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Plakatmotiv: Letters from Iwo Jima (2006)
Eastwood & Spielberg verschieben die
Perspektive der US-Kriegserzählung
Titel Letters from Iwo Jima
(Letters from Iwo Jima)
Drehbuch Iris Yamashita + Paul Haggis
nach dem Buch von Tadamichi Kuribayashi + Tsuyoko Yoshido
Regie Clint Eastwood, USA 2006
Darsteller Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya, Tsuyoshi Ihara, Ryo Kase, Shidô Nakamura, Hiroshi Watanabe, Takumi Bando, Yuki Matsuzaki, Takashi Yamaguchi, Eijiro Ozaki, Nae, Nobumasa Sakagami, Lucas Elliot Eberl, Sonny Saito, Steve Santa Sekiyoshi u.a.
Genre Krieg, Drama
Filmlänge 141 Minuten
Deutschlandstart
22. Februar 2007
Inhalt

Eigentlich ist das Ganze eine unmögliche, selbstmörderische Mission, und Kuribayashi weiß das selbst am besten, denn die Pazifikinsel Iwo Jima, im Grunde ein ziemlich trostloses Fleckchen Erde, soll gegen eine wahre amerikanische Übermacht, die zudem vom Kriegsmaterial her deutlich überlegen ist, verteidigt werden – koste es, was es wolle. Und es wird das Leben kosten, dessen sind sich auch die meisten japanischen Soldaten bewusst.

Trotzdem entwickelt Kuribabayshi einen leidenschaftlichen Ehrgeiz, lässt ein komplexes Tunnelsystem bauen und schwört seine Männer auf die Aufgabe ein. Unter ihnen befindet sich auch der junge Soldat Saigo, der seiner Frau und seinem ungeborenen Kind vor seiner Abreise versprochen hat, zu ihnen zurück zu kommen. In den authentischen Briefen, welche die Soldaten nach Hause zu ihren Familien schicken, offenbart sich die seelische Krise der dem Tode geweihten jungen Männer …

Was zu sagen wäre

Clint Eastwood erzählt die Schlacht um Iwo Jima gleich noch einmal, diesmal aus japanischer Perspektive. Dieser Film stellt ein Pendant zu seinem Film Flags of Our Fathers dar, in dem diese Schlacht aus Sicht der beteiligten US-amerikanischen Truppen geschildert wird.

Den berührensten Moment hat dieser Film mit dem Brief einer US-Mutter an ihren Sohn, also mit einem Letter to Iwo Jima. Dieser Sohn lag schwer verwundet als Gefangener bei den japanischen Soldaten, die sein Sterben nur pflegend begleiten, nicht verhindern konnten. Nach seinem Tod liest ein japanischer Offizier seinen Untergebenen den Brief vor, liebevolle Nachrichten aus der Heimat. Es geht um die Hunde, die Löcher unterm Zaun buddeln und Nachbars Hühner jagen; während der Offizier liest, mustert die Kamera die Gesichter der umstehenden Soldaten – die den GI in ihrer Verzweiflung über die aussichtslose Lage am liebsten gleich abgestochen hätten; jedes Gesicht sagt das Gleiche: Der Brief könnte so ähnlich von meiner Mutter stammen. Spätestens hier verwandelt sich Eastwoods Kriegsfilm in eine menschliche Tragödie.

Produced bei Clint Eastwood und Steven Spielberg“ heißt es im Abspann. Beim visuell brachialeren Flags of Our Fathers (ebenfalls unter Eastwoods Regie) stehen die Namen anders herum, wird Spielberg zuerst genannt. Es beschreibt ganz gut die unterschiedlichen Stile der beiden Ausnahmetalente Hollywoods. Ist „Flags …“ mehr das giftige Spektakel, das auf drei Zeitebenen eine komplexe Familiengeschichte mit einem knochentrockenen Kriegszynismus paart, man Spektakel-Spielberg und Knochentrocken-Clint gleichermaßen erkennt, ist „Letters …“ das Kammerspiel, das sich den Japanern mit Respekt nähert, ausleuchtet, unter welcher Verachtung der eigenen Führung hier tausende Männer in den unwürdigen Tod getrieben wurden. Suchte man unter beiden Filmen den einen Anti-Kriegsfilm, würde man ihn eher in „Letters …“ finden. Die gesellschaftlichen, politischen Hintergründe werden nicht in Tokios Kriegsministerium erzählt, diesmal gibt es keine anonymen Kriegsherren im Hintergrund, die im Prinzip nur Geld zählen.

