IMDB

Kinoplakat: Gone Girl – Das perfekte Opfer

David Fincher steigt hinab
in die Hölle der Paare

Titel Gone Girl – Das perfekte Opfer
(Gone Girl)
Drehbuch Gillian Flynn
nach ihrem gleichnamigen Roman
Regie David Fincher, USA 2014
Darsteller

Ben Affleck, Rosamund Pike, Neil Patrick Harris, Tyler Perry, Carrie Coon, Kim Dickens, Patrick Fugit, David Clennon, Lisa Banes, Missi Pyle, Emily Ratajkowski, Casey Wilson, Lola Kirke, Boyd Holbrook, Sela Ward u.a.

Genre Thriller, Drama
Filmlänge 149 Minuten
Deutschlandstart
2. Oktober 2014
Website gonegirlmovie.com
Inhalt

Ein warmer Sommermorgen in Missouri: Nick und Amy Dunne wollten heute eigentlich ihren fünften Hochzeitstag feiern, doch die Frau ist plötzlich verschwunden. Als sie nicht wieder auftaucht, gerät Nick ins Visier der ermittelnden Polizisten Rhonda Boney und Jim Gilpin.

Der ehemalige Journalist, der inzwischen nur noch ein bisschen unterrichtet und dazu mit seiner Schwester Margo eine Bar betreibt, gerät unter Verdacht, seine Frau umgebracht zu haben; die Indizien sind erdrückend: eine überzogene Kreditkarte, eine erst kürzlich angehobene Lebensversicherung, eine alte Blutspur in der Küche.

Die Tatsache, dass seine Frau, die ehemals gefeierte Kinderbuchautorin, in der Öffentlichkeit als herzensgute Frau gilt und von nachmittäglichen TV-Talkshows bald als Opfer eines geldgierigen Mannes dargestellt wird, macht die Sache für Nick nicht leichter. Ebenfals nicht hilfreich ist es, dass die Polizisten ein Tagebuch finden, das Amy offenbar geführt hat und aus dem hervorgeht, dass sie offenbar Angst vor ihrem Mann hat; und, dass Nick seit mehr als einem Jahr eine Affaire mit einer seiner Studentinnen hat. Die Wahrheit sei, sagt er schließlich im Verhör, dass er sich am Tag, als sie verschwand, von seiner Frau haben trennen wollen. Rhonda Boney fehlt für einen Haftbefehl eigentlich nur noch Amys Leiche.

Aber Amys Leiche gibt es nicht. Die Weste der Verschwundenen ist nämlich beileibe nicht so rein wie alle Welt glauben will …

Was zu sagen wäre

David Fincher ist der Mann für die menschlichen Abgründe im Kino, für die Seelenpein hinter der glänzenden Fassade des Glücks. Er kommt aus der Musikvideo-Branche, hat dort eine klare Bildsprache entwickelt und dann einige bemerkenswerte Werbefilme gedreht – für die American Cance Society inszenierte er einen rauchenden Fötus, um die Gefahren des Rauchens mal nicht mit Raucherbein und Husten zu bebildern.

Als er mit den Sprung ins Kino machte, beschrieb er die menschlichen Abgründe in Genres, die von solchen Agründen leben, wo Buch und Regie nicht erst den Bogen aus der heilen Welt in die Hölle beschreiben müssen, weil sie schon in der Hölle beginnen. In Alien 3 (1992) beschrieb er die Hölle einer mönchsartigen Gemeinschaft, die sich rigiden Regeln unterwirft, weil sie sich ansonsten zerfleischen würde. In Sieben (1995) beschrieb er die Gedankenwelt eines religiös fanatisierten Serienkillers, dessen brillanter Verstand einen harmlosen Cop (buchstäblich) in den Wahnsinn treibt. Mit Fight Club (1999) machte er diese Abgründe sogar fassbar, gab ihnen das Gesicht Brad Pitts.

Finchers Höllen brauchen keine Genreverkleidung mehr

Heute braucht Fincher diese Fassaden des Horror- oder des Killergenres nicht mehr, um seine Abgründe zu erzählen, er hat die Familie als Hort des größten Horrors entdeckt. Seine Version des Stig-Larsson-Thrillers Verblendung (2011) steht im Schatten der schwedischen Verfilmung, in dem die hohe Qualität seines Films verschwand; aber Familienhölle war auch da – in ruhigen Einstellungen ohne die Thrillerüblichen Versatzstücke wie Wackelkamera oder schrille Musik. Als Produzent hat er für den Streamingdienst Netflix die Serie „House of Cards“ produziert, der die Abgründe der Polit-Elite Washingtons offenbart.

