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Plakatmotiv: Flight (2012)

Als Thriller-Drama gestartet
als Langeweiler abgestürt

Titel Flight
(Flight)
Drehbuch John Gatins & Dan Gilroy & Jeremy Leven
Regie Robert Zemeckis, USA 2012
Darsteller

Denzel Washington, Don Cheadle, John Goodman, Bruce Greenwood, Tamara Tunie, Brian Geraghty, Nadine Velazquez, Carter Cabassa, Adam C. Edwards, Kelly Reilly, Conor O'Neill, Charlie E. Schmidt, Will Sherrod, Boni Yanagisawa, Adam Tomei, Dane Davenport, John Crow u.a.

Genre Drama
Filmlänge 138 Minuten
Deutschlandstart
24. Januar 2013
Inhalt

Ein Flugzeug stürzt ab. Sechs Menschen sterben. Knapp 200 überleben, weil der Pilot alles richtig gemacht hat. Weil er mit einem waghalsigen Manöver verhindert hat, dass die Maschine sich senkrecht in den Erdboden bohrt und gleichzeitig verhindert hat, dass die Maschine dies in dichtbesiedelter Suburb getan hätte. Als der Pilot, Whip Whitaker, aus der Narkose im Krankenhaus aufwacht, wird er auf allen TV-Sendern als Held gefeiert. Allerdings nicht lange. Denn Captain Whitaker hatte Alkohol im Blut – 2,4 Promille.

Hoher Sachschaden, Tote … irgendwer wird bezahlen müssen. Warum nicht der angetrunkene Pilot? Auch wenn dessen Alkohol im Blut für das Unglück gar nicht verantwortlich war, er – im Gegenteil – trotz des Alkohols 200 Menschenleben gerettet hat. Fluglinie, Flugzeugbauer und Pilotengewerkschaft liegen im Clinch, wollen im anberaumten Untersuchungsausschuss jeweils eine der anderen Parteien hinhängen. Der von der Pilotengewerkschaft engagierte Anwalt, Hugh Lang, paukt Whitaker aus der Schusslinie – der toxikologische Befund mit den 2,4 Promille sei unsauber, nicht richtig durchgeführt und so weiter; bei der Untersuchung wird nun auch „höhere Gewalt” erwogen.

In der Zwischenzeit lernt der geschiedene Pilot eine Frau kennen und lieben. Seine Ehe ging vor Jahren in die Brüche, offenbar war auch da schon Alkohol der Auslöser, seine letzte Freundin, eine Flugbegleiterin, ist eine der sechs Toten aus dem abgestürzten Flugzeug – „Es sind vier Tote”, zählt süffisant Anwalt Lang auf. „Besatzungsmitglieder zählen nicht. Die kennen ihr Risiko. In Ausübung des Jobs zu sterben steht bei denen im Vertrag.”

Whitakers neue Freundin hält es auch nicht lange bei ihm aus. Whitaker trinkt mehr, als ihm gut tut. Er sieht auch gar nicht ein, sich deswegen zu schämen, verkündet stolz, er entscheide sich freiwillig zu trinken. Das Dilemma ist, dass in den Trümmern der Maschine zwei leere Wodkafläschchen aus der Bordküche gefunden werden. Die muss während des Fluges jemand getrunken haben und nur die Crew kam da ran und nur bei ihm wurde Alkohol im Blut festgestellt. Plakatmotiv: Flight (2012) Whitaker zögert kurz und ergänzt das Rätsel um eine dritte Flasche. Er wundere sich, sagt er den Kollegen von der Gewerkschaft und dem Anwalt, dass nur zwei leere Fläschchen gefunden worden seien, er habe schließlich drei getrunken während des Fluges.

Die letzten Tage vor der Anhörung verbringt Whitaker, dem mittlerweile die Medien im Nacken sitzen, bei seinem Freund Charlie, der aufpasst, dass Whitaker nicht an Alkohol kommt. Die letzte Nacht vor der Anhörung liegt Whitaker wach und nüchtern in einem Hotelzimmer. Seine Kollegen haben jeglichen Alkohol aus der Mini-Bar entfent. Blöderweise ist die Tür zum Nebenzimmer nicht richtig verschlossen und in diesem Nebenzimmer steht eine randvoll mit Schnaps gefüllte Minibar.

Als die Anhörung beginnt, ist Whitaker voll wie eine Haubitze und wach gepumpt durch Kokain …

Was zu sagen wäre

Huch, was ist denn mit dem familienfreundlichen Robert Zemeckis passiert? Die erste Einstellung in seinem ersten Realfilm seit 2000 (damals kam Cast Away – Verschollen) zeigt einen Radiowecker und vom linken Bildrand schiebt sich – unscharf zwar, aber in der Großaufnahme deutlich erkennbar – eine nackte weibliche Brust ins Bild. Die dazugehörige Schauspielerin läuft die nächsten Minuten ebenso nackt durch die Kulisse. Das ist – für Zurück-in-die-Zukunft-Forrest-Gump-Schatten-der-Wahrheit-Regisseur Zemeckis – sehr ungewöhnlich, was dann schon wieder nahezu gewöhnlich ist, denn Robert Zemeckis (Falsches Spiel mit Roger Rabbit - USA 1988) liebt ungewöhnliche Konstellationen, diffizile Kamerafahrten, komplexe Erzählstränge.

