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Plakatmotiv: Shape of Water – Das Flüstern des Wassers (2017)
Girl meets Fish, statt Boy meets Girl.
Ein überraschende Liebesgeschichte.
Titel The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers
(The Shape of Water)
Drehbuch Guillermo Del Toro + Vanessa Taylor
Regie Guillermo Del Toro, USA 2017
Darsteller Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins, Octavia Spencer, Michael Stuhlbarg, Doug Jones, David Hewlett, Nick Searcy, Stewart Arnott, Nigel Bennett, Lauren Lee Smith, Martin Roach, Allegra Fulton, John Kapelos, Morgan Kelly u.a.
Genre Fantasy, Drama
Filmlänge 123 Minuten
Deutschlandstart
15. Februar 2018
Website fox.de/the-shape-of-water
Inhalt

Baltimore, Anfang der 1960er Jahre: Die alleinstehende Elisa lebt über einem wenig besuchten Kino in der Innenstadt. Sie ist stumm und kommuniziert durch Gebärdensprache mit ihrer Umwelt. Sie geht einem Job als nächtliche Reinigungskraft im Occam Aerospace Research Center nach, einem geheimen Labor der US-Regierung. Ihre einzigen Freunde sind ihr schwuler Nachbar Giles, ein alternder Plakatkünstler und Katzenliebhaber, und ihre resolute und geschwätzige Arbeitskollegin Zelda, die für sie oft als Übersetzerin agiert.

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wollen die USA im Wettstreit mit dem sowjetischen Raumfahrtprogramm so schnell wie möglich einen Menschen ins All befördern, nachdem die Sowjetunion mit Laika bereits ein Lebewesen ins All geschickt hat. Auftritt: Richard Strickland, ehrgeiziger Sicherheitschef und Dr. Robert Hoffstetler, Wissenschaftler. Im Gepäck haben sie ein mysteriöses Wesen. Am Amazonas haben sie Amphibie-Mensch-Hybrid fangen können, das dort wie ein Gott verehrt wird. Elisa, die zusammen mit Zelda beauftragt ist, das Labor rein zu halten, ist sofort fasziniert von dem Hybriden, das in einem Wassertank gehalten wird.

Sie bringt ihm Essen mit, spielt ihm Musik vor und unterrichtet es in Gebärdensprache. Währenddessen kommt das Team um Dr. Hoffstetler kaum mit seinen Forschungen voran. Irgendwann verlangt das Milität die Vivisektion des Geschöpfs. Für Elisa ist es das Signal zu handeln: Mit Hilfe von Giles, Hoffstetler und Zelda schmuggelt sie den Fischmann aus dem Labor und quartiert ihn in ihrer Badewanne ein …

Was zu sagen wäre

Die dramaturgischen Möglichkeiten einer Boy-meets-Girl-Geschichte sind begrenzt: Sie treffen sich, verlieben sich, müssen innere und äußere Widerstände überstehen bis sie am Ende vor dem Traualtar stehen. Gullermo Del Toro steht nicht unter Verdacht, romantische Geschichten – Komödien gar – dieser Art erzählen zu wollen; er ist in der Action-, Fantasy- und Comicwelt zuhause („Crimson Peak“ – 2015; Pacific Rim – 2013; „Pans Labyrinth“ – 2006; Hellboy – 2004; Blade II – 2002).

Um Boy meets Girl im zeitgenössischen Kino erzählen zu können, brauchst Du entweder Justin Bieber und Selena Gomez, damit deren juvenile Fans die Kinos stürmen, um endlich auf Cinemascope zu erleben, was die beiden im echten Leben (also dem auf Instagram) schon so lange nicht hinbekommen – aus ihrer On-Off-Beziehung das romantische Hollywoodglück zu machen.

