Der Mond Pandora. Mögliche Zufluchtsstätte der Menschheit. Dereinst. Noch lebt sie auf einer Erde, die aber, so ist zu hören, bald unbewohnbar sein wird.
Noch ist Pandora ein unzumutbarer Planet. Eine giftige Atmosphäre, unfreundlich gesonnene, drei Meter große Eingeborene – das Volk der Na'vi – und ein wertvoller Rohstoff: Unobtainium. Deswegen sind die Menschen trotzdem hier. Wissenschaftler, Bohrer. Und Soldaten. Die Abbau-Gesellschaft von der Erde hat sich zum Schutz ihrer Schürfrechte (die sie gar nicht haben) eine private Armee mitgebracht.
Eher zufällig hierhin hat es Jake Sully verschlagen. Der Marine sitzt im Rollstuhl und soll auf Pandora am "Avatar"-Programm teilnehmen. Das sollte eigentliche Jakes Zwillingsbruder machen, aber der ist gerade ums Leben gekommen. Zwillingsbruder Jake, der über dieselbe DNA verfügt, kommt da wie gerufen, zumal er seine Beine bei diesem Einsatz nicht braucht – er wird andere haben. Das Avatar-Programm besteht in erster Linie aus einem künstlich gezeugten Na'vi, exakter: Aus einem aus Menschen-DNS und Na'vi-DNS geklonten Körper, der aussieht, wie der eines Na'vi, aber gelenkt wird von seinem Wirt – in diesem Fall von Jake. Jake wird in einen trance-ähnlichen Zustand versetzt, wenn der den Hybriden … den Avatar bewegt.
Sein militärischer Vorgesetzter, Colonel Miles Quaritch, erwartet von Sully, die Na'vi zu infiltrieren, etwaige Geheimnisse zu finden und vor allem die Na'vi zum Umzug zu bewegen. Unter dem Dorf der Einwohner, einem mehrere hundert Meter hohen Baum, wird das größte Vorkommen von Unobtainium des ganzen Mondes vermutet, jenem wertvollen Mineral.
Seine wissenschaftliche Vorgesetzte, Grace Augustine, interessiert sich ausschließlich für das Leben der Na'vi. Sie erwartet von Sully detaillierte Berichte über den Zusammenhalt des Volkes. Mit seinem Einsatz wollen die Wissenschaftler versuchen, eine "Brücke des Vertrauens" zu den Na’vi aufzubauen. Sie sind der Meinung, dass man dieses Ziel eher erreicht, wenn die von Menschen gesteuerten Avatare sich im Äußeren den Na’vi anpassen.
Sully taucht ein in eine fremde Welt, in der er keine zehn Minuten überleben würde, hätte er nicht einen Schutzengel: die Na'vi-Kriegerin Neytiri …
Hurra! Ich habe verstanden, warum es 3D im Kino gibt. In diesem großartigen Film von James Cameron sehe ich zum ersten Mal 3D-Bilder, die mehr sind, als einfach ein lustiger Effekt. Cameron (Titanic 1997; True Lies – 1994; Terminator 2: Tag der Abrechnung – 1991; The Abyss – 1989; Aliens – Die Rückkehr – 1986; Terminator – 1984; Piranhas II – Fliegende Killer – 1981) komponiert Bilder mit Tiefe; ob das der Mond Pandora mit seinem üppigen Planzenwuchs, der heranrauschenden Fauna oder den schwebenden Bergen ist, oder die Station Hell's Gate mit ihren Gängen und Ebenen, auf der die Menschen ein Leben in tristem Panzergrau leben.
James Cameron und die Härte der Frauen
"Avatar" ist klassisches James-Cameron-Kino. Mit Neytiri, Grace und der Pilotin Trudy präsentiert er gleich drei seiner Amazonen-Charaktere, die in früheren Filmen Sarah Connor, Helen Taster, Lindsey Brigman oder Ellen Ripley hießen. Seine Militärs sind gewohnt metallisch-krachend und einsilbig („… konzentriert Euch in der Schlacht, ich will zum Abendessen zu Hause sein!“). Die Machart – wie immer – großartig. Cameron setzt mit "Avatar" einen neuen Maßstab in der Kinotechnik, er versöhnt die Trickfilmer der abendfüllenden Comicals (die Pixarfilme sind ein Beispiel, ein anderes Filme wie Shrek oder Madagascar) mit denen von Transformers oder Star Wars I – Eine dunkle Bedrohung. Jetzt kann der Computer auch ernste Fantasy-Wesen mit perfekt plastischer Mimik zeigen; ob das ein Fluch ist oder Segen, der Untergang des Schauspieler-Kinos oder eine neue Ebene der Spielkunst, werden wir erfahren. Cameron missbraucht diese Technik (die er selbst mit erschaffen hat) nicht, er nutzt sie, um dem Zuschauer seine sehr spezielle Vision zu zeigen.
