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Plakatmotiv: Der Schneider von Panama (2001)

Witzige Agentenfarce
mit gut gelauntem Tiefgang

Titel Der Schneider von Panama
(The Tailor of Panama)
Drehbuch Andrew Davies & John le Carré § John Boorman
nach dem gleichnamigen Roman von John le Carré
Regie John Boorman, USA, Irland 2001
Darsteller

Pierce Brosnan, Geoffrey Rush, Jamie Lee Curtis, Leonor Varela, Brendan Gleeson, Harold Pinter, Catherine McCormack, Daniel Radcliffe, Lola Boorman , David Hayman, Mark Margolis, Martin Ferrero, John Fortune, Martin Savage, Edgardo Molino, Jon Polito, Jonathan Hyde, Dylan Baker, Paul Birchard, Harry Ditson, Ken Jenkins, Adolfo Arias Espinosa, Juan Carlos Adames Luis A Goti u.a.

Genre Drama
Filmlänge 109 Minuten
Deutschlandstart
26. April 2001
Inhalt

High Society-Schneider Harry Pendel ist in Panama gleichermaßen bekannt für gut sitzende Anzüge wie für seine phantasievollen Geschichten. Pendels Leben war immer sorgenfrei: Sonne, Geld, Tequila. Und dann taucht Andrew Osnard auf, britischer Spion, gewissenlos bis ins Mark. Osnard erpresst den Schneider der hohen Herrschaften, ihm deren Informationen weiterzugeben.

Doch was tun, wenn es nichts zu berichten gibt? In seiner Not beginnt Harry Pendel eine Verschwörung zu erfinden, die sich durch alle Gesellschaftsschichten Panamas zieht und bald die Aufmerksamkeit der ausländischen Geheimdienste erweckt.

Diese Geschichte des Schneiders von Panama gerät ausser Kontrolle …

Was zu sagen wäre

Ein britischer Agent in Mittelamerika, der eine große Verschwörung erfindet und damit eine große internationale Krise auslöst? John le Carré verbeugt sich mit seinem Roman "Der Schneider von Panama" vor dem ähnlich gelagerten "Unser Mann in Havanna", den Graham Greene 1958 veröffentlichte. Carrés "Schneider" ist eine wilde Satire über geltungssüchtige Agenten, um ihr Durchkommen strampelnde, verschuldete Normalbürger und Militärs, immer mit der Hand am locker sitzenden Colt, die im Finale in ein melancholisches Drama mündet.

Regisseur John Boorman, der Mystiker unter den zeitgenössischen Filmemachern, entschärft die Romanvorlage ein wenig zugunsten eines fürs Kino tauglicheren Touchs. Grell bleibt die Geschichte dennoch. Vor allem, weil Pierce Brosnan die Performance seines Lebens abliefert (James Bond 007 – Die Welt ist nicht genug – 1999; Die Thomas Crown Affäre – 1999; James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie – 1997; Dante's Peak – 1997; Mars Attacks! – 1996; Liebe hat zwei Gesichter – 1996; James Bond 007: GoldenEye – 1995; Mrs. Doubtfire – 1993). Der amtierende Darsteller des stets jugendfrei flirtenden und tötenden Agenten Ihrer Majestät, der eher auf eingebildete Goodlookings spezialisiert ist, spielt einen MI-6-Agenten auf dem absteigenden Ast. „Du bist das Perverseste, was ich jemals kennengelernt habe“, zischt eine seiner zahlreichen Affären. „Genau das hat Dich doch aufgegeilt. Na? Ein kleiner Abschiedsfick?“ entgegnet der Mann, der seinen letzten, lukrativen Posten in Madrid verloren hat, nachdem mit der Geliebten des Außenministers geschlafen hat: „Mit der Geliebten. Nicht mit der Ehefrau. Ich tue viel für England. Aber nicht alles.“ Solche Gelegenheiten, das 007-Image zu korrigieren, lässt Brosnan nicht liegen. Genussvoll aalt er sich in seiner Kaltschnäuzigkeit, skrupellos weidet er harmlose Bürger für seine atemberaubenden Verschwörungsmeldungen nach London aus. Und wirbelt erst den britischen und schließlich den amerikanischen Geheimdienst, dem die Briten geradezu liebedienerisch zu Füßen liegen, auf.

