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Kinoplakat: Captain America – The First Avenger

Angenehm unprätentiöse, adäquate
Verfilmung einer schwierigen Comicfigur

Titel Captain America – The First Avenger
(Captain America – The First Avenger)
Drehbuch Christopher Markus + Stephen McFeely
nach den Comics von Joe Simon + Jack Kirby
Regie Joe Johnston, USA 2011
Darsteller

Chris Evans, Hayley Atwell, Sebastian Stan, Tommy Lee Jones, Hugo Weaving, Dominic Cooper, Richard Armitage, Stanley Tucci, Samuel L. Jackson, Toby Jones, Bruno Ricci, Neal McDonough, Derek Luke, Kenneth Choi, JJ Feild u.a.

Genre Comic-Verfilmung
Filmlänge 124 Minuten
Deutschlandstart
18. August 2011
Website marvel.com/captain_america
Inhalt

Mist! Da ist Zweiter Weltkrieg. Und Du darfst nicht hin. „Zu schwach“ sagen die Ärzte bei der Musterung. „Kränklich“, sagen sie. „Nicht wehrtauglich!“ Und mit geheuchelter Emphase schleudern sie Dir entgegen, sie würden mit der Ausmusterung Dein Leben retten. Aber Steve Rogers will un-be-dingt in diesen Krieg, findet es ungerecht, dass andere „für ihr Land ihr Leben riskieren“ und er das nicht darf. Als er sich zum fünften Mal, wieder unter falschem Namen, in eine Musterung schmuggelt und wieder durchfällt, wird Abraham Erskine auf den Schmächtling aufmerksam. Er rekrutiert ihn für ein geheimes Regierungsprogramm.

Erskine, ein aus Nazi-Deutschland geflohener Wissenschaftler, arbeitet an einem Programm, das Supersoldaten erschaffen soll. Einen Versuch hatte er schon, damals noch in Deutschland. Der ging grässlich schief: Das erste Versuchskaninchen, Johann Schmidt, ist ein hochintelligenter, bösartiger Mann, der heute die Geheimorganisation Hydra leitet, sich für einen Gott – mindestens aber für göttlich – hält und den Alliierten mit unglaublich fortschrittlicher Militärmaschinerie den Sieg streitig macht.

Erskines zweiter Versuch läuft besser. Aus dem schmächtigen Steve Rogers wird der muskelbepackte Unschuldskämpfer, der fortan als „Captain America” für die Heimat kämpft. Allerdings nicht in Übersee, sondern an der Heimatfront, zum Spendensammeln. Weitere Supersoldaten wird es indes wohl nicht mehr geben; ein deutscher Spion hat das Labor, unmittelbar nach Geburt unseres zukünftigen Helden, gesprengt – mitsamt allen Forschungsunterlagen und Dr. Erskine.

Steve Rogers aber schafft es doch noch an die Front. Hinter die Front sogar. Mithilfe seiner befreundeten Kameradin Peggy Carter befreit er seinen Kumpel aus Kindertagen und 399 weitere Kriegsgefangene der Nazis aus einer Festung und wird prompt von ganz USA als Held gefeiert. Captain America ist geboren.

Aber die Bedrohung ist nicht beseitigt. Johann Schmidt ist ja noch unterwegs, das erste Versuchskaninchen, bei dem der Versuch nicht so ganz glückte, weswegen Adolf Hitler seinen Superwissenschaftler als „Red Skull” verhöhnt. Hier stehen sich nun – Captain America vs. Red Skull – zwei gleichkräftige Supermenschen gegenüber; der eine hat sein Herz aus Brooklyn, der andere seine an Magie grenzende Wissenschaft. Für einen der beiden endet das Duell tödlich – gewissermaßen …

Was zu sagen wäre

Drahtseilakt gelungen, Heldenmovie erfolgreich gestartet. Die Gefahr war einigermaßen groß, dass dem durchschnittlichen Mitteleuropäer ein Star-spangled-Banner-schwingender Kampfmoral-ertüchtigende Sätze schmetternder US-Held entgegen tritt. Aber das MARVEL-Studio hat aufgepasst, dass mit Joe Johnston (Jurassic Park III – 2001; Jumanji – 1995; Rocketeer – 1991; Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft – 1989) einer auf dem Regiestuhl sitzt, der mit comicbunter Action umzugehen weiß und der dafür sorgt, dass mit einer der wichtigsten Figuren im MARVEL-Universum nichts Falsches geschieht. In den Comics hat sich der augenscheinlich regierungstragende Captain America immer auf die Seite der Freiheit gestellt, die – auch im Comic – nicht immer die Seite Washingtons ist. Zwischenzeitlich war er gar als "Americas Most Wanted" im Untergrund verschwunden.

