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Plakatmotiv: Die Reifeprüfung (1967)

Ein großartiger Film

Titel Die Reifeprüfung
(The Graduate)
Drehbuch Calder Willingham + Buck Henry
nach dem gleichnamigen Roman von Charles Webb
Regie Mike Nichols, USA 1967
Darsteller

Anne Bancroft, Dustin Hoffman, Katharine Ross, William Daniels, Murray Hamilton, Elizabeth Wilson, Buck Henry, Brian Avery, Walter Brooke, Norman Fell, Alice Ghostley, Marion Lorne, Eddra Gale u.a

Genre Komödie, Drama
Filmlänge 106 Minuten
Deutschlandstart
6. September 1968
Inhalt

Als Ben das College beendet hat und wieder nach Hause zurückkommt, veranstalten seine Eltern zur Begrüßung eine große Party. Mrs. Robinson, die attraktive und charmante Nachbarin, findet Gefallen an Ben und bittet ihn, sie nach Hause zu bringen.

Der eher schüchterne Junge reizt sie sehr und sie beabsichtigt, ihn zu verführen. Doch ihr Ehemann kommt früher als angekündigt nach Hause, und so wird aus ihrem Plan vorerst nichts. Aber so leicht gibt Mrs. Robinson nicht auf, und sie und Ben beginnen kurz darauf eine leidenschaftliche Affäre.

Eines Tages lernt Ben Mrs. Robinsons Tochter Elaine kennen. Dies hat Folgen, denn Elaine und Ben verlieben sich ineinander – und Mrs. Robinson wird zu einer eifersüchtigen Furie …

Was zu sagen wäre

Wir treffen den College-Absolventen Benjamin auf dem Heimweg im Flugzeug, das ihn transportiert, dann auf dem Laufband, das ihn durch die langen Flughafenkorridore trägt. Während der Titelvorspann läuft, nehmen wir hier den bisherigen Lebensverlauf des jungen Mannes aus reichem Hause zur Kenntnis, der nicht selbst geht, sondern gehen lässt. Auf der Willkommensparty in der folgenden Szene stellen wir fest, der College-Absolvent entscheidet auch nicht selbst über seine Zukunft. Er lässt entscheidenen. Ein Geschäftsmann nimmt ihn da beiseite und beschwört ihn, „Plastik, Ben!“, das sei die Zukunft.

Es ist eine irritierende Gesellschaft, in die Ben da zurückkehrt: nur alte, faltige Frauen und Männer, die „stolz, stolz, stolz“ auf den jungen Ben sind und Ben, und mit ihm wir Zuschauer, weiß weder, wer die Faltigen sind, noch gar, warum sie „stolz, stolz, stolz“ auf ihn sind. Der junge Mann ist in dieser Gesellschaft so fremd, wie Marsbewohner in, sagen wir, Castrop Rauxel. Wie eine Kugel im Flipperautomat bingbongt er von einer Gruppe alter Menschen zur nächsten Gruppe alter Menschen und als er schließlich von Mrs. Robinson abgegriffen wird, da wirkt die geradezu jung in diesem Reigen.

Plakatmotiv: Die Reifeprüfung (1967)Tatsächich trennen Anne Bancroft und Dustin Hoffman, die hier zwei Generationen verkörpern, nur sechs Jahre – sie ist Jahrgang 1931, er 1937 – aber Hoffman lässt diesen Umstand schnell vergessen, er spielt den Jungen, der kurz vor dem 21. Geburtstag steht, wie einen verwirrten Knaben, der eben der Pubertät entwachsen scheint – „You try to seduce me, Mrs. Robinson“.

Hoffman und Bancroft waren je für einen von sieben Oscars nominiert, bekommen hat ihn in diesem stark besetzten Oscar-Jahrgang dann – für seine erst zweite Regiearbeit – Mike Nichols (Wer hat Angst vor Virginia Woolf? – 1966); Hoffman unterlag Rod Steiger in "In der Hitze der Nacht", Bancroft gegen Katherine Hepburne in "Rate mal, wer zum Essen kommt". Beide Entscheidungen sind durchaus gerechtfertigt, zeigen aber auch, wie fragwürdig die Klassifizierung von Schauspielerei quer durch unterschiedliche Gernes ist; und sicher hat bei der Entscheidung auch eine Rolle gespielt, dass Hepburne und Steiger in Filmen auftreten, die den Rassismus in den USA aufspießen, während in "The Graduate" eine Frau mittleren Alters einen Teenager zum gemeinsamen Sex verführt, der am Ende mit deren Tochter in den Sonnenuntergang fährt. Auch Katherine Ross übrigens war für einen Oscar nominiert, ebenso der spektakuläre Kameramann Robert Surtees, die Autoren Calder Willingham und Buck Henry sowie der Film als solcher.

