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Plakatmotiv: Marnie

Ein missglückter Versuch, alte
Herrlichkeit zu konservieren

Titel Marnie
(Marnie)
Drehbuch Jay Presson Allen
nach dem gleichnamigen Roman von Winston Graham
Regie Alfred Hitchcock, USA 1964
Darsteller
Tippi Hedren, Sean Connery, Martin Gabel, Louise Latham, Diane Baker, Alan Napier, Bob Sweeney, Milton Selzer, Henry Beckman, Edith Evanson, Mariette Hartley, Bruce Dern, S. John Launer, Meg Wyllie u.a.
Genre Drama
Filmlänge 130 Minuten
Deutschlandstart
17. Dezember 1964
Inhalt

Die Kleptomanin Marnie Edgar hat als Sekretärin ihrem Chef, dem Steueranwalt Sidney Strutt, fast 10.000 US-Dollar gestohlen. Sie flüchtet vom Ort des Geschehens und besucht zunächst ihr geliebtes Pferd Forio auf einer Ranch in Virginia, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Mutter Bernice nach Baltimore macht. Obwohl Marnie ihre gehbehinderte Mutter mit Geld unterstützt und mit Geschenken überhäuft, verhält sich die Mutter distanziert gegenüber ihrer Tochter und scheint selbst ein Nachbarsmädchen lieber zu mögen als sie.

Um einen neuen Diebstahl begehen zu können, bewirbt Marnie sich bei dem Verlag des wohlhabenden Witwers Mark Rutland um eine Stellung als Sekretärin. Mark Rutland ist Marnie bereits zuvor bei Strutt begegnet und vermutet schon, dass sie eine Diebin ist. Dennoch fühlt er sich zu ihr hingezogen, was jedoch zu Problemen führt, da die gutaussehende Marnie panische Angst vor Männern hat.

Plakatmotiv (US): MarnieNachdem Marnie auch in Rutlands Verlag Geld gestohlen hat, wird sie von ihm mit Beweisen überführt. Anstatt sie aber der Polizei zu übergeben, will Rutland die Hintergründe ihrer Tat herausfinden und zwingt sie zur Heirat …

Was zu sagen wäre

Nach 100 Minuten, auf einem großen Empfang der Rutlands, kommt dann doch der Hitchcocksche Suspense ins spiel. Bis dahin ist „Marnie“ ein – unter dieser Regie – verstörend langweiliger Film. Da ist also diese blonde, graziöse Frau, deren Charme auf Kühlschranktemperatur (innen) balanciert, die Geschäftsleute beklaut. So ähnlich kennen wir das noch aus Psycho – aber Janet Leigh war nicht nur sympathischer, sie war auch nach vierzig Minuten tot.

Marnie lebt weiter, besucht ihre Mutter, wo sie weinen und fragen darf „Warum liebst Du mich nicht, Mama?“ Diese Mutter reiht sich ein in eine mittlerweile bemerkenswerte Sammlung Hitchcockscher Monster, die ihr Mutter-sein durch Boshaftigkeit und besondere Gefühlskälte unter Beweis stellen – „Eine anständige Frau braucht keinen Mann.“ Marnies Mutter darf ihre blonde Tochter ermahnen: „Zu blonde Haare wirken so, als würde eine Frau die Männer anlocken wollen. Männer und ein guter Ruf sind nicht vereinbar.“ Logisch: Die arme Marnie kann gar nicht anders als verkorkst sein, da soll man ihr ihre Diebstähle nicht so übel nehmen, zual doch die geilen Männer, die sie beklaut hat, selbst schuld sind. einer beklagt gt sich und beschreibt dabei. das Horrorwesen Blonde Frau, dem Hitchcock ein Denkmal nach dem anderen setzt, so: „Ich wusste, sie war zu gut um wahr zu sein. Sie wollte immer Überstunden machen, nie unterlief ihr ein Fehler. Stets zog sie ihren Rock übers Knie, als wären ihre Knie Staatseigentum. Sie wirkte so reizend, so fleißig.“ Merke: Frauen, die so sind, wie Du sie Dir erträumst, sind gefährlich.

