom (2018)
Marvels Freier Radikaler macht
nicht neugierig auf mehr von ihm
Titel Venom
(Venom)
Drehbuch Jeff Pinkner + Scott Rosenberg + Kelly Marcel
mit MARVELs Venom-Character von Todd McFarlane + David Michelinie
Regie Ruben Fleischer, USA 2018
Darsteller Tom Hardy, Michelle Williams, Riz Ahmed, Scott Haze, Reid Scott, Jenny Slate, Melora Walters, Woody Harrelson, Peggy Lu, Malcolm C. Murray, Sope Aluko, Wayne Pére, Michelle Lee, Kurt Yue, Chris O'Hara u.a.
Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 112 Minuten
Deutschlandstart
2. Oktober 2018
Website marvel.com/venom-eddie-brock
Inhalt

Ein Raumschiff der Life Foundation, das mehrere außerirdische Lebensformen an Bord hat, stürzt im malaysischen Regenwald ab.

Eddie Brock, ein in San Francisco, Kalifornien ansässiger Journalist, schnüffelt dem Chef der Life Foundation, Dr. Carlton Drake, nach, der Gerüchten zufolge mit Menschen Experimente durchführen lässt, die für die Probanden tödlich enden. Brock bekommt von Dr. Dora Skirth, einer Angestellten der Life Foundation, Hinweise zu den Experimenten und kommt den Geheimnissen der Foundation näher.

Carlton versucht mit Hilfe der neu entdeckten Lebensform, die er „Symbiont“ nennt, die Menschen zu seinem Nutzen weiterzuentwickeln. Eddie dringt in die Life Foundation ein und gerät in Kontakt mit einem Symbionten, der seinen Körper als Wirt nutzt.

Die beiden versuchen zu koexistieren und müssen sich als „Venom“ der Life Foundation entgegenstellen, die es auf sie abgesehen hat …

Was zu sagen wäre

Venom gehört zu den beliebtesten Charakteren in MARVELs Comic-Universum. Das ist einerseits erstaunlich, weil er zu nichts wirklich nütze ist, es sei denn, der Comic-Verlag erwartet Splatter. Andererseits ist Venom ein Anarchist, einer, der sich einen Dreck um gesellschaftliche Konventionen schert, und als er Mitte der 80er Jahre ins Marvel-Universum einbrach – zunächst als einfaches schwarzes Kostüm mit speziellen Kräften für Marvels Erfolgsfigur Spider-Man, ab 1988 dann als der heute bekannte Allesfresser mit der langen Zunge – da traten die Superhelden-Comics (mal wieder) auf der Stelle.

Comicautoren auf der Suche nach dem blutrünstigen Monster

Entweder hatten sich die Helden aufgemacht ins Universum, um immer noch abseitigere Bedrohungen der Erde zu bekämpfen, oder sie blieben auf der Erde und plagten sich mit eher eindimensionalen Superschurken und mit Liebesproblemen. Im Kino, stets ein beinharter Konkurrent der Heftchen-Helden im Kampf um das Taschengeld der Zielgruppe, tobten zu der Zeit längst Vampire, Zombies und unheimliche Aliens aus einer anderen Welt. Venom war eine Antwort auf diese blutgierigen Wesen: Als Schwarzes Kostüm machte er Marvels Liebling Spider-Man schnittiger, als Symbiont war er ein Hardcore-Gegner und dann ein moralisch fragwürdiger Menschheitsretter, bei dem letztlich nie ganz klar ist, ob er seine Menschenfreundlichkeit durchhält. Er ist halt ein Anarchist, den seine Autoren je nach Laune so oder anders einsetzen können – vor allem dem damaligen Zeitgeist gemäß blutig.

Plakatmotiv: Venom (2018)Der Symbiont in Ruben Fleischers Venom-Verfilmung ist auch so ein freier Radikaler, mit dem seine Autoren wenig was anzufangen wissen. Es ist bezeichnend, dass sie ihren Titelhelden erst auftauchen lassen, als der Film schon eine Stunde alt ist. Bis dahin ist „Venom“ das grob skizzierte Portrait eines Losers. Dieser Eddie Brock, den 2007 unter Sam Raimis Regie schon mal Topher Grace dargestellt hat, verkörpert elf Jahre später der wuchtige Tom Hardy. Sein Online-Blogger Eddie ist einer, der der Wahrheit verpflichtet ist, und wenn es ihn alles kostet. Also verliert er gleich zu Beginn alles – Job, Verlobte, Wohnung – und schlägt sich die nächsten sechs Monate mit Gelegenheitsjobs durch. Die Geschichte spielt in San Francisco, in der Nachbarschaft der großen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley, die im Stadtbild sowie auf dem Wohnungsmarkt in der realen SanFran-Welt Verheerungen angerichtet haben, denen alle zum Opfer fallen, die nicht in der Gunst der Tech-Giganten stehen.

