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Plakatmotiv: Ronin (1998)

John Frankenheimer definiert
den Begriff der Live-Action neu

Titel Ronin
(Ronin)
Drehbuch J.D. Zeik
Regie John Frankenheimer, USA 1998
Darsteller

Robert De Niro, Jean Reno, Natascha McElhone, Stellan Skarsgård, Sean Bean, Skipp Sudduth, Michael Lonsdale, Jan Triska, Jonathan Pryce, Ron Perkins, Féodor Atkine, Katarina Witt, Bernard Bloch, Dominic Gugliametti, Alan Beckworth u.a.

Genre Thriller
Filmlänge 122 Minuten
Deutschlandstart
3. Dezember 1998
Inhalt

Sechs Fremde, Experten für Waffen, Überwachung und verdeckte Operationen, treffen sich in einem muffigen Lagerhaus im Herzen von Paris. Die Fremden eint ihre Vergangenheit: Sie waren während des Kalten Kriegs, im irischen Bürgerkrieg oder in anderen Schlachtfeldern im Einsatz.

Der Amerikaner Sam ist Spezialist für Waffen und Strategie. Larry, ebenfalls Amerikaner, gilt als Genie hinter dem Lenkrad. Der Engländer Spence verfügt über intimste Kenntnisse auch der allerneuesten Waffentechnologie, der Deutsche Gregor ist ein Computer- und Elektronik-Guru, der Franzose Vincent schließlich ein Organisationstalent. Zusammengerufen hat dieses Quintett die Irin Deirdre, einziger Kontakt zum Auftraggeber.

Sie alle werden angeheuert, um einen schwer bewachten Aluminiumkoffer zu stehlen. Die Russen haben Interesse an dem Inhalt des Koffers, aber auch die IRA und andere Gruppierungen. Man wird den Koffer nicht mit Handschlag erhalten, das ist sicher. Eine gewaltsame Übernahme in Südfrankreich ist geplant.

Dass es dabei Tote geben wird, gilt als sicher. Niemand stört es. Das ist Geschäft. Nicht immer dazu gehören Illoyalität und Verrat. Aber in Nizza wird das Team verraten.

Ab jetzt zählen nicht mehr Auftrag und Absprachen. Jetzt zählt nur noch, was die Männer und Frauen am besten beherrschen: das Töten …

Was zu sagen wäre

Im feudalen Japan wurden die Samurai-Krieger eingeschworen, das Leben ihres obersten Kriegsherrn mit ihrem eigenen Leben zu schützen. Jene Samurai, deren Lehnsherr getötet wurde, fielen der Schande anheim. Sie wurden verstoßen und verdienten ihren Lebensunterhalt fortan entweder als Bandit oder ließen sich von solchen anheuern. Diese herrenlosen Kämpfer durften nicht länger Samurai genannt werden. Man rief sie fortan "Ronin".

