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Plakatmotiv: La La Land (2016)

Ein Musical über den Alltag.
Viel Behauptung. Kaum Beleg.

Titel La La Land
(La La Land)
Drehbuch Damien Chazelle
Regie Damien Chazelle, USA 2016
Darsteller

Ryan Gosling, Emma Stone, Amiée Conn, Terry Walters, Thom Shelton, Cinda Adams, Callie Hernandez, Jessica Rothe, Sonoya Mizuno, Rosemarie DeWitt, J.K. Simmons, Claudine Claudio, Jason Fuchs, D.A. Wallach, Trevor Lissauer u.a.

Genre Musical, Drama
Filmlänge 128 Minuten
Deutschlandstart
12. Januar 2017
Website lalaland.movie
Inhalt

In Los Angeles leben der Pianist Sebastian und die angehende Schauspielerin Mia. Sebastian verehrt Jazzlegenden wie Bud Powell und Thelonious Monk und träumt davon, seinen eigenen Jazzclub zu eröffnen. Sein Geld verdient er jedoch mit Gelegenheitsjobs als Keyboarder oder Restaurant-Pianist. Mia liebt das Kino und versucht in Hollywood Fuß zu fassen. Während sie sich erfolglos von Vorsprechen zu Vorsprechen hangelt, jobbt sie in einem Café auf dem Warner-Bros.-Studiogelände.

Sebastian und Mia begegnen sich über den Winter und Frühling dreimal, ehe sie sich Hals über Kopf bei einem nächtlichen Ausflug ins Planetarium ineinander verlieben. Beide ziehen zusammen in Sebastians Wohnung. Ihre Beziehung wird jedoch durch berufliche Enttäuschungen und Kompromisse auf eine harte Probe gestellt.

Sebastian findet durch seinen High-School-Bekannten Keith Anschluss an eine Soul- und Jazzband namens The Messengers. Er ist zwar von deren Musik nicht vollumfänglich überzeugt und wegen Tourneen immer öfter von Mia getrennt, der Job als Keyboarder verschafft ihm aber finanzielle Sicherheit. Er plant deshalb, langfristig mit der Band zu touren, statt seinen Traum weiter zu verfolgen.

Mia kritisiert nach einem Konzertbesuch diese Einstellung. Nachdem die Rollenangebote weiterhin ausbleiben, arbeitet sie, angespornt durch Sebastian, an ihrer eigenen semi-autobiografischen One-Woman-Show „So Long, Boulder City“.

Sebastian verpasst aufgrund eines Fotoshootings mit der Band Mias One-Woman-Show im Theater …

Was zu sagen wäre

Das Kino findet immer einen Weg. Es ist der Ort, an dem wir unsere Träume ausleben können. Das Dunkel des Saals kontrastiert auf das Feinste mit dem Strahlen der Leinwand. Wenn dort zwei sich lieben, ist es das GANZ GROSSE GEFÜHL. Das Kino erzählt die immer gleiche Geschichte: Lebe Deinen Traum. Sei Du selbst. Das ganze Leben ist ein Tanz. Das Kino-Musical ist in Relation zum Kino das, was das Kino in Relation zum richtigen Leben ist. Und wenn in Los Angeles mal wieder alle Highways ineinander verstopft sind, ist das kein Grund, nervös zu werden. Dann steigen einfach alle aus und tanzen.

Plakatmotiv (US): La La LandMit so einer Highway-Szene beginnt Damien Chazelles Musical „La La Land“. Der ganze Stau, eine einzige Song-and-Dance-Brigade zwischen gleichförmigen Hybrid-Autos (mal abgesehen von dem einen Cabrio …). Gleich mit dieser Eingangszene, eine Art getanzter Titelvorspann, verschiebt Chazelle die Koordinaten seiner Welt gegenüber unserer. Sein Film ist Phantasie, badet in satten Farben – gehen vier Freundinnen miteinander aus, tragen sie ein blaues, ein rotes, ein gelbes und ein grünes Kleid; für Pastelltöne hat Chazelle keinen Platz. Dafür sind die Erinnerungen an seine ersten Schritte im Leben als Künstler noch zu frisch. Schon in seinem Langfilm-Debut Whiplash (2014), in dem sich ein talentierter Nachwuchsschlagzeuger die Finger blutig trommelt, untermalten harte Licht- und Farb-Kontraste die Schattenseiten der Kunst.

