Buchcover: John Irving - Witwe für ein Jahr
trotz einiger Längen
ist auf Irving Verlass
Titel Witwe für ein Jahr
(Widow for one year)
Autor John Irving, USA 1998
aus dem Amerikanischen von Irene Rumler
Verlag Diogenes
Ausgabe Taschenbuch, 762 Seiten
Genre Drama
Website john.irving.com
Inhalt

Ruth Cole wird zum ersten mal mit körperlicher Liebe im Alter von vier Jahren konfrontiert, als sie nachts aufwacht, komische Geräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter hört, nachschauen geht und Eddie, den 16-jährigen Schriftstellerassistenten ihres Vaters sieht, der ihre Mutter von hinten bestiegen hat. Ihre Eltern leben getrennt. Er schreibt erfolgreich Kinderbücher – an anspruchsvollen Romanen ist er gescheitert. Sie trauert um den Tod ihrer beiden Söhne, die mit 14, bzw. 16 bei einem Autounfall ums Leben kamen und nur noch in einer grotesken Bildergalerie, die sich durch das halbe Haus zieht, eine gespenstische Unsterblichkeit erdulden.

Eddie, dem jungen Assistenten, wird seine Liebe zu Ruths Mutter Marion zum Lebensinhalt. Er wird zweitklassige Romane schreiben, die sich allesamt um Männer drehen, die sich in viel ältere Frauen verlieben. Später wird er ein Jahr lang glauben, sich in Ruth verliebt zu haben, die 12 Jahre jünger ist. Ruth, um die sich dieser Roman im Folgenden eigentlich dreht, wird ihre Mutter immer vermissen, seit diese nach jenem Sommer, als Ruth vier Jahre alt war und sich von Eddie besteigen ließ auf immer verschwand – Ruth tut dies mal mit Hass, mal mit Trauer, mal mit Gleichgültigkeit.

Sie reift zur gefeierten Autorin von Frauenfreundschaftsromanen, die auf Promotiontour für ihren jüngsten Roman in Europa im Amsterdamer Rotlichtbezirk für die sich fortlaufend entwickelnde Schlüsselszene ihres nächsten Romans recherchiert, dabei Zeugin eines Mordes wird, einen jungen Verehrer kennenlernt und einem Straßenpolizisten verfällt. Ansonsten träumt sie oft und viel davon, ihren hassgeliebten Vater endlich im Squash zu besiegen. Derweil gibt Ruths Freundin Hannah sarkastische Kommentare zu ihrem Liebesleben, während sie einen Typen nach dem anderen ausprobiert und entdeckt Eddie in einer Krimiserie aus einem kanadischen Verlag die Urheberschaft Marions und schreibt ihr, die mittlerweile Mitte 70 ist, endlich. Und Ruth schlägt ihren Vater im Squash …

Was zu sagen wäre
Witwe für ein Jahr

Ein typischer Irving. Während ich noch darauf warte, dass sich eine klar umrissene Handlung festigt, ist er längst mittendrin in seinem Universum, in das ich ihm nach ein paar zehn Seiten bereitwillig folge. Locker leicht in der Beschreibung springt er von Hölzchen zu Stöckchen, lässt dabei seinen Faden nicht aus den Augen, der mir als Leser aber erst nach und nach klar wird.

Irving versteht sich als Erzähler ohne formale Mätzchen. Im Laufe des Romans muss sich sein Leser auch durch das erste Kapitel eines Detective-Romans quälen, durch seitenlange Erforschungen Amsterdams und eine Horde von Nebenfiguren ertragen, die die Handlung nicht wirklich vorantreiben. Das ist das Risiko bei einem jeden Irving-Roman: Es gibt nicht ausschließlich eine Story zu verfolgen. Wir müssen schon auf Irvings Erzählkunst an sich vertrauen, um während der „dunklen Seiten” das Buch nicht aus der Hand zu legen. Das Schöne ist: Auf Irvings Erzählkunst ist dann aber auch Verlass!

Ein Exemplar meiner Reiseliteratur 2002 auf den Philippinen. Seit ich auf Korsika vor zwei Jahren „Owen Meany” und „Zirkuskind” gelesen habe, gehören Irvings Romane zum festen Bestandteil meiner Urlaubslektüre.