Dieses Schicksal teilen nicht nur versierte Schwertkämpfer im Japan der Feudalzeit zwischen dem 12. und dem 19. Jahrhundert. Dieses Schicksal teilen, aktuell, auch all die Agenten und Geheimdienstmänner und -frauen, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Bestimmung eingebüßt haben. sie werden zu Söldnern, angeheuert von denen, die gut bezahlen. die Politik, der Staat, die Gesellschaft haben keine Verwendung mehr für sie. sie sind korrumpiert. Plakatmotiv: Ronin (1998) Man kann ihnen nicht mehr trauen. Und sie trauen auch niemanden mehr. Sam, der Amerikaner, ist sie ein Typ. Er lässt sich anheuern, macht, wenn das Geld stimmt, die Drecksarbeit anderer Leute. Deswegen traute er ihnen aber nicht. Wenn er das Gefühl hat, seine Geldgeber sind nicht vertrauenswürdig, ist er schneller zur Tür raus, als die Wir legen noch was drauf sagen können. Robert De Niro spielt Sam (Große Erwartungen – 1998; Wag the Dog – 1997; Jackie Brown – 1997; Cop Land – 1997; Sleepers – 1996; The Fan – 1996; Heat – 1995; Casino – 1995; Mary Shelley's Frankenstein – 1994; Kap der Angst – 1991; Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen – 1991; Schuldig bei Verdacht – 1991; Zeit des Erwachens – 1990; GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia – 1990; Midnight Run – 5 Tage bis Mitternacht – 1988; Die Unbestechlichen – 1987; Angel Heart – 1987; Mission – 1986; Brazil – 1985; Der Liebe verfallen – 1984; Es war einmal in Amerika – 1984; "Wie ein wilder Stier" – 1980; Die durch die Hölle gehen – 1978; New York, New York – 1977; Der letzte Tycoon – 1976; 1900 – 1976; Taxi Driver – 1976; Der Pate II – 1974; Hexenkessel – 1973). Der Method Actor kühlt seinen Filmcharakter auf nahe Null herunter – keine Emotion, keine Leidenschaft, pure, routinierte Profession. Eine Zeit lang agiert neben ihm der Ire Sean Bean als Waffenfreak Spence (Anna Karenina – 1997; James Bond 007: GoldenEye – 1995), der immer gleich das Kommando an sich reißt und bei jeder Gelegenheit vorweg geht. Nach nicht mal 20 Filmminuten hat Sam, der emotionslose Amerikaner ihn als aufgeblasene Gefahr für die Truppe entlarvt; er wird höflich, aber bestimmt ausbezahlt. Leichtfertigkeiten kann sich der zusammengestellte Trupp nicht leisten. Es geht um einen Koffer. „Was ist in dem Koffer?“, fragt Sam mehrfach und bekommt mehrfach keine Antwort. Der Zuschauer auch nicht. Der Koffer ist, was Alfred Hitchcock einen MacGuffin nannte, ein Etwas, das Menschen in Bewegung bringt – aus welchem Grund auch immer.

John Frankenheimer führt Regie, ein Mann, der seine Lorbeeren in den 60er Jahren verdiente mit einfühlsamen Männerdramen und Paranoiathrillern. Seit den 70ern sind ihm die Herzensanliegen ausgegangen, ist er durch die Genres mäandert, mal mehr, meistens weniger beeindruckend (D.N.A. – Experimente des Wahnsinns – 1996; "Powerplay" – 1990; "Dead Bang – Kurzer Prozess" – 1989; Der 4 1/2 Billionen Dollar Vertrag – 1985; Wenn er in die Hölle will, lass ihn gehen – 1982; Schwarzer Sonntag – 1977; French Connection II – 1975; "Grand Prix" – 1966; Der Mann, der zweimal lebte – 1966; Der Zug – 1964; "Sieben Tage im Mai" – 1964; Botschafter der Angst – 1962; Der Gefangene von Alcatraz – 1962). Die bindungslosen Männer in seinem aktuellen Film, die Ronin, sind eine Fortführung seiner Paranoia-Männer aus den 60ern, die vor geheimen Organisationen flohen oder gegen den eigenen Staat aufbegehrten, der versuchte, sie zu manipulieren. Es gibt nur keinen eindeutigen Staat mehr, keine ideologisch begründeten Blöcke mehr, gegen die man aufbegehren könnte. seit dem Ende des Kalten Krieges wechseln Freund und Feind schneller als man das Magazin seiner automatischen Waffe nachgeladen hat. Es gibt nur noch Auftraggeber, denen man seine Fertigkeiten gegen ein üppig bemessenes Salär feilbietet. Es ist eine Welt, die keine Orientierung mehr bietet, in der derjenige überlebt, der alle anderen als potenziellen Feind betrachtet. Entsprechend kühl geht Frankenheimer ans Werk.

