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Plakatmotiv: Hereafter – Das Leben danach (2010)
Ein ganz und gar pragmatischer
Blick auf das Jenseits im Heute
Titel Hereafter – Das Leben danach
(Hereafter)
Drehbuch Peter Morgan
Regie Clint Eastwood, USA 2010
Darsteller Matt Damon, Cécile de France, Frankie McLaren, Bryce Dallas Howard, Jay Mohr, George McLaren, Lyndsey Marshal, Thierry Neuvic, Stéphane Freiss, Derek Jacobi u.a.
Genre Drama, Mystery
Filmlänge 129 Minuten
Deutschlandstart
27. Januar 2011
Inhalt

Die französische Journalistin Marie LeLay ist gerade im Urlaub in Thailand, als ein Tsunami auf die Küste zukommt. Sie wird von der Welle überrollt, ohnmächtig und ertrinkt. Allerdings hat sie das Glück, wiederbelebt zu werden und vom Jenseits ins Leben zurückzukehren.

In Amerika arbeitet George Lonegan als kleiner Arbeiter und versucht, so normal wie möglich zu leben. Was ihm allerdings dadurch erschwert wird, dass er die Gabe hat, mit Toten kommunizieren, ihre Schwingungen empfangen zu können, sobald er jemanden berührt, aus dessen Umfeld jemand Nahestehendes gestorben ist. Georges sehnlichster Wunsch ist es, eine normale Beziehung zu einer Frau zu haben und nicht mehr von anderen wegen seiner Gabe angesprochen und ausgenutzt zu werden.

In London werden die Zwillingsbrüder Marcus und Jason jäh auseinander gerissen, als einer von ihnen bei einem Autounfall ums Leben kommt. Der andere muss trotz des Verlustes und schwieriger familiärer Verhältnisse sein Leben weiter leben und wieder in den Griff bekommen.

Alle müssen ihrer Erfahrungen mit dem Thema „Tod“ verarbeiten und werden durch das Schicksal letztlich zusammengeführt …

Was zu sagen wäre

Clint Eastwood auf den Spuren Robert Altmans. Er erzählt drei Geschichten, die zunächst nichts miteinander zu tun haben – abgesehen von der unterschiedlich nahen Nähe zum Tod – und führt sie irgendwann logisch zusammen. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine radikale Abkehr des harten Rationalisten, erweist sich bei genauerer Betrachtung als andere Herangehensweise an ein Thema, das Eastwood schon häufiger umgetrieben hat und das er dann im Gewand des Westerns verkauft hat: das Leben nach, mit, rund um die Schwelle des Todes. Sein High Planes Drifter, sein Pale Rider waren letztlich Botschafter der anderen Seite, verkleidet als – um sie besser an der Kinokasse verkaufen zu können – Racheengel mit Cowboyhut und Staubmantel. Solche kommerzielle Kompromisse hat er nicht mehr nötig. Längst erwarten wir von ihm das Unerwartete. Das tut er mit „Hereafter“. Ein Film, der unterstreicht, dass nichts wichtiger ist, als die Geschichte, die erzählt wird. Heute fragt Eastwood direkt: Was macht das mit uns, wenn wir uns mit unserer Sterblichkeit auseinandersetzen müssen?

Was macht das mit mir, wenn mein Zwillingsbruder komplett sinnlos von einem Auto zerschmettert wird? Was macht das mit mir, wenn ich, so gut wie ertrunken, plötzlich … Silhouetten sehe, deutich jenseits, Gesichter, die mich nicht mehr loslassen? Was macht das mit mir, dass ich einen Menschen berühre und sein Leid lese?

Metaphysischer Quatsch, das? Falsche Frage!

Ein Künstler muss solchen Fragen nachstellen. Und wenn ein Mann vom Format Clint Eastwood das tut, dieses jeglichen esoterischen Schmus unverdächtigen Mannes, ist es wert, hinzuschauen. Obwohl Religion, obwohl die Kirche in den meisten seiner Filme eine irgendwie geartete Rolle spielen, verengt er sich nie auf einen Gott, nie auf die eine Religion – und die Bilder, die er uns hier aus diesem Jenseits liefert, haben nun so gar nichts fantastisches – obwohl Steven Spielberg als Executive Producer fungiert, da hat sich über die Jahre, spätestens seit Perfect World, eine professionelle Frendschaft entwickelt – nichts übernatürlich Schönes; die Bilder aus dem Jenseits sind unscharf, weiß mit grauen Gestalten, nunja: spärlich.

