Während ihre Kolleginnen die Zelte in der toskanischen Provinz abbrechen, erklärt die frankokanadische Krankenschwester Hana sich bereit, in einem verlassenen Kloster einen letzten, transportunfähigen Patienten zu pflegen: Der Mann ist nach einem Flugzeugabsturz am ganzen Leib schwer verbrannt und hat nur noch kurze Zeit zu leben. Da er seine Erinnerung verloren hat und nichts über seine Identität bekannt ist, nennt man ihn nur den "englischen Patienten".
Die einzigen Menschen, die sich außer Hana und ihrem Patienten in das Bergkloster verirren, sind der kanadische Herumtreiber und Spion Caravaggio, dem von deutschen Folterknechten einst beide Daumen abgeschnitten wurden, und der indische Lieutenant Kip, der im Dienst der britischen Armee nichtdetonierte Bomben und Minen entschärft.
Während sich zwischen Kip und Hana eine zarte Liebe entwickelt, kehrt bei dem englischen Patienten im Angesicht des Todes allmählich die Erinnerung zurück. Er vertraut sich Hana an, und in langen Rückblenden werden die romantischen und dramatischen Ereignisse geschildert, die schließlich zu dem tragischen Flugzeugabsturz führten. Er gesteht ihr, nicht Engländer, sondern der ungarische Graf László Almásy zu sein. Fasziniert lauscht Hana seinen melancholisch-romantischen Erzählungen über seine Affäre mit der Britin Katharine Clifton.
Derweil hat Caravaggio einen ganz eigenen Grund, hinter die Identität des Patienten kommen zu wollen – er vermutet, dass Almásy durch seine Kollaboration mit den Deutschen indirekt für seine Verhaftung und Verstümmelung verantwortlich ist …
Eine heimliche Liebe verändert den Lauf eines Krieges, greift in das Schicksal mehrerer Menschen ein und lässt Identitäten verschleiern. Anthony Minghella hat einen literarischen Bestseller verfilmt, der 1992 auf dem Markt kam. Ein Liebesroman, Kriegsroman mit einer komplexen Struktur. Minghella verfilmt das auf einer Länge, die normalerweise Historienepen wie Ben Hur oder Braveheart vorbehalten sind. Das kommt dem Film in der zweiten Hälfte zugute. Nämlich dann, wenn alle Personen und Geschichten auf dem gewaltigen Spielfeld aufgestellt sind und beginnen, sich zu verbinden. Das dauert seine Zeit, in der ich mich im Kinosessel frage, wo der Film mich eigentlich hinführen will – ich kenne die Buchvorlage nicht, nur das, was jetzt in den Zeitungen dazu steht.
Die großartige Kameraarbeit von John Seale (Hallo, Mr. President – 1995; Rangoon – 1995; Schlagzeilen – 1994; Die Firma – 1993; Rain Man – 1988; Gorillas im Nebel – 1988; Die Nacht hat viele Augen – 1987; Mosquito Coast – 1986; Hitcher, der Highway Killer – 1986) hilft, den – im Nachhinein verständlichen – langwierigen Aufbau interessiert zu verfolgen. Lange Zeit spielt Juliette Binoche als Krankenschwester die Hauptrolle, während Ralph Fiennes als lebendiges Gespenst, mehr tot als lebendig röchelnd auf dem Bett liegt. Erste Rückblenden zu einer Wüstenexpedition bringen eine Frau in ein Männercamp. Aber da funkt noch nichts zwischen Fiennes (jetzt gesund, jung und glutäugig) und Kristin Scott Thomas (Mission: Impossible – 1996; Vier Hochzeiten und ein Todesfall – 1994; Bitter Moon – 1992), statt dessen erleben wir Kartographen bei der Arbeit.
Als dann die geheime Liebesgeschichte zwischen dem schweigsamen Kartographen und der britischen Ehefrau Fahrt aufnimmt, entwickelt sich ein weiterer Erzählstrang: Der englische Patient, der eigentlich Ungar ist, gerät unter Verdacht, für die Deutschen spioniert zu haben.
Minghella lässt den Figuren ihren Raum, gibt ihnen Zeit, in den großen Landschaften anzukommen, baut seine Erzählung mit eisernem Stilwillen auf, lässt sich zu keiner Hektik zugunsten eines billigen Spannungsplots ein. Kameramann Seale baut auf Stative, Dollys und behutsame Lichtsetzung. Die gerade so angesagte, wacklige Schulterkamera findet keine Verwendung.
Minghella regt seine Zuschauer an, in seine Bilder, in diese Wüstenwelt einzutauchen, sich ihnen hinzugeben und ihm als Regisseur zu vertrauen, dass er sie schon nicht verraten wird. Das tut er dann auch nicht. Sein Film entfaltet sich zu einem der großen Melodramen, die nur das Kino so hinbekommt.
"Der englische Patient" war 1997 für zwölf Oscars nominiert. mit neun Oscars ausgezeichnet. In der Oscar-Nacht am 24. März 1997 wurde er neunmal ausgezeichnet:
- Bester Film (Saul Zaentz)
- Regie (Anthony Minghella)
- Nebendarstellerin (Juliette Binoche)
- Ausstattung (Stuart Craig)
- Kamera (John Seale)
- Kostüme (Ann Roth)
- Schnitt (Walter Murch)
- Filmmusik (Gabriel Yared)
- Ton (Walter Murch, Mark Berger, David Parker, Christopher Newman)
Nominiert waren auch:
- Hauptdarsteller (Ralph Fiennes)
- Hauptdarstellerin (Kristin Scott Thomas)
- Adaptiertes Drehbuch (Anthony Minghella)