Seine Männer kommen aus dem Nirgendwo und gehen ins Nirgendwo. Dazwischen gibt es den Koffer, den die Auftraggeber haben wollen, um den sich aber auch Iren und Russen streiten. „Was ist in dem Koffer?“ egal! Es geht nur darum, ihn zu bekommen. Frankenheimer nutzt diese Prämisse für eine zweistündige Jagd, die im zeitgenössischen Kino ihresgleichen sucht. Weil er sich auf das analoge Handwerk konzentriert, auf ausgearbeitete Kamerapositionen, rhythmische Montage, Schauspieler, die mit einem Fingerzeig mehr Dramatik auslösen, als Dinosaurier oder Roboter aus dem SFX-Computer, und auf versierte Stuntleute. Mit letzteren inszeniert Frankenheimer drei Autojagden, die uns in den Kinosessel drücken, eine davon durch die beschaulichen Gässchen von Nizza, eine weitere durch die Rush Hour von Paris. Man kann solche Szenen heute auch im Computer nachbauen, besonders einfach, wenn es durch lange Tunnels unter Paris geht. Plakatmotiv: Ronin (1998) Aber Frankenheimer, der in seinen Filmen eine Schwäche für Realismus beweist, verzichtet auf solche Tricks. Es gibt eine Schießerei im von Touristen bevölkerten Amphitheater von Arles und natürlich – vertraue Niemandem – Verräter unter den eigenen Leuten und doppeltes Spiel von übergeordneten Interessen. Schnörkellos bereitet Frankenheimer das auf, mit den richtigen Charakteren vor seiner Kamera.

Neben Robert De Niro stechen Jean Reno und Natascha McElhone heraus. McElhone (Die Truman Show – 1998; Vertrauter Feind – 1997) gibt sich als einzige Frau im virilen Kader keine Blöße, ist kühl, verschlagen und bis zum Schluss ein Rätsel. Jean Reno (Godzilla – 1998; Mission: Impossible – 1996; French Kiss – 1995; Léon: Der Profi – 1994; Nikita – 1990; "Im Rausch der Tiefe" – 1988) ist der kalkulierte Fremdkörper in der gefühlskalten Angelegenheit. Sein Vincent ist ein Profi, wahrscheinlich ausgebildet von der Direction Générale de la Sécurité Extérieure, dem französischen Auslandsgeheimdienst, aber vor allem der einzige, der hier auf heimischem Boden operiert. Neben de Niros Sam ist er der einzige westliche Geheimdienstmann – die anderen haben den KGB, die IRA oder andere im westlichen Kino traditionell unfreundlichen Dienste durchlaufen – und entsprechend finden die beiden, Vincent und Sam, auch schnell einen Draht zueinander. Nicht, dass sie sich bedingungslos vertrauten; aber sie verstehen, wie das Spiel läuft und erkennen andere, die das auch tun. Außer ihnen beiden ist das kaum jemand. Zur Ruhe kommt der Film nur einmal, als Vincent bei einem Freund untertaucht, dessen Hilfe er braucht. Michael Lonsdale (Der 4 1/2 Billionen Dollar Vertrag – 1985; James Bond 007 – Moonraker – Streng geheim – 1979; Der Schakal – 1973) spielt diesen Freund mit unklarem Background als alten, weisen Mann, der im Leben zwischen den Fronten alles erlebt hat und im Alter zum Modellbau und der japanischen Sage der 47 Ronin gefunden hat, die, nachdem sie den Mörder ihres Herrn gerichtet haben, gemeinsam Seppuku begehen – Suizid. Ein Leben ohne den Herrn, den sie nicht haben beschützen können, wollen sie sich nicht einmal vorstellen.

Für die herrenlose Frau und die herrenlosen Männer, die einem Aluminiumkoffer nachjagen, dessen Inhalt keine Rolle spielt, ist das keine Option mehr. Auch der Begriff der Ehre ist in ihrer Welt korrumpiert. Frankenheimers Film, dessen Menschlichkeit so kühl daher kommt, wie das Blau des Filmplakats, ist ein packend inszenierter, treibender Film, der sich auf die Kunst der Bewegung konzentriert. Kinetik, keine Ablenkung durch Emotionen.

Wertung: 11 von 11 D-Mark
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