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Plakatmotiv: Anatomie einer Entführung (2004)

Ein Film über Familienmenschen
im Gewand eines Kriminalfilms

Titel Anatomie einer Entführung
(The Clearing)
Drehbuch Justin Haythe & Pieter Jan Brugge
Regie Pieter Jan Brugge, Deutschland, USA 2004
Darsteller

Robert Redford, Helen Mirren, Willem Dafoe, Alessandro Nivola, Matt Craven, Melissa Sagemiller, Wendy Crewson, Larry Pine, Diana Scarwid, Elizabeth Ruscio, Gwen McGee, Sarah Koskoff, Graciela Marin, Mike Pniewski, Geoff McKnight u.a.

Genre Drama
Filmlänge 95 Minuten
Deutschlandstart
23. Dezember 2004
Inhalt

Wayne Hayes und seine Frau Eileen scheinen alles zu haben: eine harmonische Ehe, zwei sympathische, erwachsene Kinder und ein gut gepflegtes Bankkonto. Doch als der erfolgreiche Geschäftsmann eines Nachts nicht nach Hause kommt, zeigen sich Bruchstellen in der Fassade des Glücks.

Waynes Verschwinden entpuppt sich als Entführung und seine intakte Ehe als Illusion. Während Eileen mit dem FBI auf einen Anruf des Kidnappers und auf ein Lebenszeichen Waynes wartet, reflektiert sie ihre Beziehung und die Wunden, die nach einer Affäre Waynes nie verheilt sind. In dieser schwersten Bewährungsprobe ihrer Ehe kämpft Eileen engagiert für ihren Mann, der von seinem Entführer tief in die Wälder außerhalb der Stadt hineingetrieben wird.

Plakatmotiv (US): The Clearing – Anatomie einer Entführung (2004)Wayne erkennt die Verzweiflung des Täters, ahnt, was ihn am Ende des Wegs erwartet. In der Vergangenheit ermöglichte Verhandlungsgeschick dem Selfmademan die Erfüllung des amerikanischen Traums. Jetzt aber muss diese Kompetenz sein Überleben sichern …

Was zu sagen wäre

Der deutsche Filmtitel ist schon gut gewählt. Wir wohnen hier schon irgendwie der Anatomie einer Entführung bei, erleben das Bangen der Familie, den Schrecken der Entführung, den Aufwand, den das FBI betreibt. Im Original heißt der Film "The Clearing“, also "Die Lichtung", oder, etwas metaphorischer gefasst, "Die Klarstellung". So ungefähr stelle ich mir einen Film aus den Vereinigten Staaten und seiner gewinnorientierten Filmindustrie vor, der das Thema Alltag einer Langzeit-Ehe erzählen will, von Verletzung, Liebe und Familie.

Im vorliegenden Fall haben wir eine deutsch-amerikanische Co-Produktion mit niederländischem Regiedebütanten. Da sitzen wir im Sessel des falschen Kinos, wenn wir einen Thriller nach gängigem US-Muster erwarten. Einen zweiten Kopfgeld (1996) bekommen wir nicht vorgesetzt. Der Film ist mehr europäisches Wortkino, die wichtigen Informationen werden über den Dialog weitergegeben.

Selbst der zu Beginn nicht weiter verwunderliche knappe Dialog zwischen den Langzeiteheleuten Wayne und Eileen zwischen Frühstück und Abschied ins Büro erzählt mehr über ihr Zusammenleben, als die Bilder. Später tauschen FBI und Eileen und die erwachsenen Kinder Informationen im Gespräch aus. Gleichzeitig versucht Wayne in die Seele seines Entführers vorzudringen, indem er ihn ins Gespräch verwickelt. Die Kamera ist immer dabei, dokumentiert aber nur; auf spektakuläre Einstellungen verzichtet Pieter Jan Brugge. Und so erfahren wir über Brüche im Leben der Eheleute, über geschäftliche Pleiten Waynes und was sie auslösten, über Arbeitslosigkeit und die Schmach des einfachen Mannes, wie es ist, wenn die Ehefrau den Lebensunterhalt für die Familie verdient.

Gespielt wird das von – im Zentrum der Geschichte – einem grandiosen Trio. Robert Redford, der in seinen jüngeren Filmen eher den rauen, naturverbundenen Loner gespielt hat, hat hier meistens die Hände gefesselt und stolpert durch den Wald, spielt in seinen Dialogszenen, die eminent wichtig sind in diesem Film, seine ganze Souveränität aus, die er sich in 40 Jahren vor der Kamera antrainiert hat. Helen Mirren ("Kalender Girls" – 2003; Gosford Park – 2001; Das Versprechen – 2001; Tötet Mrs. Tingle! – 1999; "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" – 1989; Mosquito Coast – 1986; "2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen" – 1984; Excalibur – 1981; Caligula – 1979) als Redfords bangende Ehefrau traumwandelt durch die verschiedenen Gemütszustände einer Frau aus besserem Hause und der betrogenen Ehefrau. Willem Dafoe (Irgendwann in Mexico – 2003; Spider-Man – 2002; Shadow of the Vampire – 2000; American Psycho – 2000; eXistenZ – 1999; Lulu on the Bridge – 1998; Der Gejagte – 1997; Speed 2: Cruise Control – 1997; Der englische Patient – 1996; Das Kartell – 1994; Geboren am 4. Juli – 1989; Mississippi Burning – 1988; Platoon – 1986; Leben und Sterben in L.A. – 1985; Straßen in Flammen – 1984; Begierde – 1983; Heaven's Gate – 1980) als der Entführer ist die personifizierte Banalität des Bösen, ein Loser und Nichts-auf-die-Reihe-Krieger, der eigentlich nur gerne der Ernährer im Haushalt wäre.

Seinen Reiz zieht der Film aus der Montage seiner Elemente. Was anfangs wie eine Parallelmontage aussieht – hier die Entführung, da der sich entwickelnde Polizeiapparat – entpuppt sich nach und nach als Aktion auf unterschiedlichen Zeitebenen. Die Folge: Im Zuschauerraum verlieren wir die gefühlte Sicherheit, die Situation im Griff zu haben. Im Haus der bangenden Familie erleben wir mehrere Tage der Ratlosigkeit, im Wald mit Entführer und Entführtem nur den Tag der Entführung. Obwohl es Robert Redford ist, der da entführt wird, verlieren wir ab Mitte des Films zunehmend den Faden. Es öffnen sich mehrere Pfade, die der Film gehen kann und alle wären schlüssig. Obwohl der Film nicht mit klassischen Thrillerelementen arbeitet, fiebere ich mit, möchte auf keinen Fall verpassen, wie's ausgeht.

So in etwa machen das amerikanische Geldgeber wohl, wenn sie einen Film über das Ringen um eine dauerhaft glückliche Ehe produzieren wollen.

Wertung: 4 von 6 €uro
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