Fehler im Drehbuch, Launen in der Inszenierung, ungeklärte Löcher im Fundament

Was ihn bei diesem Film geritten hat, bleibt mir schleierhaft. Fehler im Drehbuch, Launen in der Inszenierung, ungeklärte Löcher im Fundament. Bleiben wir nochmal kurz bei der oben erwähnten Minibar. Wie bitte? Die Zwischentür zum nächsten Hotelzimmer in einem der besseren Hotels ist nicht verschlossen? Der Zufall ist mir dann doch zu blöd, zumal diese Minibar einen Vorrat an kleinen Whisky- und Wodkaflaschen bereit hält, der eine ganze Kompanie schachmatt setzen würde; Denzes Washingtons Whip Whitaker leert sie alleine, verwüstet sein Hotelzimmer (die Spuren am anderen Morgen sind eindeutig) und der Posten vor der Tür, der aufpassen soll, dass der Mann drinnen eben nicht trinkt, bekommt von all dem nichts mit?

Diese Minibar steht am Ende eines Spannungsmoments. Jedenfalls ist sie so angelegt. Bedauerlicherweise kommt aber gar keine Spannung auf, weil der Film bis dahin – und da sind schon knapp zwei Stunden rum – ganz unterschiedliche Geschichten antriggert und wieder verwirft, Porträts entwickelt und dann fallen lässt. Und den größten Fehler machte das Marketing zum Film, dass Interviews und Trailer so hat gestalten lassen, dass der Zuschauer ins Kino geht, um einen tricktechnisch spektakulären Flugzeug-Absturz-vor-Gericht-Thriller zu sehen. Marketing muss lügen. Marketing ist Lügen. Aber lügen im Rahmen der Wahrheit. Hier wurde ein ambitionierter Film mit schlechtem Drehbuch über eine Lüge außerhalb der Wahrheit verkauft.

Eine Hauptfigur, die kokst, säuft und Menschenleben gefährdet

Ja, der Absturz ist mitreißend inszeniert und ich fiebere mit dem Piloten, bei dem ich, nachdem er kurz vor der Katastrophe diese Wodkafläschchen gelehrt hat, mich frage, wo das Drama – oder ist es vielleicht doch ein Thriller – mich hinführen wird. Also: Meine Hauptperson, mit der ich mich identifizieren soll, vögelt bis tief in die Nacht, zieht dabei ein paar Lines Koks, trinkt dazu ein paar Bier, Whisky und Wodka und steigt dann ins Cockpit, um 204 Menschen nach Atlanta zu fliegen? Schwer verdauliche Sympathie. Aber der Flug dauert andererseits nur 54 Minuten, der Pilot ist erfahren und wer selber schon mal angeschickert Auto gefahren ist, der gesteht Captain Whip Whitaker vielleicht eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit Alkohol zu. Und der Absturz hatte ja auch gar nichts mit dem Alkohol zu tun. Also, was soll's

Was soll's??

Muss ich meiner Hauptfigur jetzt zwei Stunden dabei zusehen, wie sie lügend und betrügend ihren Kopf aus der Schlinge zieht? Wie soll das denn gehen? Gar nicht! Weil es darum nämlich gar nicht geht, wie sich im weiteren Verlauf des Films herausstellt. Whitaker lässt sich nie sehr lange bitten, wenn er zugeben soll, dass er trinkt. Er trinkt ja freiwillig. Und während wir also den Kopf-lügend-aus-der-Schlinge-zieh-Thriller abgehakt und uns auf ein Justizdrama eingestellt haben mit einem schmierig cleveren Anwalt, werden auch hier alle Hürden en passant im Sinne des Beklagten geregelt und ist der Film schon auf ein Low-Life-Drama mit Säuferpärchen eingeschwenkt. Aber nach zwei Dritteln des Films ist auch Nicole, die Säuferfreundin aus Whips Leben verschwunden und der Film reduziert sich auf dass Beobachten eines Säufers in den letzten Tagen vor dieser Anhörung. Starker Tobak. Sympathisch nämlich ist mir Whip Whitaker da immer noch nicht. Er ist aber die Hauptfigur!

