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Plakatmotiv: Manhattan (1979)

Woody Allen in Schwarz-Weiß, aber
voll und ganz in seiner Heimat

Titel Manhattan
(Manhattan)
Drehbuch Woody Allen & Marshall Brickman
Regie Woody Allen, USA 1979
Darsteller

Woody Allen, Diane Keaton, Michael Murphy, Mariel Hemingway, Meryl Streep, Anne Byrne Hoffman, Karen Ludwig, Michael O'Donoghue, Gary Weis, Kenny Vance, Tisa Farrow, Damion sheller, Wallace Shawn, Helen Hanft, Bella Abzug, Victor Truro, Charles Levin u.a.

Genre Drama, Komödie
Filmlänge 96 Minuten
Deutschlandstart
30. August 1979
Website woodyallen.com
Inhalt

Isaac Davis ist erfolgreicher Fernsehautor. Fernsehen kann er. Sein erster Versuch, ein Buch zu schreiben … nun, sein Versuch scheitert schon im Ansatz. Zu sehr ist er mit Selbstzweifeln und Sinnfragen beschäftigt. Zwei gescheiterte Ehen hat er schon hinter sich, und auch seine Beziehung zu der 17-jährigen Tracy ist problematisch.

Und dann verliebt er sich auch noch in Mary, die Geliebte seines besten Freundes. Zu diesem Tohuwabohu kommt noch, dass Isaacs Ex-Frau ein enthüllendes Buch über ihre gemeinsame Ehe veröffentlicht …

Was zu sagen wäre

Isaac Davis ist der Zwillingsbruder von Alvy Singer, der Hauptfigur aus Woody Allens Erfolgsfilm Der Stadtneurotiker (1977). Auch Isaac hat so seine liebe Not und hadert mit dem Beziehungsalltag, weil, wie schon Alvy Singer so treffend postulierte, „weil wir die Eier brauchen“.

"Manhattan" ist Annie Hall in Schwarz-Weiß. Der Film schaut einigen Menschen dabei zu, wie sie ihren Alltag zu sortieren versuchen, während sie dauernd von Beziehungen und schlecht kuratierten Ausstellungen abgelenkt werden. Isaacs Ex-Frau schreibt ein Buch über ihre gescheiterte Ehe, nach der sie mit einer Frau zusammengezogen ist. Für Isaac, den erfolgreichen Gagproduzent für ein TV-Format, der diesen Job gerade geschmissen hat, weil ihm die eigene Arbeit zu kleingeistig erscheint und er außerdem auch endlich sein großes New-York-Buch schreiben will, ist das ein Tritt in die Weichteile. Er befürchtet das Schlimmste, dass dann ganz Manhattan weiß, wie er im Bett ist und dass er versucht hat, seine Ex-Frau und deren neue Freundin mit dem Auto zu überfahren. Emily, die Frau seines besten Freundes Yale, will nach zwölf Jahren Ehe endlich ein Kind und aufs Land. Aber Yale will lieber einen Porsche Cabrio und schon gar nicht nach Connecticut umziehen. Außerdem hat er eine heiße Affäre mit Mary. Affären findet er eigentlich scheußlich und so gemein der eigenen Frau gegenüber; deswegen will er das bald beenden, „außerdem liebe ich Emily“. Auch Isaac hat sich bald in Mary verguckt, hat aber selbst eine Affäre mit Tracy. Sie ist 17, er 42 Jahre alt. Sie geht noch zur Schule und hält Isaac für ihre ganz große Liebe und er versucht ihr erklären, es handele sich nur um ein Intermezzo mit großartigem Sex. Bald, nachdem er Schluss gemacht hat, stellt er fest, dass Tracy doch die richtige ist. Aber da ist es natürlich zu spät.

Woody Allen erzählt die Geschichte von dem Mann, der sich ein Frauchen sucht, dass er sich erziehen und an die Kunst heranführen will, zum zweiten Mal. Sein Alvy Singer war ja auch so einer, bis seine Annie sich von ihm emanzipiert hatte und an die – ausgerechnet – Westküste zog. Tracy, die an Isaacs Lippen gehangen hat, wenn der über Kino, Kunst und Kultur schwadronierte, geht nach London aufs Musikkonservatorium. Und Isaacs einzige Sorge ist, dass sie verlieren könne, was er so an ihr liebe, also, dass sie erwachsen wird. Mit den erwachsenen, reifen Frauen mit eigenem Kopf haben Woody Allens Leinwandfiguren stets Probleme, was mit deren Mutterkomplex zusammenhängen könnte; Mütter, jüdische zumal, sind bei Woody Allen dominante Figuren, Isaac bezeichnet sie hier als „kastrierende Zionisten“.

Die mehr oder eher weniger existenziellen Krisen der Protagonisten werden von der Hauptdarstellerin und Titelfigur buchstäblich an den Rand gedrängt: Manhattan. Allens Kameramann Gordon Willis schiebt die handelnden Figuren immer wieder an den Bildrand, lässt sie da beinahe verschwinden, während das Zentrum des Bildes manchmal nur eine Zimmerwand, manchmal aber auch eine illuminierte Hudson-Brücke bei Nacht beherrscht. Meistens spazieren die Figuren minutenlang miteinander redend durch die (meist) nächtlichen Straßen der Stadt oder durch den Central Park, Kunstmuseen oder in angesagte Künstlerlokale, während die Kamera sie verfolgt, ohne einmal abzusetzen. Im Kinosessel kommt einem die Architektur der Stadt, ihr Lebensgefühl sehr nahe. Es wäre übertrieben zu behaupten, ich spürte den Herzschlag Manhattans, aber durch den Soundtrack, auf dem Woody Allen großzügigen George Gershwins "Rhapsodie in Blue" verteilt hat, kommt das dem Herzschlaggefühl schon sehr nahe. Man soll sie ja auch gar nicht ganz begreifen. Das kann ja nicht mal der eingefleischte New Yorker Woody Allen selbst.

Die ersten Minuten versucht Isaac Davis im Off, das erste Kapitel seines geplanten New-York-Buchs mit einer Liebeserklärung an seine Stadt zu eröffnen, mal kitschig, mal melodramatisch, mal moralisch, mal zynisch, mit keiner Version trifft er den von ihm gewünschten, richtigen Ton. Derweil flaniert die Kamera durch die Stadt, erfasst in Totalen die Skyline, in Close Ups eine Treppe zur Subway, in einem Schwenk einen großen Haufen schwarzer Mülltüten. Dann beginnt in einer Bar die Geschichte, in der unsere Hauptfiguren ihre Rollen aufnehmen und während sich das emotionale Ringelreihen ausbreitet, Menschen sich trennen und sich finden, Jobs gekündigt und neue Ideen proklamiert werden, wird Woody Allens Stadt immer größer, weiter, feingliedriger. „Du musst lernen, den Menschen zu vertrauen!“, sagt Tracy am Ende zu Isaac. Und über diese einfache Wahrheit kann sogar der New Yorker dann endlich lächeln.

Als wir die Stadt mit dem sich schließenden Vorhang verlassen, sind längst nicht alle Geschichten zu Ende erzählt. Einiges bleibt offen, anderes hat schon wieder neu begonnen. Das ist ja das Schöne am Leben: Irgendwas ist immer!

Wertung: 8 von 9 D-Mark
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