Die Nominierungen in diesen Großkategorien bezeugen die hohe Qualität des Films durch alle Gewerke. Robert Surtees findet immer wieder neue Bilder mit räumlicher Tiefe, die Bens Unerfahrenheit bebildern. Die Szene, in der Mrs. Robinson den jungen Ben erst um den Finger wickelt und dann – nackt – ins Bett zerrt inszeniert Mike Nichols in raschen Schnitten und Reißschwenks, die die Irritation des Jungen wunderbar spiegelt, einzigartig im aktuellen Kino. Auch in dieser Szene bleibt Benjamin der Getriebene, der zum Jagen getragen werden muss, und der Mrs. Robinson noch siezt, nachdem sie mehrfach miteinander geschlafen haben.

Über den Sex findet Ben Lust an einer echten Beziehung, will mehr als nur Sex, während sie bezweifelt, „dass wir uns viel zu sagen haben“, schließlich aber doch damit herausrückt, dass ihre Ehe eine Farce sei, erzwungen, weil sie schwanger. Ihr erstes Gespräch endet im ersten handfesten Streit, in dem Ben am Ende versprechen muss, Tochter Elaine nicht zu daten.

Plakatmotiv zum 50. Jubiläum: Die Reifeprüfung (1967)Der ahnungslose Ehemann, Mr. Robinson hingegen, der Benjamin zurät, bei den Frauen sich erst einmal „die Hörner abzustoßen“, drängt ihm ein Date mit Tochter Elaine geradezu auf. Logisch, dass der Junge gänzlich durcheinander gerät, als Katherine Ross auftaucht. Beim (unvermeidlichen) ersten Date mit Elaine nimmt er sie mit in einen Stripclub – in einer langen Überblendung von Mrs. Robinsons CloseUp in das erste Date wird klar, was sie zu Recht befürchtet. Und im Nachtclub, wahrlich kein Ort für ein Date, schon gar nicht für ein erstes, sitzt dann dieses bezaubernde Mädchen in Großaufnahme – während unscharf im Hintergrund Mädchen in knappen Slips ihre Erotik-Tänze aufführen – und bestürzt fragt, ob Benjamin etwas gegen sie hat. Das ist großartig inszeniert und gespielt. … Und als sie weint, wird ihm klar, dass nicht Sex der Einstieg in eine Beziehung ist, sondern Liebe und Respekt. Darauf folgt ihr erstes echtes Gespräch – von dem wir freilich im Kinosessel nichts mitbekommen; es verschwindet unter einem geschlossenen Cabriodach, hoch gefahrenen Fenstern in der Anonymität lauter Popmusik. Das tonlose Wort ist ein Leitmotiv des Films.

Vieles an diesem Fim ist innovativ, modern inszeniert, setzt sich über Konventionen hinweg. Das erste Mal wird vorurteilsfrei die Beziehung einer verheirateten Frau zu einem jüngeren Liebhaber geschildert. Der Film rückt starre Moralvorstellungen der amerikanischen Gesellschaft und die Weltfremdheit der damals jungen Generation in den Fokus. Und über allem schwebt die wunderbar verträumte Musik von Simon & Carfunkel. Auch hier spielt der Film auf Neuland: Popmusik wird gezielt eingesetzt, um die Stimmung einer Szene zu transportieren.

Am Ende, nachdem Ben Elaine, auf die hassverzerrte Gesichter einprasseln, deren Wörter wir – wieder – nicht hören, im Hochzeitskleid aus der Kirche geholt und in einen Bus getragen hat, starren alle das glückliche Paar an in der Hoffnung, von diesem Glück etwas abzubekommen.

Ein großartiger Film.

Wertung: 8 von 8 D-Mark
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