Jetzt erleben Emma Stone und Ryan Gosling das schwebende Gefühl der Liebe und landen, wenn die Musik ausklingt, wieder hart auf dem Boden – und keineswegs im Siebten Himmel, wo sie in Musicals sonst landen. Und wie in Whiplash sind es die Schauspieler allein, die uns einladen, mitzuleiden. Stone und Gosling, zwei der großen Namen im zeitgenössischen Kino. Sie hier auch tanzen und singen zu sehen, ist eine große Freude, weil einmal offensichtlich sein darf, was zeitgenössische Schauspieler sonst tunlichst zu verbergen trachten: eben, dass sie spielen. Das macht Spaß! Nur das macht Spaß. Der Tanz als solches zeigt Körperbeherrschung und Tanzschritt-Souveränität, leicht wirkt das nur, als Chazelle sein Liebespaar mal schwebend in einen Strernenhintergrund montiert.

Chazelles Versuch, die traditionellen Erzählweisen des Musicals entstauben zu wollen, ist aller Ehren wert. Er scheitert nicht daran, moderne Strömungen übersehen zu haben. Er scheitert, weil er das Genre nicht verstanden hat. Das Musical ist das Feel-Good-Genre. Toll, wenn da jemand frische Ideen durchbläst. Aber zu Lasten ausgerechnet des Romantischen? Wenn sich Prinzessin und Prinz nicht kriegen, mag das gesellschaftspolitisch oder sozial gesehen ja irgendwie real life sein, weil „so halt das Leben ist, weißte“. Für solche Form der Aufklärung ist das Musical die falsche Form.

Musical ist Fantasy. „La La Land“ offenbart die gesamte Tristesse des aktuellen Filmgeschäfts. Es zeigt nichts mehr. Es sagt nichts mehr. Er bildet ab. Er spielt im Heute, zeigt aber eine Welt aus dem Nostalgiekatalog. Alle haben Handys, aber die Herren gehen mit Anzug und Krawatte ins Kino. Jeder fährt so einen formlosen Hybridwagen, aber in den Filmstudios sieht es aus, wie in den 40er jahren des vergangenen Jahrhunderts, überall stehen noch die großen Scheinwerfer herum. Ständig sagt jemand im Film, der Jazz sterbe, werde zur Fahrstuhlmusik degradiert. Und dann gibt es im Film eine Kneipe, in der Sebastian Mia erklärt, was Jazz bedeutet.

Er erklärt das anhand einer Band, die auf der Bühne offenbar guten Jazz spielt. Man muss „offenbar“ schreiben, weil auch dieser Film das tut, was er beklagt: Er macht Jazz zur Hintergundbegleitung. Anstatt, dass wir den Musikern mal zwei drei Minuten zuhören – wir sitzen ja in einem Musical –  texten die Protagonisten die Musik mit ihren Erklärungen zu. Das offenbart ein seltsames Verständnis von Kino. Anstatt zu zeigen, was ist, lässt man Figuren darüber reden, was ist. So wird der Film mehr und mehr zur Attitüde seiner selbst. Ein buntes, gefälliges Produkt, das filmische Äquivalent zur Fahrstuhlmusik; unsere beiden amourösen Protagonisten sehen sich am Ende nur als entfernte Freunde in die Augen. Das funktioniert nicht. Der zuckersüße Fluchteffekt, für den das Musical steht, ist zu schnell verraucht. Ein Musical, das mich emotional schon am Kinoausgang verlässt, ist ein unsentimentales Musical – also ein Widerspruch in sich. Weder rettet es den Jazz, noch entwickelt es den Tanzfilm weiter.