Dabei zieht er seine Cameronesken zu Hilfe, wo er kann: Wieder agieren die Frauen im Ernstfall konsequenter als die Männer neben ihnen – und wieder spielt Sigourney Weaver diese Frau (The Village – 2004; Heartbreakers – 2001; Cuba libre – 2000; Galaxy Quest – 1999; Alien – Die Wiedergeburt – 1997; Der Eissturm – 1997; Copykill – 1995; Der Tod und das Mädchen – 1994; Dave – 1993; 1492 – Die Eroberung des Paradieses – 1992; Alien 3 – 1992; Ghostbusters II – 1989; Die Waffen der Frauen – 1988; Gorillas im Nebel – 1988; Ghostbusters – 1984; "Ein Jahr in der Hölle" – 1982; Alien – 1979; Der Stadtneurotiker – 1977). Wieder ist alles Militärische von Übel, getrieben von der Habgier eines seelenlosen Konzerns, der hier RDA (Resource Development Agency) heißt. Und – schon im Titel – Camerons Hybriden sind dabei; was früher eine Maschine war, die Mensch sein sollte, ein Alien war und gleichzeitig liebende Mutter, ein Mann, der geheimer Geheimagent und langweiliger Ehemann zugleich war, ist hier der Avatar – der Hybride aus Na'vi- und Mensch-DNS. Damit liefert Cameron uns eine ansprechende Allegorie auf Aggression, Bush-Regierung und geldgierige Banker in hinreißenden Bildern.
Eines der schönsten: In einem kurzen Schwenk sehen wir Neytiri und Jake, die nach einem gemeinsamen Flug durch die Berge von Pandora über das richtige Windsurfen fachsimpeln – darüber, ob der Wind besser von rechts oder besser von links genommen werden solle. Das Bild macht augenscheinlich lediglich deutlich, dass die beiden mehr miteinander haben, als den verliebten Blick ins Katzenauge. Es zeigt die Verbundenheit der beiden zueinander, es zeigt, wie tief Sully längst eingedrungen ist in Leben und Philosophie der Na'vi. Das Bild signalisiert: Angekommen, zuhause!
Poser im Pixelpark
Zwölf Jahren nach Titanic lässt der Regisseur die Versuche jüngerer SFX-, Science-Fiction und Fantasy-Versuche im Kino aussehen, wie von früher. Emmerichs 2012: War da was? Terminator – Erlösung: Action in tristem Endzeit-Grau. Harry Potter VI? Zauberstabgefuchtel und schwebend pubertierende Teenager. Cameron ist der Poser im Pixelpark, der Halbstarke, der als „King of the world“ ins Rampenlicht tritt, mit dem erfolgreichsten Film aller Zeiten im Rücken und dem (wie immer) teuersten Film aller Zeiten in der Hand, und die Latte um, naja, einen halben Meter höher legt. In Camerons Alien-Welt dampft es. Die Luft vibriert. Jedes Augenzwinkern tut Dir leid, weil Du Bilder dieses seltsamen Mondes Pandora verpassen wirst, an dessen realer Existenz Du übrigens kaum einen Moment zweifelst – die Bilder beweisen ja seine Existenz. Die Cameron-Perfektion kommt so selbstverständlich daher, dass man sie als arrogant missverstehen könnte.
Dafür lässt er uns einen Blick in seine Sehnsucht werfen. Ein vernetzter Kosmos: Flora, Fauna, Na'vi kommunizieren über ihre Haarspitzen – über zarte Fühler in diesen – miteinander. Der erfolgreiche Jäger trauert um den Tod der Beute. Alles hängt mit allem zusammen. Der Drachenvogel, der Dich töten will ist der Drachenvogel, der Dich zum Ritt einlädt. Im Wilden, Urtümlichen, im Natürlichen liegt die wahre Kraft. Camerons Paradies ist so schön, dass nur der Computer Bilder davon produzieren kann. Man kann ihm Naivität unterstellen. Abgehoben auf seinem Thron. Interessiert sich nicht mehr für die Welt, aus der er kommt. Wird Cameron, dem Poser, aber egal sein.