Die Rückblenden, die Eastwood auch in diesen Film einbaut, gelten allein seinen Soldaten und ihren Familien. Das ist ein Bruch mit der bisherigen amerikanischen Kriegslyrik, die dem amerikanischen Bürger den Japaner als kalten, „Banzai“ schreienden Kriegsroboter verkauft hat. Eastwood erweckt die Erkenntnis, dass der Tod eines Gegners auch im Krieg einen Menschen auslöscht, eine Familie ins Unglück stürzt, eine Frau mit Kind daheim unversorgt zurücklässt. Die japanischen Familien haben dieselben Ängste, dieselben Lieben wie die Menschen im US-Multiplexkino. In diesem Kammerspiel, dessen Geschehen sich über weite Strecken in den Höhlen, in denen die Soldaten gekauert zusammenhocken und die Luftangriffe über sich ergehen lassen, ohne genau zu wissen, wie viele Gegner sie da draußen erwarten, bietet Eastwood mehr, als die mittlerweile bei allen angekommene Erkenntnis, dass Krieg inhuman, grausam und sinnlos ist. Er gibt den japanischen Soldaten Gesichter, Geschichten und Würde. In den Krieg ziehen wollen die japanischen Familienväter genauso wenig, wie die Männer jenseits des Pazifiks. Auch hier sind es die anonymen Herren in Tokio, die das befehlen – und so dämonisch sind, das wir sie nie zu Gesicht bekommen; General Kuribayashi ist der ranghöchste Entscheider, den wir erleben und er ist genauso tödlich betroffen von der Arroganz in Tokio wie seine einfachen Soldaten.

Der Tokioter Kriegsmaschinerie geht es nicht ums Geld. Tatsächlich ist es die Ehre, die sie antreibt – die Ehre des Kaisers, in dessen Namen die absurdesten Rituale aufgeführt werden. Bald nach Beginn des Films ist klar, dass Kuribayashis Soldaten keine Chance haben – zahlenmäßig unterlegen, keine Hoffnung auf Verstärkung, weil die Generäle in Tokio lieber verschwiegen haben, dass die Vereinigte Flotte, die für Iwo Jima eingeplant war, bei den Marianen vollständig vernichtet worden ist. Mit Unterstützung darf nicht gerechnet werden. Die Lebensmittelvorräte schwinden, Krankheiten greifen um sich. Dennoch bestehen die Offiziere der mittleren Führungsebene darauf, dass es selbstverständlich eine Ehre sei, für den Kaiser sein Leben zu lassen – als ein einfacher Soldat beim Ausheben von Schützengräben vor sich hin murmelnd die ganze Sinnlosigkeit dieses Manövers kritisiert, schlägt ein Hauptmann ihn halb tot. Für Kaiser, Vaterland und Volk sollen sie kämpfen und sterben, ähnlich wie der andere große Gegner der USA, die deutschen Soldaten für Führer, Volk und Vaterland.

Nachdem die japanische Rumpfmannschaft ihre Stellung auf dem Suribachi nicht mehr länger halten kann, begehen der Hauptmann und die meisten seiner Männer Selbstmord, indem sie sich mit Handgranaten in die Luft sprengen – gegen den ausdrücklichen Befehl Kuribayashis, sich durchzuschlagen und weiterzukämpfen. Da zeigt Eastwood die ganze Perversion der japanischen Kriegs-Ideologie, für die es wichtiger ist, für den Kaiser zu sterben als für ihn zu kämpfen – „Welcher Tod würde dem Kaiser besser dienen?“, fragt der verzweifelte General den ratlosen Hauptmann. Es gehört zu den bemerkenswerten Momenten in „Letters …“, zu beobachten, wie ein kulturelles Überlegenheitsgefühl – in der japanischen Kriegspropaganda galten die Amerikaner als primitive, dumme Wilde – zum Terrorinstrument gegen die eigenen Leute wird.