Überraschende erste 60 Minuten

In den ersten 60 Minuten also erlaubt der Film einen – dramaturgisch angepassten – Blick in die kaputte Seele dieser Stadt, die einst durch Hitchcocks Vertigo, durch Blumenkinder, Dirty Harry und Bullitt zu Kinoruhm gelangt ist. Bei Ruben Fleischer ist die Stadt abseits der High-Tech-Zentralen ein Ort der Durchkämpfer, für solche, die es nicht aus der Stadt raus schaffen und sich hier irgendwie behaupten. Das ist in einem MARVEL-Film ungewöhnlich und also spannend: Passiert da was in Kollaboration mit dem prominenten Anarchisten mit der langen Zunge?

Nein, es passiert nichts. Kaum ist der Symbiont, der immer noch aussieht, wie das pervertierte Kostüm Spider-Mans, aber hier ganz ohne Spider-Mans-Einfluss Position bezieht, auf den Plan getreten, verliert sich der Film in einer langgezogenen Verfolgungsjagd, die bis zum Abspann nur noch halbherzig vom Gas geht. Bemerkenswert ist, dass das blutrünstige Monster aus den Comicvorlagen – einst entwickelt als Antwort auf die immer blutrünstigeren Monster des konkurrierenden Kinos – hier nahzu blutfrei daherkommt, sich damit den Marvel-Abenteuern aus dem Disney-Studio angleicht, in denen Gewalt ebenfalls erstaunlich unblutig bleibt – man braucht halt die Zielgruppe der Unter-16-Jährigen. Also kumpeln sich die beiden ungleichen Partner Eddie und Venom zwischen den Prügeleien und den Verfolgungsjagden einander an. „Venom“ wirkt dann, wie ein Buddy-Movie mit nur einem Buddy; wobei die Voraussetzung, verschmelzen zu können, mal existenziell, dann aber wieder nur dramaturgisch begründet ist.

Eine etwas unklare Symbiontenpolitik

Riz Ahmed, der kürzlich im Star-Wars-Universum als Bodhi Rok seinen Fußabdruck hinterließ, spielt Carlton Drake, den bösen Silicon-Valley-Guru mit einer Firmenzentrale, die jeden Immobilienmakler um den Verstand bringen würde, und der den Symbionten an lauter Obdachlosen ausprobiert, die der als potenzielles Wirtstier gleich wieder abstößt – was für den jeweiligen Obdachlosen recht endgültige Folgen hat.

Plakatmotiv: Venom (2018)

An Eddie Brock, dem Loser, bleibt er hängen, womöglich, weil er, wie der Symbiont später zugibt, auf seinem Heimatplaneten, auf dem es Millionen seiner Art gebe, selbst als Loser gelte. Er bleibt aber in der Folge auch an Schoßhündchen und arbeitslosen Anwältinnen hängen, ohne dass einer von beiden Schaden nähme. Wie das geht? Egal! Da schimmert wieder die Indifferenz der Figur durch, die sie schon im Comic stets umwölkt hat.

Das Dollar-trächtige Franchise liegt offen zutage

Damit nicht genug: Von jetzt auf gleich entschließt sich der Symbiont, der sich eben als Loser geoutet hat, die Erde als seinen neuen Spielplatz und Eddie als seinen neuen besten Freund zu betrachten. Warum? Egal. Hauptsache fortan gutmütig, auf dass aus der Figur noch ein paar Kino-Dollar gepresst werden können. In der Mid-Credit-Scene interviewt Eddie Brock dann den Massenmörder Cletus Kasady, den Comicleser als menschlichen Wirt eines Venom-Ablegers namens „Carnage“ kennen.

Das bereitet den Weg für eine Alles-Egal-Entwicklung: Kasady wird – wollen wir wetten? – ausbrechen, zu Carnage mutieren und für ein Symbionten-Stelldichein sorgen. Ruben Fleischer hat schon im vorliegenden Film einen zweiten Symbionten im Köcher, mit dem sich der geläuterte Venom dann auf einer startenden Rakete einen alles entscheidenden Kampf liefert. Da gelingen Fleischers Pixelmeistern, die im 18-minütigen Abspann etwa zehn Minuten der Zeit einnehmen, sehr schöne Gemälde, wenn Venom und Riot und Eddie und Carlton, ineinanander verkeilt, gleichzeitig ihre Jekyll-Seite retten und ihre Hyde-Seite von der Leine zu lassen versuchen. Eine Szene übrigens, der weniger CGI und mehr Drehbuch gut getan hätte.

Eine Dramaturgie aus Marvels grauer Vorzeit

Wenn Carnage also aus dem Gefängnis ausbrechen wird, stellt sich die Frage: Brauche ich diese Bilder zwei Stunden lang? Die Antwort ist: Nein! Denn es wird sich wiederholen, was nach Iron Man (2008) eigentlich aussortiert worden war: Der menschliche Hauptgegner verwandelt sich einen ebenbürtigen Monster-Gegner – damals Jeff Bridges in Iron Monger, heute Riz Ahmed in einen zweiten Symbionten. Die Erzählstruktur ist schon veraltet, bevor die Fortsetzung mit der Mid-Credit-Scene angeleiert wird.

Da ist nichts mehr, was mich für die Figuren einnimmt. Sie sind so egal, wie Ampeln nachts um drei. Ruben Fleischer hat eine Stunde lang eine ganz interessante Geschichte aufgebaut, die er dann in der zweiten Stunde mit dem Hintern wieder eingerissen hat.

Wertung: 3 von 8 €uro
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