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Plakatmotiv: Miller's Crossing (1990)

Ein gelungenes Genre-Stück

Titel Miller's Crossing
(Miller's Crossing)
Drehbuch Joel Coen + Ethan Coen
Regie Joel Coen (& Ethan Coen), USA 1990
Darsteller

Gabriel Byrne, Marcia Gay Harden, John Turturro, Jon Polito, J.E. Freeman, Albert Finney, Mike Starr, Al Mancini, Richard Woods, Tom Toner, Steve Buscemi, Mario Todisco, Olek Krupa, Michael Jeter, Lanny Flaherty, Jeanette Kontomitras, Louis Charles Mounicou III, John McConnell, Danny Aiello III u.a.

Genre Crime, Drama
Filmlänge 115 Minuten
Deutschlandstart
14. Februar 1991
Inhalt

Johnny Caspar, ein aufstrebender Krimineller, bittet den Gangsterboss Leo um die Genehmigung, den Kleinganoven Bernie Bernbaum töten zu dürfen, da dieser sich in Caspars Wettgeschäft mit manipulierten Boxwettkämpfen einmischt. Gegen die Empfehlung seines Beraters Tom Reagan genehmigt Leo diesen Mord nicht. Tom glaubt, dass Caspar mehr Ärger machen könnte als Bernie wert ist, aber Leo ist in Bernies Schwester Verna verliebt und will sie heiraten. Tom jedoch weiß, was von dieser Liebe zu halten ist: Er hat selbst insgeheim ein Verhältnis mit Verna.

Die Lage eskaliert, als Leo, besorgt wegen Caspars Drohungen, Verna beschatten lässt. Als Vernas Aufpasser ermordet gefunden wird, hält Leo Caspar für den Schuldigen und lässt die korrupte Polizei Caspars Etablissements hochnehmen. Tom versucht verzweifelt zu beschwichtigen: Er weiß, dass Verna ein Motiv hatte, ihren Bewacher selbst zu töten – sie war in jener Nacht bei Tom. Um den Bandenkrieg zu stoppen, beichtet Tom Leo seine Beziehung zu Verna. Wutentbrannt verprügelt Leo seinen Berater und beendet die Zusammenarbeit.

Daraufhin tritt Tom in die Dienste von Caspar, dessen Position gegenüber Leo immer stärker wird. Selbst der Bürgermeister und die Polizei laufen zu ihm über. Als Vertrauensbeweis liefert Tom Bernie, dessen Adresse ihm Verna nichtsahnend verraten hat, an Caspar aus.

Caspar will einen weiteren Vertrauensbeweis: Tom soll mit Bernie zur Miller’s Crossing, einer einsamen Kreuzung im Wald, fahren und ihn töten …

Was zu sagen wäre

Wir beide passen gut zusammen, so schlecht wie wir sind“, sagt Verna zu Tom, der sich bis dahin alles andere als „schlecht“ gezeigt hat; loyal steht er seinem Chef Leo zu Diensten, holt für ihn die Kohlen aus dem Feuer, beruhigt schießwütige Heißsporne und hat immer einen klugen Rat. Die Schwachstelle in diesem grandiosen Unterweltdrama bleibt die Frau. Verna.

Die Coen-Brüder haben einen Unterweltfilm gedreht. Sie erzählen aus einer Welt, die aus Intrigen, Geheimnissen und Material besteht, mit dem man sich Bürgermeister und den Chief der Polizei von Chicago gewogen hält. Der Chief mit den irischen Wurzeln ist dann jedesmal ganz betroffen, wenn seine Leute (mit den irischen Wurzeln in der Uniform) einen Nachtclub ausnehmen müssen, der dem gerade angesagten Boss nicht passt. Der Chief hätte lieber Ruhe in der Stadt, in der gerade der Boss mit den irischen Wurzeln gegen den Boss mit den italiensichen Wurzeln streitet. Es ist eine Welt, in der Gefühle nicht zählen, in der Loyalität jeden Tag aufs Neue bewiesen werden muss.