Diese Marnie hat zusätzlich noch ein Problem mit der Farbe Rot, das aber keine weiteren Auswirkungen zu haben scheint. Am Ende dieser langen 130 Minuten geht das Problem auf ein Kindheitstrauma zurück, das sich endlich aufklärt und Marnie mit ihrem reichen, aber farblosen Ehemann ein glückliches Weiterleben ermöglichen mag. Mit der Rot-Aversion kramt Hitchcock alte Versatzstücke aus Spellbound – Ich kämpfe um Dich aus der Schublade, verzichtet aber auf Bilder des Surrealisten Salvador Dali und lässt statt dessen Marnie angesichts eines roten Flecks kurz in Schockstarre verfallen. Diese Schwächen helfen nicht: Tippi Hedren bleibt eine kühle Erscheinung ohne Empathie. Ihr männlicher Widerpart auch. Sean Connery (Die Strohpuppe – 1964; Der längste Tag – 1962), der im aktuellen Kino vor allem Schlagzeilen als viriler Superagent im Dienste Ihrer Majestät macht, zeigt hier, dass er für mehr als Action nicht einsetzbar ist. In James Bond geht es mehr ums Darstellen einer Figur, was der ehemalige Bodybuilder wohl beherrschen sollte. Für die Zwischentöne einer Mark-Rutland-Rolle aber fehlt Connery die Erfahrung. Das ist bei Hitchcock selten ein Problem, solange er Schauspieler mit Ausstrahlung hat, die seine Figuren personifizieren können.

Hitchcock braucht Funktionsfiguren-Erfüller mit Charisma. Die hat er mit Sean Connery, der als Agent Ihrer Majestät schon kaum mehr macht, als charmant-diabolisch zu grinsen, bevor eine Frau flachlegt, nicht. Connery und Hedren können aus den einsilbigen Figuren kein Fleisch machen. Es stehen sich also im Zentrum dieses Films zwei Figuren gegenüber, die dem Zuschauer egal bleiben. Selbst, als Rutland seine Frau vergewaltigt und Hitchcock dafür jene Kameraeinstellungen wählt, die er in Psycho beim Mord an Martin Balsam einsetzte, lässt uns das kalt. Script-Autorin Jay Presson Allen sprach später von „der Szene, deretwegen Hitchcock diesen Film machen wollte“ … angeblich habe er darauf vertraut, dass Stars deswegen Stars seien, weil man „ihnen sowas eben verzeiht“.

Es gibt auch in „Marnie“ beeindruckende Aufnahmen und Montagen, Hitchcock hat ja nicht über Nacht sein Handwerk verlernt. Als Marnie, die ihren Lebensunterhalt nun mal über das Bestehlen anderer Menschen bestreitet, im Pelzmantel einen Tresor leer räumt, wischt im selben Bild eine verhärmte alte Frau den Boden, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein Bild mit hoher Suggestivkraft. Aber Hitchcocks Hang zur Rückpro, bei der zum Beispiel Tippi Hedren vor einer wackelnden Leinwand sanft auf – angeblich – einem galloppierenden Pferd dahingleitet, wirkt ähnlich schlicht, wie ein Hintergundbild, auf dem ein im Hafen ankerndes Schiff erkennbar gemalt ist. Da ist das aktuelle Kino mittlerweile weiter, auch was die Rückpro-Technik angeht.

Ab der erwähnten 100. Minuten kommt dann doch noch ein wenig Spannung auf, als der Mann, den die dunkelhaarige Tippi Hedren beklaut hat, auf dem Empfang der blonden Tippi Hedren gegenübersteht – „I think, we met bevor“ – und Marks Schwägerin Lil dazu süffisant lächelt. Diane Baker spielt diese Lil Mainwaring als boshaft guten Hingucker.

Als Hitchcock mit dem Film in die Planung ging, da hatte er für die Titelrolle der Kleptomanin die feste Zusage der monegassischen Fürstin Grazia Patricia, mit der Hitchcock drei seiner größten Erfolge gedreht hat (als sie noch Grace Kelly hieß). In letzter Minute zog Kelly ihre Zusage zurück, Fürst Rainier hatte heimische Pflichten angemahnt und Kelly erklärte: „Die Familie geht vor“. So kam Tippi Hedren ins Spiel, die Hitchcock für Die Vögel aus TV-Werbespots losgeeist hatte. Hedrens limitierte Fähigkeit zum Schauspiel sowie sexistische Irritationen hinter den Kulissen – so man Donald Spotos Biographie über Alfred Hitchcock (s.u.) glaubt – haben dem Film geschadet.

Wertung: 3 von 7 D-Mark
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