Eine wertvolle Vision
Genau genommen hat er sich für die reale Welt in seinen anderen Filmen auch nicht interessiert. Er hat seine Vision vorgelegt. Der Zuschauer wird entscheiden, ob sie massentauglich ist oder nicht. Eines ist Camerons Avatar-Vision aber bestimmt: Wertvoll!
P.S.: Am 2. September 2010, 9 Monate nach dem ersten Filmstart, kam Avatar zurück in die Kinos mit den schon erwarteten „acht Minuten bisher nie zu sehenden Bildern“ aus dem Film. James Cameron hat schon bei Aliens, Terminator 2 oder zu The Abyss später seinen Director's Cuts nachgelegt. Die waren in jedem Fall so, dass sie den Film voranbrachten, seinen Sinn überhaupt erst erfassen ließen oder Charaktere tiefer beleuchteten. Das alles ist bei "Avatar" nicht der Fall. Es sind ein paar imposante Jagd-Szenen dazu gekommen, Jake und Neytiri kommen sich unter dem Baum der Eywa nun deutlich näher und zu Beginn wird die ehemalige Schule eingeführt, in der Menschen die Na'vi unterrichtet haben. Aber diese Szene wirft nun prompt eher neue Fragen auf, die dann unbefriedigend beantwortet werden.
P.P.S.: Kurz vor Weihnachten 2010 kam dann – als "Extended Collector's Cut" – eine nochmal acht Minuten längere Version auf DVD und Blu-ray, die dem Ursprungsfilm – jetzt "Original Kinofassung 2009" – noch eine Art Prolog spendierte, der sich auf der Erde in einer futuristischen Stadt abspielt. Wir treffen Jake Sully im Rollstuhl beim Überqueren einer Straße auf dem Weg in eine Kneipe, wo er sich dann für eine Frau prügeln wird, die von ein paar Trinkern angepöbelt wird. Anschließend kommen die Herren vom Avatar-Programm, die ihn über den Tod seines Zwillingsbruders informieren. Damit werden wir etwas früher mit dem Sturkopf-Charakter vertraut gemacht. Das ist aber auch alles. Dem Gesamtfilm ist dieser Einstieg eher abträglich.
Die "Original Kinofassung" liefert schon den bestmöglichen Einstieg – knapp, präzise und ein atemberaubendes Erstes Bild! Der Tropfen über den sich öffnenden Augen und dann dieser irre Tiefkühlschlafraum ist ein Aha-Erlebnis. Dagegen ist die angebotene Alternative mit dem Rollstuhlfahrer auf regennasser düsterer Großstadtstraße aus dem "Extended Collector's Cut" vergleichsweise beliebig. Die Stadt sieht aus, wie das Los Angeles aus Blade Runner, den Ridley Scott allerdings schon 1982 gedreht hat – die Bilder transportieren also weder neue Ideen, noch relevante Informationen. Für Camerons 3D-Überlegungen, die er mit der "Original Kinofassung" transportiert, hätte die Stadt nicht funktioniert.
Interessant hingegen, was die Deleted Scenes noch offenbaren. Hier gibt es noch einen Handlungsstrang, der eine Liebesgeschichte zwischen Hubschrauberpilotin Trudy und Avatar-Kamerad Norm erzählt. Das bringt der Filmstory nicht zwangsläufig weitere Impulse, bettet aber Trudy und ihren Tod emotionaler in das Drama ein. In den drei nun offiziellen Versionen taucht sie halt auf, ist da und stirbt – eine Rolle ohne Anfang und ohne Bogen. Das ist die klassische Rolle für ein junges Starlet: Die sexy Pilotin im Schiesser Feinripp.
Was Michelle Rodriguez, die über das Starlet-Dasein lange hinaus ist, in der Rolle soll, war mir nicht so klar. Bis zu den Deleted Scenes: Sie sollte den Drama-Faktor erhöhen und wurde der günstigeren Filmlänge geopfert.
Die Avatar-Filme im Kino
- Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009)
- Avatar – The Way of Water (2022)
- Avatar 3
- Avatar 4
- Avatar 5