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Plakatmotiv: Hannibal (2001)

Ridley Scotts Menschenfresser-Operette
macht den einst subtilen Schrecken sichtbar

Titel Hannibal
(Hannibal)
Drehbuch David Mamet & Steven Zaillian
nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Harris
Regie Ridley Scott, UK, USA 2001
Darsteller

Anthony Hopkins, Julianne Moore, Giancarlo Giannini, Gary Oldman, Ray Liotta, Frankie Faison, Francesca Neri, Zeljko Ivanek, Hazelle Goodman, David Andrews, Francis Guinan, James Opher, Enrico Lo Verso, Ivano Marescotti, Fabrizio Gifuni u.a.

Genre Thriller
Filmlänge 131 Minuten
Deutschlandstart
15. Februar 2001
Inhalt

Sieben Jahre sind vergangen, seit Dr. Hannibal Lecter – Hannibal the Cannibal – aus der Haftanstalt fliehen konnte. Sieben Jahre, seit FBI-Agentin Clarice Starling ihn zum ersten Mal im Hochsicherheitsgefängis für psychisch Kranke traf.

Heute genießt Lecter sein Leben in Europa, geht seinen Gelüsten nach und kostet alle Vorzüge einer freien, unbewachten Welt aus. Aber Starling hat ihre Begegnung mit Dr. Lecter niemals vergessen, seine Stimme verfolgt sie noch immer im Schlaf. Und es gibt noch jemanden, der sich an Dr. Lecter erinnert: Mason Verger ist von der Idee besessen, Rache zu nehmen. Er war Dr. Lecters sechstes Opfer und obwohl er dabei schrecklich entstellt wurde, hat er überlebt.

Verger erkennt: Wenn er Lecter überlisten will, braucht er einen Köder, dem der Doktor nicht widerstehen kann. Er braucht Clarice Starling …

Was zu sagen wäre

Clarice Sterling ist hart geworden über die Jahre im Dienst des FBI. Als wir sie kennenlernten, war sie noch in der Ausbildung und musste sich gleich mit dem Menschenfresser Dr. Hannibal Lecter einlassen, der in einer Zelle saß und wahrscheinlich was zum Aufenthaltsort eines aktuell mordenden Serienkillers beitragen konnte. Der Fall von vor sieben Jahren hat sie nie ganz losgelassen. sie hat sich einen Panzer zugelegt, hinter dem sie ihre Gefühle verbirgt. Sie wirkt Touch. Kommt ein Kerl aus der Truppe dumm, bügelt sie ihn mit cooler Arroganz ab. Deswegen ist sie nicht sonderlich beliebt bei den FBI-Kollegen. Darin liegt ein Grund, warum Ridley Scotts Fortsetzung des Schweigen der Lämmer (1991 von Jonathan Demme) abschmiert.

Es gibt verschiedene Gründe, warum der Film das tut, und man könnte jeden hervorheben, aber dieser ist so auffällig: Die Cops mögen die Hauptfigur nicht und legen ihr Steine in den Weg, intrigieren gegen sie bis sie schließlich suspendiert wird. Das ist ein Erzählstrang zur Charakterisierung der Hauptfigur, der so überraschend ist wie ein Frühstücksei. Gut, jetzt kann man sagen, dass schon Alfred Hitchcock Polizisten gerne in dümmliches Licht stellte und man kann einwenden, dass Ridley Scott hier aber doch trotzdem einen visuell spannenden Thriller inszeniert hat (s.u.). Die FBI-Kollegen und der sexistische Beamte aus dem Justizministerium sind aber reines Kinoklischee, wenn sie sie wegen eines windigen Verdachts gleich vom Dienst suspendieren, „Wir sind hier, um Ihnen zu helfen, Starling. Und mit einer derart aggressiven Haltung wird das verteufelt schwer“, oder – der Mann aus dem Justizministerium – Clarice Starling mit dem Karriereknick drohen – „Wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, dann könnte aus Ihrer sogenannten Karriere was werden. Wenn nicht, dann brauche ich nicht mehr zu tun, als als ihren Namen durchzustreichen, anstatt ihn zu unterstreichen. Und dann ist es vorbei.“ Ray Liotta spielt diesen Ministeriumssprecher, guckt dabei wie so häufig in seinen Filmen recht böse ("Nowhere Man" – 2000; Muppets aus dem All – 1999; Cop Land – 1997; Unforgettable – 1996; Fatale Begierde – 1992; GoodFellas – 1990; Feld der Träume – 1989; Gefährliche Freundin – 1986) und weist die FBI-Agentin, die seine sexuellen Avancen mal zurückgewiesen hat, darauf hin, dass er gar nicht mehr beleidigt ist: „In dieser Stadt wimmelt es von blonden Muschis, die gevögelt werden wollen.

In der Romanvorlage, die Thomas Harris schrieb, während die Produzenten schon das Drehbuch entwickelten, entspinnt sich eine groteske Liaison fou zwischen dem Menschenfresser und der Agentin; da ergeben Arschlochkollegen, mit denen die Frau nicht mehr arbeiten will, einen immer noch platten, aber dramaturgischen Sinn. Ridley Scott versucht diese Liaison in einzelnen zart hingehauchten Gesten und Lichteffekten anzudeuten. Aber dann biegt das Drehbuch im Finale in eine ganz andere Richtung und macht auch den dramaturgisch windigen Kniff mit Arschlochkollegen überflüssig.