Oder du brauchst Schauspieler mit Ausstrahlung, denen man gerne zuschaut, wenn sie sich, zum Beispiel, in einen Fischmenschen verlieben. Guillermo Del Toro hat Sally Hawkins („Paddington“ – 2014; Godzilla – 2014; Blue Jasmine – 2013; „Große Erwartungen“ – 2012; „An Education“ – 2009; „Happy-Go-Lucky“ – 2008; Cassandras Traum – 2007). Sally Hawkins bringt mit Unschuld in ihren von Lachfältchen umrahmten Augen und stummen Gesten die Leinwand zum Glühen, sie ist mit ihrer stummen Beredtsamkeit hinreißend. Da liegt die Gefahr des Overactings nahe; aber das ist nicht der Fall. Dass Elisa nach einer Gewalttat in der Kindheit nicht sprechen kann, ist tragisch, aber in ihrem Umfeld nicht weiter wichtig. Die anderen können ja auch nicht kommunizieren.

Die Figuren in Del Toros Film reden zwar ununterbrochen, sagen aber nichts. Elisas Kollegin Zelda verbreitet Weisheiten über das Zusammenleben mit ihrem Mann, aber als wir den zum Ende des Films doch noch kennenlernen, stellen wir fest: Zeldas Weisheiten waren nur Gerede. Elisas Nachbar, der alternde Künstler Giles, kommt weder mit seiner Kunst noch mit Worten weiter im Leben. Der Amphibienmensch kann ohnehin nicht sprechen. Sprachlosigkeit ist in diesem Film ein Geschenk. Die Menschen, die sich hier mit Sprache verständigen, sind gemein und sagen brutale Sachen. Elisa kommuniziert sprachlos mit ihrem Fischmensch, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Diese Liebe lässt auch uns nicht unberührt, spätestens wenn Elisa mit dem Fischmann nackt in die Badewanne steigt.

„The Shape of Water“ macht nicht Halt an den erwartbaren Grenzen – eine Menschenfrau und Fischmann, wie soll das gehen, bitte? An der Stelle legt Guillermo Del Toro erst los. Es gab 1984 mit Splash – Jungfrau am Haken schon mal einen Boy-meets-Fish-Film, der sein Liebespaar ernst nahm. Der damals noch weitgehend unbekannten Tom Hanks verliebte sich in die Meerjungfrau Daryl Hannah. Ron Howard drehte eine sehr lustige, sehr ans Herz gehende Romantic Comedy, die auch heute noch ganz gut funktioniert, weil Howard die Liebe zu Ende dachte. Das tut Guillermo Del Toro auch, sieht aber darüber hinaus nichts locker Flockiges in einer Romanze zwischen Fisch und Mädchen.

Sein Drehbuch beschreibt eine Liebesgeschichte und folgt ihr – koste es was es wolle. Del Toro packt die vorgegebene Struktur in ein wunderbares Drehbuch, das verschiedene kleine Elemente – Bausteine – balanciert. Da sind Elisas Narben von früher, die eine Erfüllung finden, auf die wir im Kinosessel nicht einfach so kommen; Taufnamen, die in einen harmlosen Dialog rollen und später überraschend wieder eine Rolle spielen, russische Doppelagenten und amerikanische Weltraumwissenschaftler, die finster dreinblicken – Michael Shannons Sicherheitschef Strickland ist zunächst so bigott wie sein FBI-Agent Nelson van Alden in der TV-Serie „Boardwalk Empire“ und dann so kalt, wie so viele seiner Filmfiguren (Nocturnal Animals – 2016; „Elvis & Nixon“ – 2016; Man of Steel – 2013; Premium Rush – 2012). Dieser Strickland ist das Monster im Film. Er quält die unschuldige Kreatur, die sich von Musicalmelodien und der wortlosen Putzfrau verzaubern lässt; gleich zu Anfang beißt die Kreatur ihm deshalb zwei Finger ab, was erst zu einer blutigen Schweinerei wird und dann den ganzen Film über zu unappetitlichen Szenen führt, denn die Finger werden wieder angenäht, faulen dann aber vor sich hin. Diese Szenen unterstreichen: Das Monster ist Strickland, der Mann, der zerfällt, während das augenscheinliche Monster ein herzensguter Kerl ist, der sich einmal ins Kino verirrt und gebannt auf das Treiben auf der Leinwand starrt, die „The Book of Ruth“ zeigt, eine allegorische Bibelgeschichte über Fremdsein in der Heimat.