Hier haut Zemeckis voll daneben

Zemeckis ist eigentlich sehr gut darin, schleichende Wendungen zu inszenieren, ohne dem Zuschauer zu verkünden „Jetzt aufpassen! Es passiert was Neues!” Von dieser Meisterschaft lebt zum Beispiel sein Thriller Schatten der Wahrheit, den er 2000 mit Harrison Ford und Michelle Pfeiffer inszenierte und der zu den besten Vertretern seines Genres gehört (neben Harold Beckers 1993er Thriller Malice - Eine Intrige natürlich). Von solchen schleichenden Entwicklungen lebt auch Forrest Gump, bei dem man zu Beginn auch glauben könnte, es nun mit einem gutmeinenden Behindertenfilm zu tun zu bekommen und statt dessen ein kaum fassbares Füllhorn an Geschichten erzählt bekommt. Plakatmotiv: Flight (2012) Davon lebt auch das Robinson-Crusoe-Drama Cast Away – Verschollen – dessen Flugzeugabsturzszene im Übrigen um Klassen eindringlicher war. Selbst die Back-to-the-Future-Reihe hat diese Überraschungen, die nicht angekündigt werden, sondern einfach passieren. Also: Zemeckis kann das. Hier kann er es nicht!

Dabei ist „Flight” eine Minute länger, als Zemeckis' Geschichtenfüllhorn des Forrest Gump, aber es gelingt ihm über die ganze Strecke nicht, Sympathie für den Piloten zu entwickeln. Warum soll ich dem Mann eigentlich zweieinviertel Stunden zusehen, wie er langsam ertrinkt? Weil ich die Kinokarte nun schon mal gekauft habe? Guter Trick! Klappt auf Dauer nicht!

Kurz über Alkoholismus nachdenken

Immerhin, das sei nicht verschwiegen. Während die Ereignisse auf der Leinwand so vor sich hin gluckern, stelle ich mir die obige Frage nach dem angeschickerten Autofahrer – entweder, man kennt Jemanden, der das mal gemacht hat oder man ist selber schon … und so habe ich Zeit, der Frage nachzugehen, wie moralisch verwerflich das Verhalten des Säufer-Piloten tatsächlich ist. Aber … das ist nach zehn Minuten im dunklen Kinosessel erschöpfend mit mir selbst ausdiskutiert und der Film steuert dazu keine wirklich neuen Erkenntnisse bei.

Der Pilot geht mir auf die Nerven. Nichts weckt meine Neugier. Portraits von Trinkern gibt es bessere. Ich denke an „Lost Weekend”, 1945 mit Ray Milland. Oder an Frank Sinatras Kokser-Porträt in „Der Mann mit dem goldenen Arm” (1955). Im vorliegenden Film erlebe ich die letzten Tage, bevor sich ein Arschloch eines Besseren besinnt und auf den Weg der Heilung kommt! Aber das ist egal. Was interessiert mich ein Arschloch? Und warum muss der Film so lang sein? Sind die traditionellen 90 bis 100 Filmminuten heute unter der Würde?

Eine Gieren-nach-dem-Oscar-Rolle

Seltsam, dass das Drehbuch für einen Oscar nominiert ist. Der Story fehlt die Struktur, ihr fehlen klar konturierte Akte. Der Film plätschert unfroh vor sich hin, ist auf große Neugier seiner Zuschauer angewiesen: Neugier à la „Was passiert mit dem unsympathischen Arsch, den Denzel Washington spielt und der deshalb eigentlich kein Arsch sein kann? (Safe House – 2012; Unstoppable – Außer Kontrolle – 2010; Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3 – 2009; American Gangster – 2007; Déjà Vu – 2006; Inside Man – 2006; Der Manchurian Kandidat – 2004; Mann unter Feuer – 2004; Training Day – 2001; "Gegen jede Regel" – 2000; Hurricane – 1999; Der Knochenjäger – 1999; Ausnahmezustand – 1998; Dämon – Trau keiner Seele – 1998; "Rendezvous mit einem Engel” – 1996; Mut zur Wahrheit – 1996; Crimson Tide – 1995; Teufel in Blau – 1995; Die Akte – 1993; Philadelphia – 1993; Viel Lärm um nichts – 1993; "Malcolm X" – 1992; Ricochet – Der Aufprall – 1991) Will der Mann, nachdem er für seinen Widerling in Training Day (2001) seinen ersten Hauptrollen-Oscar bekam, nun mit einem zweiten Widerling den zweiten Hauptrollen-Oscar (und dritten Oscar insgesamt) holen? Gefährliche Strategie. Nominiert ist Washington jedenfalls und diese Nominierung kann ich nachvollziehen. Aber mehr als die Nominierung wird's kaum werden.

Am Ende stehen ein paar fesselnde Sequenzen, die Zemeckis' Meisterschaft zeigen – ein guter Regisseur kann zwar schlechte Filme drehen, siehe Spielberg mit seinem Kriegspferd-Drama Gefährten (2011), aber er wird immer Momente schaffen zum Zunge schnalzen, solche Leute können nicht anders. Dazu gesellt sich ein flotter Absturz und – wie gesagt – die ein oder andere Frage an das Schlechte Gewissen. Und schließlich noch die Tatsache, dass der Bierproduzent Budweiser das Auftreten einiger seiner Bierbüchsen in diesem Trinkerfilm nachträglich verbieten lassen wollte.

Der Film verunsichert ein bisschen, damit hat er sein Erstziel als Kunstwerk erfüllt. Aber mehr nicht.

Wertung: 3 von 7 €uro
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