Osnards Versetzung nach Panama soll den Mann eigentlich kaltstellen. Sein Chef malt ihm süffisant aus, ihn erwarte dort „ein übles Geflecht aus Geldwäsche, Drogenhandel und Korruption“. Und als er in Panama City gelandet ist, lernt er als erstes, dass die diamantenartig glitzernden Wolkenkratzer hier „Kokaintürme“ genannt werden und die Banken „Waschsalons“. Ein Umfeld, in dem sich der britische Agent sichtlich wohl fühlt. Hier hat jeder sein Geheimnis. Und an die kommt man am besten ran – Agentenschule, erstes Semester – wenn man einen Durchschnittsbürger findet, der ein Geheimnis hat und den, noch besser, arge Schulden drücken. Schon im Flugzeug nach Panama hat er aus der Liste der rund 200 britischen Bürger in Panama den Herrenschneider Harry Pendel extrahiert, der nicht nur seine Biografie von einem Gefängnisaufenthalt gereinigt hat, sondern sich auch nobler gibt, als er eigentlich ist; außerdem hat er das Erbe seiner Frau für ein Stück Land verscherbelt, das ihn jetzt hohe Schulden kostet und ihm von anderen Korrupten, alles Schulter klopfende gute Freunde, abgeluchst werden soll. Oscarpreisträger Geoffrey Rush ("Quills – Macht der Besessenheit" – 2000; Shakespeare in Love – 1998; Elizabeth – 1998) spielt den Schneider, der an allen Marionettenfäden hängt, an denen in Panama City gezogen wird, als Trottel mit großem Herzen. Er liebt sein Handwerk, die Haute Vollée lässt sich von ihm einkleiden, bezahlt aber nie die Rechnungen und er steht loyal zu seinen Freunden. Da beginnt sein nächstes Problem. Die Geschichten, die er dem Agenten liefert, handeln bald von der großen Panama-Kanal-Verschwörung: Panamas Präsident will den Kanal, die wichtigste Handelsroute der globalen Wirtschaft, an die Chinesen verscherbeln, aber es gibt im Land eine „stille Opposition“, die sich dagegen auflehnt. Als Anführer dieser Gruppe benennt Harry seinen Kumpel Mickie Abraxas, einen Alkoholiker, und seine Assistentin Marta, die beide unter dem früheren diktatorischen Noriega-Regime zu leiden hatten. Einerseits ist Pendel damit schnell aus seinen Schulden raus, weil die aufgeschreckten Geheimdienste immer höhere Summen zur Beschaffung weiterer Informationen freigeben, andererseits prangen die Gesichter seiner ahnungslosen und friedliebenden Freunde jetzt auf den Bildschirmen in den Lagezentren der westlichen Geheimdienste als mögliche Kollaborateure bei einer Invasion, die so ähnlich ablaufen soll wie 1989, als die CIA Präsident Noriega aus dem Spiel nahm.

Als Pendel beginnt, auch seine Frau auszuspionieren, die bei der einflussreichen Kanalverwaltung arbeitet, gerät das Gefüge endgültig ins Rutschen. Diese Ehefrau, Louisa, spielt die immer wunderbare Jamie Lee Curtis (Virus – Schiff ohne Wiederkehr – 1999; Halloween H20 – 20 Jahre später – 1998; Wilde Kreaturen – 1997; True Lies – Wahre Lügen – 1994; "Forever Young" – 1992; "My Girl – Meine erste Liebe" – 1991; Blue Steel – 1990; Ein Fisch namens Wanda – 1988; "Dominick und Eugene" – 1988; "Perfect" – 1985; Buckaroo Banzai – Die 8. Dimension – 1984; Die Glücksritter – 1983; The Fog – Nebel des Grauens – 1980; Halloween – Die Nacht des Grauens – 1978). Louisa liebt ihren schneidernden Mann über alles. Anders als alle anderen in Panama City hält sie ihn für einen echten Mann, einen ausgezeichneten Liebhaber und sie mag sich keinen anderen Vater für ihre beiden Kinder wünschen. Die ehemalige (und auch immer wiederkehrende) Scream-Queen erdet das Drama in der grellen Farce, die die Geschichte eigentlich ist.