Es ist, das muss an dieser Stelle nochmal gesagt werden, zwar ein amerikanischer Film über die japanische Kriegsführung. Aber Eastwood macht keine Propaganda gegen Japan. Der Film bemüht sich um eine ausgewogene Perspektive. An einer Stelle greift er nochmal das Schicksal des US-Soldaten Iggy aus Flags of Our Fathers auf, den Doc Bradley zu Beginn dauernd ruft und schließlich tot in den unterirdischen Gängen findet. In „Flags …“ zeigt Eastwood nur Bradleys Gesicht, wir sehen nicht, was er sieht, haben nur Vorstellungen. In „Letters …“ nun sehen wir, wie Iggy zu Tode kam; keine schöne Szene, aber aus der Situation heraus nachvollziehbar – dennoch ein Kriegsverbrechen der japanischen Soldaten. Das aber will Eastwood nicht so allein stehen lassen. Später werden wir Zeuge, wie zwei US-Soldaten, genervt davon, auf zwei Gefangene aufpassen zu müssen, statt Krieg spielen zu können, diese beiden Gefangenen kaltblütig erschießen. Es geht Eastwood erkennbar nicht um propagandistisches Japanbashing.

Als der Film in Japan Premiere feierte, sagt er über die mehr als 20.000 japanischen Gefallenen (gegenüber 7.000 GIs) auf Iwo Jima, „Es wäre ein Verbrechen wenn Männer, die den höchsten Preis für ihr Vaterland entrichtet haben, vergessen würden.“ Eastwood hatte während der Dreharbeiten gelernt, dass nicht nur Ken Watanabe, der den General Kuribayashi spielt, sondern auch die anderen japanischen Schauspieler fast nichts über die Schlacht wussten. Die Historie der kaiserlichen Kriegspolitik zwischen 1931 und 1945, die von einem Herrenrasse-Wahn ähnlich dem in Deutschland getrieben wurde (alle Japaner stammen demnach von der Menschenrasse der Yamato ab, was für „Großer Frieden/Große Harmonie“ steht), wird an Japans Schulen offenbar nicht aufgearbeitet.

Ken Watanabe betont, der Amerikaner Eastwood habe den Japanern einen Film über die legendäre Vernichtungsschlacht geliefert, den sie nie zustande brachten. „Als japanischer Filmschaffender schäme ich mich auch etwas, dass niemand von uns sich früher dem Thema zugewandt hat.“ Damit wiederholt Eastwood zusammen mit Spielberg, was letzterer mit Schindlers Liste für dei Deutschen gewagt hatte, die es bis dato auch nicht fertig gebracht hatten, das Grauen der Nationalsozialisten in einen adäquaten Kinofilm zu packen.

Nach zwei Jahrzehnten, in denen amerikanische Fimemacher sich kritisch mit dem Krieg in Vietnam befasst und dabei hart mit ihrer Regierung, mit Washingtons Kriegspolitik ins Gericht gingen, findet das amerikanische Kino in den letzten Jahren wieder eine stärker patriotische Perspektive auf den Krieg. Die Krise, die der Vietnamkrieg in den USA auslöste, schien überwunden, in den Fokus rückten wieder vermehrt Filme über US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg, der zur Modellsituation stilisiert wird, um Opfer im Dienst der Freiheit zu rechtfertigen. Dieser Siegergeschichte setzt Eastwood mit seinem zweiteiligen Werk eine Vision entgegen, die die klassischen nationalen Erzählungen hinter sich lassen will.

Wertung: 6 von 7 €uro
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