Die Origin-Story eines Helden, der als Werbefigur startet

Soweit sind wir in diesem Film, der eine Origin-Story erzählt, noch nicht. Ursprünglich war Captain America kein Marvel-Held. Er trat in den 1940er Jahren in Comics als Held auf, der Adolf Hitler vermöbelt. Kaum war der Krieg vorbei, sanken die Auflagen und wurde die Heftchenserie schließlich eingestellt. Abgesehen von einigen Wiederbelebungsversuchen, die nicht fruchteten, holten die Erben des Comicverlages Timely, eben: MARVEL, Captain America erst für ihre Serie "The Avengers" wieder aus dem Eis, von wo er dann seine erfolgreiche Karriere startete, die ihn in Popularitätregionen schoss, in denen Helden wie Spider-Man oder Superman und Batman vom Konkurrenten DC-Comics leben.

Joe Johnston erzählt nun also erst einmal die Anfänge des Captain, die sich einigermaßen an das halten, was in den 1940er jähren schon erzählt wurde. Bis zu dem Punkt, an dem Steve Rogers nun der Supersoldat ist. In den damaligen Comics zog er gleich in den Krieg und füllte Heftchen um Heftchen mit erbaulichen Kriegsmärchen. Bei Joe Johnston wird Captain America zur Werbefigur. Der mit viel Geld von den brillantesten Köpfen des Landes erzeugte Supersoldat wird durchs Land geschickt, um für Kriegsanleihen zu werben., während drüben in Europa die GIs sterben, weil es schon mal einen Supersoldaten gab. Der entscheidende Mann ist ein aus Nazi-Deutschland geflüchteter Wissenschaftler, dessen erster Versuch ihm entglitt. Deshalb gibt es nun in Deutschland einen dämonisch verschlagenen Waffeningenieur, der sich durch das Supersoldaten-Serum in einen mächtigen, aber gruselig entstellten Super-Nazi, der Adolf Hitler über den Kopf wächst, verwandelt hat und die amerikanischen Soldaten auf deutschem Boden außer Gefecht setzt. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, entschließt sich die Marketingfigut "Captain America", den Krieg nicht mehr dadurch zu entscheiden, dass er Kriegsanleihen bewirbt, sondern dadurch, dass er selber ins Feld zieht. Und das tut er dann sehr ordentlich.

Bemühter Einbau einer Comic-Legende in eine aktuelle Kinoserie

Ab da verliert der Film an Charme, denn eigentlich gibt es nicht mehr richtig was zu erzählen. Jetzt muss der Captain nur noch mit S.H.I.E.L.D. in Verbindung gebracht werden – aber dann wäre der Film für einen abendfüllenden Spielfilm zu kurz. Also erleben wir in einem actionreichen Zusammenschnitt, wie Captain America und seine Truppe halb Nazi-Deutschland ausschaltet. Es kracht, es explodiert, es fliegt und prügelt, was das Zeug hält. Dramaturgie findet in diesen Szenen nicht statt; erst wieder, als sie in den Hauptkomplex der "Hydra" eindringen – so nennt sich im Film die wissenschaftliche Abteilung der Nazis. So nannte sich in den 1960er Jahren einer der großen Gegner in den Marvel-Comics um die "Ruhmreichen Rächer". Es ist also davon auszugehen, dass beide dasselbe in verschiedenen Epochen sind, eine Geheimorganisation, die Regierungen unterwandert und Staaten destabilisiert. Bei dem Sturm auf die Hydra-Zentrale findet der Film wieder zu seiner eigentlichen Geschichte und zu einem dramatischen Ende.

Ein gutes Summer-Movie ist "Captain America" geworden, allerdings mit Abstrichen durch Geschichtsklitterung: Dr. Erskine erzählt seinem schmächtigen Probanden, wie das damals war in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg. Sie waren halt ausgelaugt und frustriert wegen der Verluste, keiner mochte sie und da kamen dann halt die Nazis mit ihrem schneidigen Stechschritt. „Das fanden wir großartig. Das baute uns auf!“ Ah ... so unschuldig einfach war das also damals in dem Land, das für Hollywood heute einer der wichtigsten Absatzmärkte ist.