Es ist schwer vorstellbar, wie der unbeholfene, sich dauernd in Schwierigkeiten verheddernde, sein Geschäft nicht beherrschende Mann jemals das Herz der souveränen führenden Mitarbeiterin der Kanalbehörde hat erobern können. Aber er hat. Und zwar dauerhaft. Und auch ohne Klischeeprobleme, denen Ehen im Hollywoodkino eigentlich immer ausgesetzt sind (gelangweilte Ehefrau, fremdgehender Ehemann etc.) sobald sie eine einigermaßen tragende Rolle spielen. Hier leben die beiden glücklich und das macht den Zuschauer im Kinosessel erst recht unruhig, als der Schneider beginnt, seine Frau auszuspionieren, sich ihr gegenüber anders als sonst zu verhalten, weshalb die bald den Eindruck bekommt, er gehe ihr fremd; was sie zutiefst verletzt. Diese Traumehe bekommt ihre Risse erst, während wir zuschauen. DVD-Cover (US): The Taylor of Panama (2001) Das erhöht den dramatischen Faktor mehr, als die Flashbacks zu Noriegas Folterknechten, die den traumatischen Background für Pendels Freunde Mickie und Marta ausmalen sollen. Ähnlich wie Pierce Brosnan ist auch Jamie Lee Curtis schön gegen ihr nie vergehendes Girlie-Image besetzt. John Boorman hat augenscheinlich Spaß daran, etablierte Schauspieler gegen den Strich zu besetzen. Auch sein Mickey, der ein gebrochener Trinker, ein bedauernswertes Geschöpf mit traurigen braunen Augen ist, gehört dazu. Der bullige Brendan Gleeson spielt ihn (Mission: Impossible II – 2000; Der Meisterdieb von Dublin – 1998; Michael Collins – 1996; Braveheart – 1995) und so hat man in noch nicht gesehen.

John Boorman ist der große Naturkundler, Mytenerforscher unter seinen Kollegen. In zahlreichen Filmen beobachtet er, wie der Mensch die Verbundenheit zur Natur verliert, wie er sich aus dem ewigen Kreislauf, dem Circle of Life, entkoppelt, um sich die Erde untertan zu machen, wie es ihn das Alte Testament gelehrt hat, deren Autoren sich die Mythen der viel älteren Naturreligionen angeeignet und in einen christlichen Kontext gewoben haben. Es war das Ende der Naturreligionen. Boorman spielt mit dem Topos zum Bespiel in Der Smaragdwald von 1985, in Excalibur (1981) Zardoz (1974) oder in Beim Sterben ist jeder Erste (1971). Später hat er sein Spektrum erweitert, ließ in Die Zeit der bunten Vögel 1990 einen schwer reichen Abrissunternehmer und dessen verwöhnte Kinderschar in New York wirtschaftlich abstürzen, um sich im normalen Kreislauf des Großstadtlebens wieder einzuordnen, beobachtete in Rangoon 1995, wie eine dem Leben entfremdete, traumatisierte Amerikanerin in der wilden Natur Myanmars ihre Mitte wiederfindet und sich im Kampf gegen die dortige Junta wiederfindet. Die neue Welt frisst die alte, das ist Boormans Lebensthema, und bei ihm geht das selten gut aus. Ende des 19. Jahrhunderts hat ein französisches Konsortium damit begonnen, den amerikanischen Kontinent durchgeschnitten. An seiner dünnsten Stelle. In Panama. Und es so der internationalen Seefahrt ab 1914 ermöglicht, sich die beschwerliche Reise um das Kap Hoorn oder durch die Magellanstraße an der Südspitze Südamerikas zu sparen. Eine nachvollziehbare Tat der Ingenieure im Industriezeitalter. Seit 2000, seit seiner Übergabe durch die Vereinigten Staaten an Panama am 31. Dezember 1999, ist der Kanal „unveräußerliches Eigentum des panamaischen Volkes“. Panama wurde durch den Kanal zu einem Zentrum des Welthandels, Magnet für Korruption, Drogenhandel und Prostitution. Die Weltmächte haben ein Auge auf die wirtschaftlich wichtige Wasserstraße und reagieren empfindlich auf politische Instabilität in Panama. Im "Schneider von Panama" werden die ausgedehnten Slums der an sich reichen Stadt zweimal von US-Militärs ausgeräuchert, weil die CIA dort erst Rädelsführer Noriegas (1989) und jetzt die des Präsidenten, der angeblich den Kanal verscherbeln will, vermuten. Die lachenden Dritten sind die Männer (und ganz wenigen Frauen) in den oberen Etagen der Kokain-Türme. Auch in diesem John-Boorman-Film ist die kleine Welt durch den großen Fortschritt keine bessere geworden, nur eine zynischere. Diesen Eindruck zerstört auch das etwas seifige Schlussbild familiären Glücks in des Schneiders Haus nichts.

Wertung: 5 von 6 €uro
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