Aber der Einfluss des Jenseits auf das Diesseits, den gibt es. Er offenbart sich in einer Untergeschichte der Matt-Damon-Geschichte. Da trifft sein George Lonegan, das verzweifelte Medium, bei einen Kochkurs auf Melanie – neu in der Stadt, tapsig auf der Suche nach Anschluss, reizend – und weiß nach einer unachtsamen Berührung … zu viel. Er weiß, dass aus dieser Beziehung nichts mehr wird; nicht, weil sie kürzlich von ihrem Verlobten vor dem Traualtar stehen gelassen wurde, sondern weil das Jenseits ihm ihr wahres Trauma offenbart hat. Diese Szenen mit dem selbstlos unterspielenden Matt Damon (Invictus – 2009; Das Bourne Ultimatum – 2007; Departed – Unter Feinden – 2006; Ocean's Eleven – 2001; All die schönen Pferde – 2000; Die Legende von Bagger Vance – 2000; Good Will Hunting – 1997) und der hibbelig nervösen Bryce Dallas Howard (Terminator: Die Erlösung – 2009; Spider-Man 3 – 2007; The Village – Das Dorf – 2004) sind wunderschön gespielt – natürlich, unaufgeregt, aus dem Handgelenk. Das ist die Gabe, die Eastwood aus seiner grundsätzlichen Unaufgeregtheit kondensiert: Er kann Stoffe, die andere gnadenlos im Sumpf des Sentiments versenken, zu kleineren – oder auch größeren – Meisterwerken machen, The Bridges of Madison County etwa oder Million Dollar Baby.

Plakatmotiv (US): Hereafter – Das Leben danach (2010)Das ist das Schöne bei einem wie Eastwood. Er verarscht nicht. Sein Film hat keine im Kinosessel nachverfolgbare Struktur, dreiviertel des Films müssen wir einfach darauf vertrauen, dass er zu einem Ergebnis kommen wird; die Wartezeit füllt er mit guter Schauspielperformance, kleinen Nebendramen und schwebenden Bildern – in der Rückschau habe ich den Eindruck, die Kamera sei ununterbrochen in schwebender Balance gewesen, aber sicher gab es auch Stativaufnahmen. Eastwood kann sowas – den Eindruck erwecken, sein ganzer Film schwebe; bei Mystik River ist ihm das auch gelungen. Und so ist auch die Frage, was bleibt, bei Eastwood in guten Händen.

Streng filmwissenschaftlich muss man Eastwood ein zu wenig ausgearbeitetes Drehbuch und eine ungenügende Figurenentwicklung vorwerfen. Aber das ist die Theorie des Schreibens und Filmens. Und Eastwood geht noch einen Schritt weiter: Er ignoriert das Hollywood-Gesetz Beginne mit einem Erdbeben und steigere dann langsam das Tempo. Eastwood beginnt mit dem Tsunami in Thailand, und kühlt seinen Film dann konsequent runter auf die Körpertemperatur des Menschen. Er denkt Film praktisch (nicht theoretisch) aus dem Moment und das Bezaubernde ist: Am Ende löst sich tatsächlich alles ein. Aber ganz und gar nicht irgendwie staatstragend ernst oder die Menschheit verändernd unterdimensional. Nein, es renkt sich einfach ein und dabei zeigt sich ein Clint Eastwood, der im Tod lediglich die Abwesenheit des Lebens sieht, in dem die Menschen genauso albern lachen, zu viel oder zu schnell reden. Und manchmal in der Lage sind, die Lebenden zu schützen. Das alles erählt Eastwood ohne Mäzchen, er verliert sich nicht in Effekthascherei und lässt die drei unabhängigen geschichten duurch elegante Montage souverän aufeinander zu gleiten. Nebenbei zeigt er noch all die Scharlatanerie, die mit der Trauer und der Sehnsucht von Hinterbliebenen getrieben wird.

Die Motivation all der Geschichten ist die Suche nach Erlösung, ein Menschheitsthema – und zwar aus beiden Richtungen. Eastwood verbindet zwei Schlagzeilen-Ereignisse rund um den Tod miteinander: Im Tsunami kommt die Journalistin Marie beinah ums Leben, vor den Londoner U-Bahnanschlägen am 7. Juli 2005 rettet der bereits verstorbene Jason seinem jüngeren Zwillingsbruder Marcus das Leben. Die Suche nach Erlösung ist die wahre Triebfeder in den drei Erzählsträngen.

Wertung: 4 von 7 €uro
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