Stricklands Gegenpart, den freundlichen Wissenschaftler Hoffstetler mit dem dunklen Geheimnis, spielt Michael Stuhlbarg, der seiner Figur eine schwebende Balance gibt, die gleichzeitig Verräter, Arschloch und Freund sein will (Die Verlegerin – 2017; „Call Me by Your Name“ – 2017; Doctor Strange – 2016; Arrival – 2016; Trumbo – 2015; Steve Jobs – 2015; Blue Jasmine – 2013; Hitchcock – 2012; Lincoln – 2012; Men in Black 3 – 2012; Hugo Cabret – 2011; A Serious Man – 2009).

Diese Figuren – Wissenschaftler, Militärs – sind die Stolpersteine, die die Boy-meets-Girl-Helden aus dem Weg räumen müssen; in früheren Filmen waren das die Väter des Mädchens, die für ihre Prinzessin etwas anderes erhofft hatten, als ausgerechnet den tätowierten Motorradboy/den Farbigen/den Fischmenschen. Es sind kaum mehr als Klischee-Figuren, die es braucht, um die eigentliche Geschichte zu erzählen – in der es um zwei einsame Seelen geht, die sich intuitiv finden (und auch nicht weiter fragen Warum) in einer Welt, in der alle das Vereinsamt-Sein als Statussymbol vor sich hertragen; in der die einzige Person mit Familie das Ende des Films nicht erlebt. Del Toros Film ist ein Sammelbecken der Ausgestoßenen: Die Freunde der stummen Elisa, die in den 1960er Jahren lebt, in den Zeiten des Kalten Krieges und des weißen, heterosexuellen Mannes, sind ihr schwuler Nachbar, ihre farbige Kollegin und das Wesen vom Amazonas.

Dieser Fischmensch sieht einem berühmten Vorgänger sehr ähnlich, dem Amphibienwesen aus Jack Arnolds „Der Schrecken vom Amazonas“ von 1954. Damals war dieses Fremde gleichzeitig das Böse, dass die Frau des weißen Mannes rauben wollte und deshalb zur Strecke gebracht werden durfte. Jene Zeit war auch die große Zeit der Musicals, die sich Elisas Nachbar Giles dauernd im Fernsehen anschaut, bis sich „Shape of Water“ eine Szene lang selbst in ein Musical verwandelt, in dem Elisa und ihr Fischmann durch elegante Kulissen tanzen. Bemerkenswerterweise ist ausgerechnet diese Szene schwarz-weiß gehalten, so wie Del Toro eigentlich den ganzen Film – offenbar in noch stärkerer Anlehnung an Jack Arnolds Original – haben wollte; 20th Century Fox wollte aber keinen Schwarz-Weiß-Film finanzieren. Del Toro wählte als Kompromiss entsättigte Farben, die den Retrolook des Films noch unterstreichen, der doch eine so aktuelle Geschichte erzählt von den Minderheiten, die sich erheben und sich ihren Platz in der Welt erstreiten. Aber diesen Platz suchen sie nicht mehr in der Gesellschaft der anderen, der zeitgeistkonform gerufenen „alten weißen Männer“ und deren Frauen.

Das Verstörende an Guillermo Del Toros wunderschöner Fantasy ist, dass all die Einsamen, die wir im Laufe der zwei Stunden kennenlernen, keine schöne neue Welt mehr im Sinn haben, sondern für sich bleiben und selbst in ihrem Happy End noch sagen: Wir haben uns. Das reicht! Die Utopie der Großen Gemeinsamkeit ist dahin.

Wertung: 7 von 8 Euro
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