Es ist ausgeschlossen, diese Fortsetzung nicht mit dem Original zu vergleichen. Schweigen der Lämmer gehört zu den Kinohighlights des vergangenen Jahrzehnts. Er besticht heute noch über seine psychologisch feine Zeichnung der Charaktere, durch einen dunklen Schrecken, der ohne Schlachtermesser auskommt (nur einmal benutzt Hannibal Lecter sehr effektiv seine Zähne). Der Film war das Porträt einer jungen Frau auf der Suche nach ihrem Weg, pathetisch ausgedrückt, einer Frau im Kampf  um ihr wahres Ich. Die Clarice im vorliegenden Film sucht nichts mehr, außer Hannibal Lecter; sie ist am Ende des Films wie am Anfang. Hannibal Lecter im übrigen auch. Der verliert seinen diabolischen Charme in Scotts Film, weil der Regisseur alles zeigt, anstatt durch weglassen und andeuten zu schockieren. Statt nur zu erzählen „Einer dieser Meinungsforscher wollte mich testen. Ich genoss seine Leber. Dazu ein paar Fava-Bohnen und einen ausgezeichneten Chianti“, dürfen wir Hannibal The Cannibal hier dabei zusehen, exkuisit ausgeleuchtet und in Szene gesetzt von einem der visuell aufregendsten Regisseure unserer Zeit. Darin liegt eine gewisse Tragik bei diesem Film, dass dieser große Visionär des Kinos die erzählerische Kunst des Vorgängers nicht verstanden hat und seine Zuschauer lieber mit grandiosen, opulenten, wunderschönen Bildern aus Florenz, in erhabenen Palästen, auf schwelgerischen Landsitzen an der US-Ostküste, in düsteren FBI-Kellern mit flimmernden Monitoren (sogar aus so einem Setting macht Scott schöne Hingucker) oder mit seinen geliebten Landschaften im Regen und/oder Nebelschwaden zu überwältigen versucht.

Lässt man die Vergleiche mit Demmes schweigenden Lämmern dann beiseite, gelingt Scott das auch ganz gut. Kino ist ein visuelles Medium. Es erzählt in Bildern und deren exakter Montage und da schließt sich der Kreis zu Alfred Hitchcock, dem es immer egal war, wie realistisch sein Plot war, wie glaubwürdig die handelnden Figuren. Hauptsache, so sein Credo, die Leute im Kino fiebern mit. Zum Mitfiebern gibt es in "Hannibal" wegen der dünnen Charaktere nicht viel, aber doch in der Figur des grotesk entstellten Mason Verger, dem einzigen, der Hannibal Lecters Überfall überlebt hat und dem eine sehr schmerzhafte, blutige Rache geschworen hat. Gary Oldman (Rufmord - Jenseits der Moral – 2000; Lost in Space – 1998; Air Force One – 1997; Das fünfte Element – 1997; Léon – Der Profi – 1994; True Romance – 1993; JFK - Tatort Dallas – 1991), den man unter der Maske seines entstellten Gesichts kaum erkennt, spielt Merger als einen verbitterten, empathielosen Mann. Den Hass dieses Mannes kann ich im Kinosessel gut verstehen.

Die Rolle der Clarice Starling musste mit Julianne Moore neu besetzt werden (Magnolia – 1999; Psycho – 1998; The Big Lebowski – 1998; Boogie Nights – 1997; Vergessene Welt: Jurassic Park – 1997; Assassins – Die Killer – 1995; Neun Monate – 1995; Short Cuts – 1993; Auf der Flucht – 1993; "Die Hand an der Wiege" – 1992). Jodie Foster lehnte die Fortsetzung ebenso ab, wie Regisseur Jonathan Demme, der für den ersten Teil verantwortlich zeichnete. Demme war das Drehbuch dem Hörensagen zufolge zu blutig. Foster, die für ihre Clarice mit dem Oscar ausgezeichnet worden war, erklärte, die Wandlung, die ihr Charakter in "Hannibal" gegenüber dem Vorgänger hinter sich habe, sei unglaubwürdig. Nur Anthony Hopkins spielt wieder mit, in seiner Jahrhundertrolle, die seiner bis dato durchschnittlichen Karriere 1991 einen gewaltigen Schub inklusive Oscar einbrachte (Mission: Impossible II – 2000; Rendezvous mit Joe Black – 1998; Die Maske des Zorro – 1998; Amistad – 1997; Auf Messers Schneide – 1997; Nixon – 1995; Legenden der Leidenschaft – 1994; Was vom Tage übrig blieb – 1993; Bram Stoker's Dracula – 1992; Wiedersehen in Howard's End – 1992; Freejack – Geisel der Zukunft – 1992; Das Schweigen der Lämmer – 1991; 24 Stunden in seiner Gewalt – 1995; Die Bounty – 1984; Der Elefantenmensch – 1980; Die Brücke von Arnheim – 1977; Achtzehn Stunden bis zur Ewigkeit – 1974). Mit Lust und Freude spaziert er mit ausgesucht höflichen Manieren durch diesen Film, hat gleich mehrere Verabredungen „zum Dinner“, aber grausam ist nicht mehr die Phantasie, die er entfacht. Grausam ist, was er mit seinen Opfern macht.

In der Lecter-Figur liegt wohl Scotts visueller Bombast begründet, nach der Lehre jeder Filmakademie, dass eine Fortsetzung Bekanntes beibehalten, variieren, entwickeln muss, aber nicht zeigen soll, was die Zuschauer schon gesehen haben. Weil sie also im Schweigen der Lämmer den Horror über weite Strecken nur fühlen konnten, sollen sie ihn jetzt eben auch sehen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist diese Hochschullehre aufgegangen. Ridley Scott konnte 87 Millionen Dollar für "Hannibal" ausgeben. Weltweit eingespielt hat sein Film 352 Millionen US-Dollar.

Wertung: 2 von 6 €uro
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