Ein spaßbefreiter Held

Okay, das ist nicht wirklich entscheidend für den Film. Trotzdem gruselt es mich bei dem Gedanken, dass die Hauptzielgruppe (12 - 16-Jährige) mit diesem Eigentlich-war-ja-immer-alles-okay-es-kam-dann-nur-leider-irgendwas-kurz-mal-dazwischen-Bild aufwachsen und dann eines Tages ganz verwundert sind, dass das doch ganz anders war drüben in Good old Germany. Ich habe immer noch die US-Schauspielerin Melanie Griffith (Cherry 2000 – 1987) im Ohr, die 1992 in Berlin den Nazi-Thriller "Wie ein Licht in dunkler Nacht" ("Shining through", Regie: David Seltzer) an der Seite von Michael Douglas drehte und, vor Ort mit der deutschen Historie konfrontiert, erschrocken ausrief „Sechs Millionen Juden??? Das ist aber eine ganze Menge!!“ Man könnte, nachdem man Captain America gesehen hat, ergänzen: „Die Deutschen müssen aber wirklich ganz schön frustriert gewesen sein!

Davon abgesehen stimmt alles: Tommy Lee Jones durfte sich seine Dialoge offenbar selber schreiben (Company Men – 2010; Im Tal von Elah – 2007; "No Country for Old Men" – 2007; Robert Altman's Last Radio Show – 2006; Space Cowboys – 2000; Rules – Sekunden der Entscheidung – 2000; Doppelmord – 1999; Auf der Jagd – 1998; Men in Black – 1997; Volcano – 1997; Batman Forever – 1995; Natural Born Killers – 1994; Der Klient – 1994; Zwischen Himmel und Hölle – 1993; Auf der Flucht – 1993; Alarmstufe: Rot – 1992; JFK – Tatort Dallas – 1991; Airborne – 1990; "Die Augen der Laura Mars" – 1978) und liefert ein Best of seiner Sentenzen und Szenen aus seinen Filmen. Er ist für die Ironie und den flotten Spruch verantwortlich, auf den so ein Summer-Movie nicht verzichten kann; denn wenn Captain America etwas überhaupt nicht hat, nie hatte und auch nicht mehr bekommen wird, so ist das distanzierender Witz. Steve Rogers leidet an der Welt und dem Bösen an sich. Immer schon. Er kann sich ja nicht mal ordentlich betrinken. Der neue Stoffwechsel des Supersoldaten in weiß-blau-rot verhindert den ordentlichen Rausch.

Zielgruppe "Jungs" bekommt den Helden-Kuss serviert

Und, wichtig für die Zielgruppe "Jungs": Zum Ende des Films, in der abwegigsten Situation – Helden jagen im Auto einem startenden Flugzeug nach, das Captain America vom Beifahrersitz aus erklimmen muss, während die messerscharfen Rotoren bedrohlich nahe kommen – gibt es den ersten Kuss der Angebeteten, die ihren Helden mit wässrig-himmelnden Augen durchdringend ansieht und dann sagt „Hol sie Dir!“ Hui … Jungs-Kino! Mädchen bekommen dafür – sehr früh schon im Film – Chris Evans' unwirklichen Muskelbody in Nacktaufnahme. Für etwaige weitere Film-Abenteuer der Fantastic Four, bei denen Evans die draufgängerische Fackel gab, steht er wohl nicht mehr zur Verfügung.

Kaum Zeit nimmt sich Joe Johnstons Film für die Mitstreiter des Captains um Sergeant Timothy "Dum Dum“ Dugan. Steve Rogers befreit sie aus Nazi-Gefangenschaft, ab da sind sie seinen treuen Kämpen, aber außer dass "Dum Dum" seine emblematische Melone trägt, bleiben die einzelnen Figuren ohne Konturen, was insofern bedauerlich ist, weil eine Origin-Story um Captain America mit diesen Figuren einen veritablen Kommandofilm à la The Guns of Navarone abgegeben hätte. Aber es geht eben nicht um des Captains Truppe, mit der er im Zweiten Weltkrieg kämpfte.

Es geht um Figuren mit Bezug zum Heute – Howard Stark, der den berühmten Schild für Captain America entwirft (und Vater von Tony "Iron Man" Stark ist), um Peggy Carter, die über die Jahrzehnte die dramatische, weil unerreichbare Liebe Steve Rogers' sein wird. Mehr als in den bisherigen Marvel-Filmen (Iron Man, Hulk, Thor) geht es darum, Captain America aus einem früheren Jahrzehnt in Marvels heutiges Großes Ganzes einzupflegen. Er ist eine der zentralen Figuren aus dem Superhelden-Kosmos der Comicfirma MARVEL. Mit Joe Johnstons "Captain America" sind nun die Präluminarien abgeschlossen. Als nächstes sollen im kommenden Jahr The Avengers die Leinwand rocken. Hier treten zum ersten mal alle bisher eingeführte Helden in einem Film unter der Führung von S.H.I.E.L.D. zusammen auf; die "Ruhmreichen Rächer" bilden die zentrale Superhelden-Combo des Marvel-Kosmos' und sind Heimat der Mächtigsten der Mächtigen.

Wertung: 6 von 8 €uro
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