Jetzt ist er also in den Suburbs Missouris angekommen, wo er nicht der erste ist, der Ehe und Familie als Hölle beschreibt, er aber ganz andere Motive dafür findet. Sam Mendes hat in American Beauty (1999), dem Standard-Werk der modernen Suburb-Hölle, die schleichende Entfremdung, die Langeweile nach vielen Ehejahren als Ursache dieser Hölle beschrieben, also etwas, für das keiner so wirklich etwas kann – die Erkenntnis, man müsse jeden Tag aufs neue um Familie und Glück kämpfen, ist ja eher ein Satz fürs Poesiealbum. Im Alltag steht da häufiug der Alltag im Weg. Dennoch gilt Mendes‘ Ansatz seither als ewig gültige Wahrheit und hat es mit „Desperate Housewifes“ zu einer eignen – erfolgreichen – TV-Serie gebracht.

Kinoplakat: Gone Girl – Das perfekte OpferNicht die Langeweile zerstört, sondern der Mensch in ihr

David Fincher findet, für ihre Hölle sind die Menschen sehr wohl, sehr direkt verantwortlich. Ja, in der Ehe von Nick und Amy ist nicht jeder Tag Weihnachten und auch der wohlsituierte Mittelstand kann von der Wirtschaftskrise der Nuller-Jahre gebeutelt werden; Fincher zeigt den Niedergang in wenigen Pinselstrichen und Nebensätzen – beide verlieren ihre Jobs in der Zeitung, als die Krise die Printmedien erfasst, Amys Eltern verlieren ihr Vermögen, sind auf Amys Tantiemen ihrer frühen Erfolgsbücher angewisen, Nicks Mutter erkrankt an Krebs und zwingt beide, von Manhattan nach Missouri zu ziehen – in die Langeweile immer gleicher Tage, Nick macht mit seiner Schwester eine Bar auf, lässt sich gehen …

Aber Amy ist eben nicht das wehrlose Opfer dieser Entwicklung; sie ist ein Dämon, der die Menschen um sie herum mit bösartiger Energie in den Untergang treibt. Das wird freilich erst mit der Zeit deutlich. Zu Beginn ist sie die schöne, gute, freundliche, sexy Traumfrau, mit der man(n) Pferde stehlen kann.

Fincher erzählt das in ruhigen Bildern, keine Wackelkamera stört den ruhigen Fluss Richtung Irrsinn, keine laute Musik irritiert die diabolische Intrige, die sich mit großer Präzision entwickelt, entblättert wird wie das Herz einer Zwiebel – aus dem Ehedrama wird ein Vermisstenkrimi wird ein Thriller wird ein fieser Horrotrip. Wunderbare Schauspieler hat er vor der Kamera versammelt – wenig bekannte, dennoch präzise Schauspieler, in deren Zentrum die ewigen Talente Rosamunde Pike und Ben Affleck zur perfekten Besetzung auflaufen, bei der wir streiten können, welcher der beiden der größere Wurf ist.

Ben Affleck und Rosamunde Pike als perfekte Besetzung

Affleck ist seit mehr als 20 Jahren im Filmgeschäft, galt schon als PosterboyHoffnungsträger und Witzfigur und dann hinter der Kamera seine eigentliche Bestimmung gefunden. Jetzt endlich auch vor ihr: Sein leicht übergewichtiger Nick verkörpert in seiner Selbstgenügsamkeit die bräsige, biertrinkende Mittelmäßigkeit des Mittelstands, ein wunderbar ambivalenter Charakter, der als untreuer Ehemann, Mordverdächtiger und Zielscheibe hysterischer Medien sehr nah am Menschen spielt. Hier offenbart Affleck einen der großen Irrtümer der Filmindustrie: Hollywood hat viele Jahre versucht, ihn als gutaussehenden Charmebolzen zu vermarkten und Affleck fuhr diese Rollen mit seinen künstlerischen Ambitionen vor die Wand. Fincher lässt ihn laufen und Affleck blüht auf, indem er all diese Testosteron-Abziehbilder, die er in der Vergangenheit spielen musste, als solche entlarvt.

Rosamunde Pike (A Long Way Down – 2014; The World's End – 2013; Jack Reacher – 2012; Zorn der Titanen – 2012; Barney's Version – 2010; Surrogates – Mein zweites Ich – 2009; Doom – Der Film – 2005; Stolz & Vorurteil – 2005; James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag – 2002) kann aus dem Korsett des Porzellanpüppchen ausbrechen, das ihr Regisseure gerne umlegen, die nicht wissen, wie sie diese schöne Frau mit dem rätselvollen Gesicht anders besetzen sollen (A Long Way Down – 2014; Jack Reacher – 2012; Surrogates – 2009; James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag – 2002). Hier spielt sie um ihr Leben die Rolle ihres Lebens. Das macht sie so gut, dass wir ihr selbst dann nicht so recht böse sein wollen, als ihre Amy dazu längst jeden Anlass liefert. Bei den Oscars 2015 entfiel auf die die einzige Nominierung – erstaunlicherweise fand dieser großartige Thriller in keiner anderen Kategorie genügend Fürsprecher für eine Nominierung.

Wertung: 8 von 8 €uro
IMDB