Mittendrin als Diener zweier Herrn und seines eigenen Interesses steckt Tom, geschmeidig durchtrieben gespielt von Gabriel Byrne, der damit seiner noch jungen Karriere einen gehörigen Schub verpassen könnte („Death and Desire“ – 1989; „Der Kurier“ – 1988; „Siesta“ – 1987; „Gothic“ – 1986). Die Coens lassen uns lange Zeit im Ungewissen, wohin die Reise gehen soll – Leo, Casper, Bernie, zwischen diesen drei Polen bewegen sich die Figuren des Films; der eine ist oben, der andere will den dritten ermorden und der dritte würde gerne seine Schäfchen ins Trockene bringen, und nach oben kommen. Alle drei mit allen Mitteln. Tom Reagan wirkt da als loyaler Gewährsmann wie ein Fremdkörper. Und hielte Verna, die bei jeder Gelegenheit mit ihm ins Bett geht, ihn nicht für „schlecht“, einen „Schweinehund“ gar, könnten wir seine Figur auch nicht einordnen.

Es stellt sich heraus, dass Verna ihn treffend beschreibt. Und dass wir im Kinosessel demnach auch alle schlecht und Schweinehunde sind; jedenfalls soweit wir loyal uns selbst und gewissen Werten gegenüber sind. "Miller's Crossing" wird vom Feuilleton in die Nähe von Coppolas Der Pate gerückt. Der Vergleich hat es bis aufs Filmplakat gebracht. Nichts könnte falscher sein. Coppola hat 1972 ein Gesellschaftsporträt erzählt anhand einer aufsteigenden Mafiafamilie. Die Coen-Brüder liefern ein astreines Genre-Stück.

"Miller's Crossing" bleibt in sich geschlossen, bietet keinen Spiegel in die reale Welt, aber in die klassischen Gangsterfilme, zu denen dann auch Der Pate gehört, dem die Coens gleich in der Eröffnungssequenz huldigen, in der vom großen Boss ein Gefallen erbeten wird. Allerdings endet die Szene dann anders als bei Coppola. die Coens möchten sich verbeugen, aber nicht kopieren. Ihr Film ist ein artifizielles Schaustück. Barry Sonnenfeld bietet als Director of Photography vor allem in jenen Szenen große Kunst, in denen die Stadt ganz weit weg, die Handlung bei ihrem Titelhelden ist, dem Waldstück Miller's Crossing. Sonnenfeld findet im herbstlich bunten Wald schwer zu glaubende Panorama-Shots – die es ebenfalls bis aufs Filmplakat geschafft haben.

Richard Hornungs Kostümdesign ist elegant und präzise der Zeit angepasst und Dennis Gassner,  Leslie McDonald und Nancy Haigh haben sich liebevoll um das Production Design gekümmert. Albert Finney leiht seiner Leo-Figur mühelos eine Spannbreite von machtbewusster Lethargie bis hin zu lustvoller Maschinengewehr-Orgie. John Turturro spielt sich als Bernie die Seele aus dem Leib ("Im Vorhof der Hölle" – 1990; "Mo' Better Blues" – 1990; Der Sizilianer – 1987; "Pinguine in der Bronx" – 1987; Die Farbe des Geldes – 1986; "Gung Ho" – 1986; Hannah und ihre Schwestern – 1986; Leben und Sterben in L.A. – 1985; "Susan… verzweifelt gesucht" – 1985). Er ist eiskalter Spieler und tränenüberströmter Feigling, das spielt er scheinbar aus dem Handgelenk.

Und dann ist da Marcia Gay Harden, TV erprobte Aktrice, die hier ihre zweiten Leinwandschritte macht. Sie tut was sie kann. Dass ihre Figur die Schwachstelle bietet, dafür kann sie weniger, als die Intention der Coen-Brüder, die ihrem Genre-Stück treu bleiben wollen, in das halt auch die eiskalte Frau gehört. Das zumindest geht schief.

Was Verna angeht, wird nie klar, warum eigentlich alle geil auf sie sind. Ja, Sex, okay! Auf diesem Gebiet scheint sie gewisse Finessen zu haben. Aber warum sie alle – Leo, der Boss, der „Künstler an der Tommy Gun“; Tom, der Strippenzieher, der allen immer einen Zug voraus ist, mit Gefühlen aber wenig am Hut zu haben scheint – gleich heiraten wollen, bleibt das große Rätsel. Mit Begriffen wie Romantik oder gar Liebe hat diese Verna nichts im Sinn. Sie ist kalt wie die Männer um sie herum, wenn es um die Wahrung ihrer Interessen geht. Das versteht man(n) auch im Kinosessel und nimmt ihr das nicht krumm. Aber die Liebe der Männer zu dieser Frau ist der Motor des ganzen Films, ihre Figur ist die Schwachstelle. Das Konstrukt aber bringt sie nicht zum Einsturz.

Wertung: 7 von 10 D-Mark
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