Plakatmotiv: La La Land

Wir sehen Emma Stone als glücklose Schauspielerin (Irrational Man – 2015; Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) – 2014; Magic in the Moonlight – 2014; Gangster Squad – 2013; The Amazing Spider-Man – 2012; The Help – 2011; Crazy, Stupid, Love. – 2011; Freunde mit gewissen Vorzügen – 2011; Einfach zu haben – 2010; Zombieland – 2009), die von Casting zu Casting rennt und immer den Kürzeren zieht – „Da draußen sitzen 15 andere Mädchen, die alle genauso aussehen wie ich, nur hübscher!“ – was wirklich nur schwer zu glauben ist. Ich muss kein Schauspiel-Professor sein, um zu erkennen, dass das, was Mia da bei den verschiedenen Auditions vorspielt, perfekt passt in diese Soaps, für die sie sich da die Augen aus dem Kopf heult. Niemand, kein Casting-Profi, will erkennen, was Mia/Stone ihm da anbietet? Noch so ein Widerspruch. Über die Castingszenen verbreitet der Film das Gerücht, dass in der Filmbranche insgesamt eher unseriös gearbeitet wird: Natürlich ist es unglaubwürdig, dass niemand Mias Talent erkennt; andererseits begründet der Film das damit, dass die Castingleute (oder jemand beliebig anderer in der Filmbranche) überhaupt nicht aufpassen, nicht zugucken, also kurz: ihren Job nicht beherrschen (gleich der nächste Widerspruch).

Musik, Schauspieler, Bilder – vieles ist schön in diesem Film. Aber es verbindet sich nicht. Ryan Gosling spielt vor allem, wie er das Image von Ryan Gosling interpretiert (The Nice Guys – 2016; The Big Short – 2015; Only God Forgives – 2013; Gangster Squad – 2013; The Place Beyond the Pines – 2012; The Ides of March – Tage des Verrats – 2011; Crazy, Stupid, Love. – 2011; Drive – 2011; Blue Valentine – 2010; Lars und die Frauen – 2007; Mord nach Plan – 2002). Das ist unterhaltsam anzuschauen. Aber nichts Bedeutsames.

Die heimliche Heldin des Films ist die Kamera. Wie sie bei der eingangs erwähnten Highway-Szene für Leben sorgt, wie sie Standards setzt, das ist bemerkenswert. Kameramann Linus Sandgren lässt sein Arbeitsgerät schweben und kreiseln und macht es zum Tanzpartner für den Zuschauer. So kreiseln die Geschichten um die Menschen durch die Jahreszeiten und verheddern sich im profanen Realismus des Ich-muss-meinen-Lebensunterhalt-verdienen.

Für 14 Oscars ist der Film 2017 nominiert. Und das ist eine gewaltige Zahl. Sie relativiert sich etwas vor dem Hintergrund, das Filmemacher Musicals lieben, ist dieses Genre doch wie geschaffen, das Kino mit seinen Möglichkeiten zu feiern. Auch das Musical Chicago startete 2004 mit 13 Nominierungen (und erhielt am Ende sechs). Musicals sind die Sahne-Baisers des Lebens. „La La Land“ feiert das Leben als Abfolge von Pech und Versäumnissen. Dauernd geben unsere Protagonisten etwas auf, um weiterzukommen. Und als sie endlich (beruflich) oben sind, die Karriere geschafft, den Traum verwirklicht haben, erweist sich das Leben dort als die reine Spießerhölle, wie wir sie aus dem Kino der 1950er Jahre kennen.

Diese Melodie bringt mich nicht zum Tanzen.

Wertung: 4 von 8 €uro
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