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Plakatmotiv: 4 im roten Kreis (1970)

Kalte Männer in kalter
Landschaft kalt inszeniert

Titel 4 im roten Kreis
(Le cercle rouge)
Drehbuch Jean-Pierre Melville
Regie Jean-Pierre Melville, Frankreich, Italien 1970
Darsteller
Alain Delon, André Bourvil, Gian Maria Volonté, Yves Montand, Paul Crauchet, Paul Amiot, Pierre Collet, André Ekyan, Jean-Pierre Posier, François Périer, Yves Arcanel, René Berthier, Jean-Marc Boris, Jean Champion, Yvan Chiffre u.a.
Genre Crime, Drama
Filmlänge 140 Minuten
Deutschlandstart
16. September 1971
Inhalt

Kurz vor seiner Entlassung nach fünfjähriger Haft kommt ein Gefängniswärter zu Corey in die Zelle und gibt ihm einen Tipp für einen besonders lukrativen Einbruch: Plakatmotiv: 4 im roten Kreis (1970)Den Einbruch bei einem Pariser Nobeljuwelier, dessen scheinbar perfektes Sicherheitssystem er ebenso zu kennen vorgibt wie die einzige Lücke darin.

Etwa zur gleichen Zeit gelingt es dem Gangster Vogel, seinem Verfolger Kommissar Mattei zu entkommen. Durch einen Zufall treffen er und Corey, frisch entlassen, aufeinander. Für den Einbruch brauchen sie noch einen Scharfschützen. Ihre Wahl fällt auf den Ex-Polizisten Jansen, der den Job als Chance begreift, von seiner Alkoholsucht wegzukommen.

Parallel zur Vorbereitung ihres Coups läuft die Verfolgung von Vogel unter Leitung von Kommissar Mattei. Routinearbeit führt ihn unter anderem zu Vogels Ex-Kumpan Santi, womit er auf der richtigen Fährte ist, denn Corey und Jansen nutzen dessen Nachtlokal als Treff …

Was zu sagen wäre

Ein Männerfilm. Frauen tauchen nicht nur nicht auf. Die Machart ist so, wie Kerle sind – wortkarg. Der Einbruch in das Juweliergeschäft dauert etwa 40 Filmminuten. Es wird nicht gesprochen, es gibt keine Musik um die Spannung zu halten, die ist einfach so schon da. Schließlich geht es ja um einen Einbruch und die Frage, ob die das schaffen. Diese Szene ist ein Meisterstück. Hier zeigt ein Filmemacher großes Vertrauen in sein Können, in die Schauspieler und die Zuschauer. Die Zuschauer danken es mit Aufmerksamkeit.

Siddharta Gautama,/ der Buddha,// zeichnete mit roter Kreide/ einen Kreis und sagte:/ Wenn es vorherbestimmt ist,/ dass Menschen einander/ wiedersehen sollen,/ was auch immer ihnen geschieht,/ auf welchen Wegen sie auch wandeln,/ am gegebenen Tag werden sie einander/ unvermeidlich im roten Kreis begegnen.// Rama Krischna – diese Geschichte gibt Jean-Pierre Melville seinem Film vorweg, der dann eher einer Meditation gleicht. Melville und Alain Delon haben drei Jahre zuvor schon in Der Eiskalte Engel (Le Samourai) ausprobiert, mit wie wenig Dialog ein Film auskommen kann und festgestellt: mit sehr wenig. In formal strengen Bildern erzählt Melville vom Verhängnis des eigenen Schicksals, dem der Mensch nicht entkommt. Am Beginn der Schicksalskette steht der Juwelenraub, aus dem Melville einen perfekten Film noir aufblättert, mit existenziellen Fragen und einer fatalistischen Botschaft in kühler Präzision und entsättigten Farben.

Weil von Beginn an also klar ist, dass die Vier – offenbar die drei Gangster und der Polizist – aufeinander treffen werden – drei kennen sich schon, einer tappt fast in die Falle –, ist es weniger die Frage, ob der Raub beim Juwelier gelingen wird, sondern eher, wer das anschließende Zusammentreffen im Roten Kreis überlebt. Plakatmotiv (Fr.): Le Cercle Rouge (1970) Das ist insofern ein bisschen blöd, weil der Film im Original einfach "Der rote Kreis" heißt (Le cercle rouge) und wir Zuschauer also nichts ahnen von einer Anzahl Menschen in diesem Kreis. Da wäre ja auch noch der kaltherzige Polizeipräsident, dessen Gemütstemperatur noch ein paar Grad unter der von Polizist Mattei liegt, der die Auffassung vertritt „Es gibt keine Unschuldigen. Die Menschen sind Verbrecher … Alle Menschen!“ Aber nun sind es also vier. Und man genügt diesem Film nicht, wenn man auf solche Nebenschauplätze achtet.

Jean-Pierre Melville (Armee im Schatten – 1969) hat einen ausgeklügelt stilistischen Film gedreht. Der im Titel erwähnte Cercle Rouge legt sich nicht nur als Buddha-Zitat rund um den Film. Er ist auch bildhafter Bestandteil entscheidender dramaturgischer Wendungen. Da überfährt zu Beginn ein Polizist eine rote Ampel (Kreis), um einen Zug zu erwischen, mit dem Polizist Mattei den Gangster Vogel ins Gefängnis überführen will (hätte er den Zug verpasst, wäre Vogel in der Folge nicht auf Corey getroffen); Corey spielt Billard und trifft die Rote Kugel (Kreis) so lange perfekt, bis Gangster auftauchen; rote Rosen leiten die Gesetzesübertretung Matteis ein, die durch das Überfahren der Roten Ampel zu Beginn bereits angetriggert wurde.

Der Rest ist Staunen. Dass es möglich ist, einen Film an allen Gesetzen des Unterhaltungskinos vorbei zu inszenieren, und trotzdem eine enorme innere Spannung zu halten. Alain Delon als Corey (Borsalino – 1974; Der Clan der Sizilianer – 1969; Der Swimmingpool – 1969; Der eiskalte Engel – 1967; Die Abenteurer – 1967; Brennt Paris? – 1966; Der Leopard – 1963; Rocco und seine Brüder – 1960; Nur die Sonne war Zeuge – 1960), Gian Maria Volonté als Vogel und Yves Montand als Ex-Polizist Jansen (Stoßtrupp Gold – 1970; "Grand Prix" – 1966; Brennt Paris? – 1966; Machen wir's in Liebe – 1960; Lohn der Angst – 1953) geben absolut wortkarge Protagonisten – so wortkarg, dass man mitunter meint, die Tonspur des Films sei kaputt. André Bourvil als Polizist Mattei redet etwas mehr, aber auch er reiht sich ein in die Galerie der schweigsamen Melville-Helden.

Wertung: 7 von 8 D-Mark
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