Durch den Ermittler erhält er allerdings rasch eine Anschlussstellung in der Detektei Blady. Doch auch diese hält für den jungen Mann oft ein zu hohes Maß an Komplexität bereit: Als er mit Christine ein Varieté besucht, wo er den dort auftretenden Zauberkünstler beschatten soll, lässt Antoine seine Freundin kurzerhand zurück, um den Mann zu verfolgen, verliert jedoch bald dessen Spur. Blady hält den Tagträumer wenig geeignet für Observationen und setzt Antoine nun auf einen scheinbar leichten Fall an: Er soll, angestellt im Geschäft von Monsieur Tabard, als Undercover-Ermittler herausfinden, wieso dieser von niemandem geliebt wird. Antoines Interesse an Christine, in deren zweijähriger Beziehung es bisher noch zu keinen Intimitäten gekommen ist, lässt in der Folgezeit nach, denn bald schon verliebt er sich in die deutlich ältere Madame Tabard und verlässt Christine mit der Begründung, er habe sie nie bewundert. Madame Tabard und Antoine haben eine kurze Affäre, die zu einer weiteren Kündigung Antoines führt.
Er findet nun Arbeit bei einem Fernsehreparaturdienst und kollidiert mit seinem Dienstfahrzeug ausgerechnet mit dem Wagen von Christines Vaters. Christine, die seit längerem unbemerkt von einem Unbekannten verfolgt wird, hat trotz Antoines Zurückweisung nicht das Interesse an ihm verloren und versucht ihn zu besuchen, steht aber vor verschlossener Tür. Da sie durch ihren Vater nun weiß, wo der junge Mann arbeitet, greift sie zu einer List …
Apropos der Schuhverkäufer: Den größten Auftritt in der Riege der Schauspieler hat Michael Lonsdale als Monsieur Tabard, der einen langen Monolog darüber hält, dass niemand ihn liebt, er aber sehr erfolgreich sei und eigentlich niemanden diskreditiere – er behandele Juden ebenso wie Araber und weist später seine Frau nach einer spöttischen Bemerkung über Hitler zurecht: „Hitler war kein Anstreicher. Das ist eine Verleumdung. Hitler war ein Landschaftsmaler!“ Lonsdale ist wunderbar schwiemelig verschwitzt. Jean-Pierre Léaud, der den durchs-Leben-Stolperer spielt, gibt das perfekte Gegengewicht. Truffauts Liebe für starke Frauen, die das Heft des Hanbdelns in die Hand nehmen, übernimmt hier – weil Christine/Claude Jade dafür nicht vorgesehen ist – Delphine Seyrig als des Schuhverkäufers Frau, Madame Tabard.
Und so flippert der Film eine Weile so vor sich hin, ist ausgesprochen amüsant mit seinem französisch Personal. Truffaut hat sich diesem Film nicht von einem Drehbuch her genähert, sondern von diesem Personal her, in dem die Figur der Christine nur eine unter vielen war. Erst, als er am Théâtre Moderne die 19-jährige Claude Jade entdeckte, änderte er das Drehbuch, und sie wurde zur Protagonistin. Er kümmerte sich fortan nur noch um die keimende Liebesgschichte zwischen Antoine und Christine, während seine Co-Autoren Claude de Givray und Bernard Revon an der Detektivgeschichte arbeiteten. Diese Detektivgeschichte ist wichtig für den Film, weil sie sehr bildstark die Neugier des sich im Leben umschauenden Antoine symbolisiert.
Gleichzeitig war Truffaut durch zwei Ereignisse im richtigen Leben von seinerm Film abgelenkt: Er verliebte sich während der Dreharbeiten in seine Hauptdarstellerin Claude Jade, bat sogar um die Hand der 16 Jahre Jüngeren und hatte Jean-Claude Brialy und Marcel Berbert als Trauzeugen vorgesehen. Truffaut nahm sein Versprechen später zurück. Sie blieben Freunde und drehten weitere Filme zusammen.
Das andere Ereignis, das Truffaut ablenkte, hieß Henri Langlois, Leiter der Cinémathèque francaise, der während der Dreharbeiten durch den französischen Kulturminister André Malraux gefeuert wurde. Das führte zu heftigen Protesten. Truffaut engagierte sich im Kampf um die Cinémathèque française und widmete seinen Film dem Geschassten. Truffaut verpasste Proben, kam zu spät und ließ schießlich viele Szenen improvisieren, was dem Film seine einzigartige Leichtigkeit verleiht, weil er eben nicht einem streng durchstrukturierten Script folgt, dafür den Spatzen von Paris seine Aufmerksamkeit widmet.
Der Film ist Teil des Antoine-Doinel-Zyklus. Begonnen wurde dieser mit dem Kinofilm „Sie küssten und sie schlugen ihn“. Ein Segment des Films „Liebe mit zwanzig (Antoine und Colette)“ erzählt die Geschichte des Protagonisten weiter. Nach „Geraubte Küsse“ traten die von Jean-Pierre Léaud (Antoine) und Claude Jade (Christine) gespielten Figuren in Tisch und Bett und letztmals in Liebe auf der Flucht auf.
Der Titel Baisers volés ist einem Chanson von Charles Trenet, Que reste-t-il de nos amours?, entnommen, das zu Beginn und Ende des Films eingespielt wird. Der Film wurde im 1969 sowohl bei der Oscar-Verleihung, als auch bei den Golden Globe Awards als französischer Beitrag in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert.
Regisseur François Truffaut im Kino
François Truffaut war ein französischer Filmregisseur, Filmkritiker, Schauspieler und Produzent. Er wurde am 6. Februar 1932 in Paris geboren und starb am 21. Oktober 1984 in Neuilly-sur-Seine.
Mit der Neubelebung des Autorenfilms ab Ende der 1950er Jahre gilt Truffaut in der französischen Filmgeschichte mit Jacques Rivette, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Éric Rohmer als einer der maßgeblichen Begründer der Nouvelle Vague.
- Ein Besuch (Une Visite – 1955) – der Film gilt als verschollen
- Die Unverschämten (Les mistons – 1957)
- Eine Geschichte des Wassers (Une histoire d'eau – 1958) – Regie mit Jean-Luc Godard
- Sie küßten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups – 1959)
- Schießen Sie auf den Pianisten (Tirez sur le pianiste – 1960)
- Jules und Jim (Jules et Jim – 1962)
- Liebe mit zwanzig (L’amour à vingt ans – 1962)
- Die süße Haut (La peau douce – 1964)
- Fahrenheit 451 (Fahrenheit 451 – 1966)
- Die Braut trug schwarz (La mariée était en noir – 1967)
- Geraubte Küsse (Baisers volés – 1968)
- Das Geheimnis der falschen Braut (La sirène du Mississippi – 1969)
- Der Wolfsjunge (L’enfant sauvage – 1970)
- Tisch und Bett (Domicile conjugal – 1970)
- Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent (Les deux anglaises et le continent – 1971)
- Ein schönes Mädchen wie ich (Une belle fille comme moi – 1972)
- Die amerikanische Nacht (La nuit américaine – 1973)
- Die Geschichte der Adèle H. (L’histoire d'Adèle H. – 1975)
Taschengeld (L’argent de poche – 1976) - Der Mann, der die Frauen liebte (L’homme qui aimait les femmes – 1977)
- Das grüne Zimmer (La chambre verte – 1978)
- Liebe auf der Flucht (L’amour en fuite – 1979)
- Die letzte Metro (Le dernier métro – 1980)
- Die Frau nebenan (La femme d'à côté – 1981)
- Auf Liebe und Tod (Vivement dimanche! – 1983)